Herr Lauterbach, haben Sie schon mal Globuli genommen?

Nein, ich habe auch noch nie daran gedacht.

Jeder Zweite in Deutschland hat dagegen schon Erfahrungen mit Homöopathie gemacht. Wieso Sie nicht?

Es gibt keinerlei wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Globuli wirken. Daher gibt es für mich auch keinen Grund, Globuli zu nehmen.

Der Nutzen von Globuli ist seit Jahrzehnten zweifelhaft. Trotzdem soll Homöopathie erst jetzt als Kassenleistung gestrichen werden. Woran liegt das?

Ich habe mich mit der Thematik schon häufiger auseinandergesetzt und mehrfach vorgeschlagen, Globuli als Kassenleistung zu streichen. Zumal die Menschen, die Kassenleistungen beziehen, natürlich auch davon ausgehen, dass das Medikament wirkt, sonst würde es die Krankenkasse ja nicht bezahlen. Durch die Erstattung erhalten Globuli eine falsche Glaubwürdigkeit. Das wollen wir vermeiden. Wir wollen schließlich nicht, dass Menschen, die sich nicht so gut auskennen, bei schweren chronischen Leiden oder einer Krebserkrankung in ihrer Verzweiflung auf Globuli zurückgreifen.

Hat die Pharmaindustrie vielleicht zu geschickt vermarktet?

Das hat mit der Pharmaindustrie nichts zu tun.

Es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Akzeptanz von Globuli in der Bevölkerung verschwinden wird, nur weil sie als Kassenleistung wegfällt.

Ich denke, dass alleine die Debatte bereits dazu beiträgt, den ein oder anderen zu erreichen. Viele Wissenschaftler äußern sich ähnlich. Das trägt zur Versachlichung des Themas Homöopathie bei und ist ein Schritt in Richtung Aufklärung.

Kommen wir zu einem anderen Thema, Herr Lauterbach. Sie plädieren immer wieder für Impfungen in der Bevölkerung – ob nun gegen das Coronavirus oder gegen die Grippe. Gleichzeitig bleiben die Impfquoten niedrig. Ärgert Sie sowas?

Ärger ist nicht das richtige Wort, aber es ist schade, wenn Menschen ohne Not vermeidbar zu Schaden kommen. Aber zunächst einmal: Ich plädiere nicht für alle Impfungen. Die Masernimpfung bei Kindern beispielsweise ist wirklich für fast alle sinnvoll. Es gibt aber Impfungen, die man nicht grundsätzlich jedem empfehlen kann. Es kommt darauf an, wie hoch ein Erkrankungsrisiko ist. Auch seltene Nebenwirkungen müssen mit abgewogen werden. Wenn nun aber Impfungen nicht genommen werden, die Leben retten können – etwa die Grippeimpfung in der Grippesaison – dann finde ich das traurig.

Seit der Pandemie sind Jahre vergangen. Für wen ist die Corona-Impfung denn noch sinnvoll?

Ich empfehle die Impfungen entlang der Stiko-Empfehlungen. Für diejenigen, die Risikofaktoren haben oder diejenigen, die über 60 sind, ist die Auffrischungsimpfung sinnvoll – solange sie nicht in den Monaten davor eine Infektion gehabt haben.

Karl Lauterbach bekommt im September 2023 die Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus.
Karl Lauterbach bekommt im September 2023 die Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus. | Bild: Lisi Niesner

Demgegenüber gibt einige Menschen, die unter den Folgen der Impfung leiden. Einem Bericht zufolge haben hierzulande fast 12.000 Menschen einen Antrag auf Anerkennung eines Schadens durch die Corona-Impfung gestellt. Aber nur 467 Anträge wurden bislang anerkannt. Woher kommt die Differenz?

Diese Bearbeitung ist Aufgabe der Länder und der Gerichte. Ich denke, dass es wichtig ist, die Anträge gründlich zu prüfen. Das findet meines Wissens auch statt.

Betroffenen haben Sie schnelle Hilfe versprochen. Vor knapp einem Jahr kündigten Sie ein Programm an, das die Folgen von Long Covid und Post-Vac untersuchen soll. Was ist daraus geworden?

