Narges Mohammadi wird ihren Friedensnobelpreis wohl nicht persönlich entgegennehmen können: Die iranische Aktivistin sitzt – wieder einmal – im Gefängnis. Die 51-jährige kämpft seit Jahrzehnten für Frauen- und Menschenrechte in der Islamischen Republik und zahlt dafür einen hohen Preis. Seit sie vor einem Vierteljahrhundert zum ersten Mal festgenommen wurde, war sie nur noch selten in Freiheit.

Mit der Auszeichnung ehrt das Nobelpreis-Komitee nicht nur Mohammadi selbst, sondern die gesamte iranische Protestbewegung. Zugleich ist der zweite Friedensnobelpreis für eine iranische Aktivistin eine Ohrfeige für das Regime. Entsprechend pikiert reagiert die Führung in Teheran.

Mohammadi ist Vizepräsidentin des Zentrums der Menschenrechtsverteidiger, einer Menschenrechtsorganisation unter Leitung von Shirin Ebadi, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt. Ebadi zog vor 15 Jahren ins britische Exil, doch Mohammadi blieb im Iran. Die iranische Justiz bestrafte ihren Einsatz für Frauenrechte und ihr Engagement gegen die Todesstrafe mehrmals mit langen Haftstrafen – derzeit sitzt sie im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran eine zwölfjährige Strafe ab.

Friedensnobelpreis für Menschen in Haft

Doch brechen konnte das Regime Narges Mohammadi nie. Ihr Mann Taghi Rahmani, der in Frankreich im Exil lebt, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Friedensnobelpreis werde seine Frau in ihrem Kampf für die Menschenrechte noch entschlossener machen.

Die Auszeichnung werde seine Frau in ihrem Kampf für die Menschenrechte noch entschlossener machen, sagt Taghi Rahmani, der in ...
Die Auszeichnung werde seine Frau in ihrem Kampf für die Menschenrechte noch entschlossener machen, sagt Taghi Rahmani, der in Frankreich im Exil lebt. | Bild: Thibault Camus/AP/dpa

Auch im Gefängnis setze Mohammadi ihre Arbeit fort, sagt Daniela Sepehri, eine deutsch-iranische Aktivistin. „Obwohl sie keinen Besuch empfangen darf, schafft sie es immer wieder, Briefe aus dem Gefängnis zu schmuggeln und der ganzen Welt zu offenbaren, wie Frauen systematisch vergewaltigt werden“, so Sepehri. Anfang des Jahres schlug Mohammadi aus ihrer Zelle heraus Alarm wegen des schlechten Gesundheitszustandes der inhaftierten Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi.

Mohammadi ist während ihrer Gefängnisstrafen in den vergangenen Jahren selbst erkrankt, wird aber trotzdem immer wieder eingesperrt. Ihre beiden Kinder hat die Aktivistin nach Angaben von Sepehri seit Jahren nicht mehr sehen oder sprechen können.

Auszeichnung für die gesamte Protestbewegung

Das Nobelpreis-Komitee will den Preis ausdrücklich auch als Auszeichnung für die Protestbewegung verstanden wissen, die nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in der Gewalt der Religionspolizei im vergangenen Jahr landesweit gegen das Regime demonstrierte. Die Komitee-Vorsitzende Berit Reiss-Andersen stellte den Slogan „Frau-Leben-Freiheit“ in persischer Sprache am Freitag an den Anfang ihrer Mitteilung über die Preisvergabe an Mohammadi. Das Komitee rief den Iran auf, die Aktivistin freizulassen.

Mit ihrer Forderung nach mehr Rechten für Frauen trifft Mohammadi eine empfindliche Stelle des iranischen Regimes. Die Islamische Republik benachteiligt Frauen systematisch, etwa bei Scheidungen, dem Sorgerecht für Kinder oder Erbschaften. Die Kopftuchpflicht bedeutet, dass Frauen nur Karriere machen können, wenn sie sich dem Verhüllungsgebot der Mullahs unterwerfen.

Symbolischer Akt nach der Bekanntgabe der Preisträgerin: Eine Taube fliegt aus einem Fenster des Nobel-Friedenszentrums.
Symbolischer Akt nach der Bekanntgabe der Preisträgerin: Eine Taube fliegt aus einem Fenster des Nobel-Friedenszentrums. | Bild: Frederik Ringnes/NTB/AFP

Der Kopftuchzwang war auch der Auslöser der Unruhen des vergangenen Jahres. Seit Ausbruch der Proteste gehen viele Iranerinnen ohne Kopftuch auf die Straße und widersetzen sich so offen den Vorschriften. Das Regime reagierte mit einem neuen Gesetz, das bis zu zehn Jahre Haft für Frauen ohne Kopftuch vorsieht.

Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte und Gründungsdirektor der Denkfabrik CMEG, nennt den Preis „ein starkes Signal an die iranischen Frauen und Mädchen, die an vorderster Front des Kampfes gegen das Regime stehen, und daher auch an die gesamte Demokratiebewegung“. Wichtig sei zudem der Zeitpunkt, so Fathollah-Nejad: ein Jahr nach Beginn der Proteste, da die Demokratiebewegung „eine fehlende Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft verzeichnet, die wiederum dem Regime ein Gefühl der Sicherheit, wenn nicht gar Straflosigkeit vermittelt hat“. Das Preiskomitee habe der Protestbewegung eine neue „internationale Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit verschafft, die dem Regime stets ein Dorn im Auge ist“.

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Iranische Regimevertreter kritisierten das Nobel-Komitee. Die Nachrichtenagentur Fars, die der iranischen Revolutionsgarde nahesteht, kommentierte, Mohammadi habe den Nobelpreis für ihre Machenschaften gegen die „nationale Sicherheit“ des Iran erhalten. Regierungsberater Seyed Mohammed Marandi schrieb auf Twitter, Mohammadi verdanke ihren Nobelpreis den Versuchen des Westens, das iranische Regime zu stürzen. Doch auch mit der Auszeichnung werde das nicht gelingen.