Daniil B. hatte eine Geschichte, wie sie viele haben: Geflohen vor dem Krieg in der Ukraine, untergebracht in einer Flüchtlingsunterkunft in Konstanz. Doch was dann geschah, liest sich wie ein Spionagethriller – und ist doch bittere Realität. Gemeinsam mit zwei weiteren Männern soll er im Auftrag russischer Nachrichtendienste Anschläge auf deutsche Infrastruktur vorbereitet haben.
Die Festnahmen erfolgten in Köln, Konstanz und in Kreuzlingen. Mutmaßlich drei Menschen, die womöglich gar nicht wussten, dass sie Akteure in einem hybriden Krieg sind. Sie wurden gefasst, weil ein ausländischer Dienst rechtzeitig warnte. Mal wieder.
Was vor wenigen Tagen öffentlich wurde, ist ein Ermittlungserfolg, keine Frage. Aber es ist weit mehr als ein Einzelfall. Es ist ein Weckruf. Es steht für eine neue Qualität der Bedrohung und für eine digitale Ohnmacht, in die sich der Rechtsstaat sehenden Auges hineinmanövriert hat.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl drückte es so aus: „Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr richtig im Frieden.“ Das ist diplomatisch ausgedrückt für: Wir werden längst angegriffen. Es muss sich etwas ändern. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Dass Deutschland auf Hilfe anderer Dienste angewiesen ist, ist auf Dauer fahrlässig. Der Rechtsstaat darf nicht zusehen und hoffen, dass nichts passiert. Es braucht nicht nur mehr Personal, sondern ein rechtliches Fundament, das der neuen Realität standhält.
Im Ausland ist man viel weiter
Die Wahrheit ist: Ausländische Nachrichtendienste sind uns Lichtjahre voraus – weil die rechtlichen Hürden hierzulande oft höher sind als die technischen. Sie dürfen digitale Bewegungsprofile erstellen, sie arbeiten mit KI-gestützten Analysehilfsmitteln, sie kombinieren Metadaten und offene Quellen – in Echtzeit. Und während ihre Systeme verdächtige Muster erkennen, laufen die deutschen Ermittler den Datenbergen hinterher.
Dabei wären es gerade diese KI-Systeme, die in Deutschland dringend gebraucht würden. Sie könnten helfen, Hinweise aus der Bevölkerung, Observationsberichte, Chats und offene Quellen zu analysieren, Muster zu erkennen, Zeit zu sparen.
Im Bereich Kindesmissbrauch, Drogenhandel, Extremismus und Terrorabwehr werden die Datenmengen immer größer – und Menschen allein kommen da nicht mehr hinterher. Aber der Einsatz entsprechender Programme ist hierzulande noch immer die Ausnahme, dabei wäre die nötige Technik vorhanden.
Während autoritäre Staaten und Kriminelle längst mit Cyberwaffen, Deepfakes und getarnten Agenten operieren, diskutiert man in Deutschland darüber, ob Funkzellenabfragen womöglich zu tief in die Privatsphäre eingreifen. Ob man Unternehmen wie Vodafone oder die Telekom verpflichten kann, IP-Adressen für ein paar Wochen zu speichern. Eine Zahlenreihe, die über Leben und Tod entscheiden kann. Man möchte lachen – wäre es nicht so gefährlich. Das ist sicherheitspolitische Selbstfesselung.
Es braucht eine Art der Datenspeicherung
Die Vorratsdatenspeicherung – einst eingeführt zur Bekämpfung schwerster Kriminalität – ist in Deutschland nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs faktisch tot. Während Länder wie Frankreich, Spanien oder die Schweiz unter strengen Auflagen bestimmte Verbindungsdaten speichern dürfen, fehlt deutschen Ermittlern selbst in akuten Gefahrenlagen oft das Handwerkszeug. Das ist, als würde man einem Polizisten verbieten, bei Nacht eine Taschenlampe anzumachen, während um ihn herum alles um Hilfe schreit.
Dabei wäre es eine Kleinigkeit, IP-Adressen für wenige Wochen zu sichern – nicht beim Staat, sondern bei den Providern, wie es EU-Recht unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Doch das Sicherheitsdenken in Deutschland wird dominiert von einem Misstrauen, das die größte Gefahr für die Demokratie stets in den Sicherheitsbehörden selbst wähnt.
Natürlich müssen Eingriffe in Grundrechte verhältnismäßig, gerechtfertigt und kontrolliert sein. Wer über Vorratsdatenspeicherung spricht, muss auch über Zweckbindung, Transparenz und Löschfristen sprechen. Aber wer Grundrechte schützen will, darf sich nicht weigern, sie zu verteidigen – gegen Terror, Sabotage und digitale Unterwanderung.
Die Nadel im immer größeren Heuhaufen
Denn der Alltag der Ermittler ist längst ein anderer. LKA-Chef Andreas Stenger sagt es deutlich: „Wir sind mit einer Quantität konfrontiert, die problematisch ist.“ Während man die Nadel im Heuhaufen suche, werde der Haufen größer. Minderjährige speichern Hinrichtungsvideos auf ihren Handys. Jugendliche suchen im Darknet nach Waffen. Täter radikalisieren sich innerhalb weniger Wochen – unbemerkt, unbehelligt.
Und die Strafverfolger? Die stehen oft vor digitalen Trümmern. Selbst bei konkretem Tatverdacht bekommen sie meistens keine IP-Adressen mehr. Täter bleiben im Netz unsichtbar – ob Kinderschänder, Hetzer, Drogenhändler oder Saboteure. Die Aufklärung wird zur Lotterie.
Der Staat muss nicht alles wissen. Aber er muss genug wissen, um uns zu schützen. Prävention beginnt mit Weitsicht, nicht mit Wegsehen.