Im Sommer 2023 haben wir die „BMG-Initiative Long Covid“ gestartet. Wir arbeiten mit Wissenschaftlern aus ganz Deutschland zusammen, um Ursachen und Verlauf von Long-Covid sowie selten auftretenden Beschwerden infolge der Covid-Impfung besser zu verstehen und auch Therapien abzuleiten. Wir wollen den Zugang zu Arzneimitteln im sogenannten Off-Label-Use (Verordnung eines Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Gebrauchs, Anm. d. Red.) für Betroffene erleichtern und haben hierzu eine Expertengruppe eingesetzt.

Mit einem Stakkato an Reformen versuchen Sie gerade auch, das deutsche Gesundheitssystem umzukrempeln. Woher kommen all diese Löcher in der ärztlichen Versorgung?

Ich mache nichts stakkatohaft. Ich beschäftige mich mit dem deutschen Gesundheitssystem seit Jahren und es ist richtig, dass wir jetzt eine besondere Herausforderung vor uns haben. Die Babyboomer werden alt und darauf müssen wir unser Gesundheitswesen vorbereiten.

Wir haben große Defizite bei der Spezialisierung in den Krankenhäusern. Es gibt insgesamt zu viele Krankenhäuser. Wir haben zu wenig ambulante Versorgung von Behandlungen im Krankenhaus. Und die gegenwärtige Krankenhausfinanzierung schafft Anreize dafür, dass Krankenhäuser auch Eingriffe vornehmen, für die sie eigentlich nicht das richtige oder nicht genug Personal haben oder die medizinisch nicht unbedingt notwendig sind. Somit stehen wir vor einer Reihe großer Reformen, die vorangegangene Regierungen bereits hätten anpacken müssen.

Wie sieht es denn in den Arztpraxen aus?

Hier haben wir eine ähnliche Situation. Praxen sind überfüllt mit Patientinnen und Patienten, die vielleicht nur ein Folgerezept brauchen oder auch telefonisch versorgt werden könnten. Das ändern wir. Viele Patienten haben weiterhin Probleme, einen zeitnahen Facharzttermin zu bekommen. Auch da arbeiten wir an einer Reform. In Deutschland sehen wir eine ungleiche Verteilung von Ärzten. Das bedeutet, dass es in Regionen, wo der Bedarf besonders hoch ist, oft zu wenige Ärzte gibt. Dazu kommt, dass Praxen durch Investoren aufgekauft werden, wo dann eine profitorientierte Fließbandmedizin erfolgt. Das ist nicht das, was wir wollen.

Parallel dazu haben Sie die Apotheken und die Digitalisierung im Blick: Herr Lauterbach, tanzen Sie da nicht auf zu vielen Hochzeiten?

Nein, die Reformen sind seit zwei Jahren in Vorbereitung. Wir sollten uns hier keine Verzögerungen leisten. Deshalb war die Vorbereitung dieser Reformen von Tag eins an, parallel zur Bewältigung der Corona-Pandemie, ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Ich glaube, dass wir hier nur klarkommen, indem wir die großen Baustellen – Hausarztversorgung, Facharztversorgung, Apothekenversorgung, Krankenhausversorgung und Digitalisierung – systematisch angehen. Denn jetzt kommt die Zeit, in der die Babyboomer-Generation in die Versorgung hineinwächst.

Ihre Krankenhausreform befeuert aber auch Befürchtungen in der Branche – zum Beispiel um ein unkontrolliertes Krankenhaussterben. Zurecht?

Zu einem unkontrollierten Krankenhaussterben käme es nur ohne Reform. Allerdings hätte man diese Reform schon in der letzten Legislaturperiode machen müssen. Das ist keine Parteipolitik, wir haben ja mitregiert. Aber wir tun unser Bestes, um das unkontrollierte Krankenhaussterben noch abzuwenden.

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Aber es wird Krankenhausschließungen geben.

Ja. In Deutschland hat eine sehr hohe Krankenhausdichte, aber weder den Bedarf, noch das Geld und schon gar nicht das Personal, um alle Häuser auch im Sinne der Patientensicherheit betreiben zu können. Daher setzen wir auf einen gezielten Umbau dort, wo wir ein massives Überangebot in der Krankenhauslandschaft haben. Somit ist klar, dass Krankenhäuser schließen müssen, um keine unnötigen Doppelstrukturen zu haben.

Wo sehen Sie ein strukturelles Überangebot an Kliniken?

So eine Überversorgung haben wir sicherlich in einigen westdeutschen Großstädten, da ist die Krankenhausdichte zum Teil höher als in New York, was sehr beachtlich ist.

Wo gibt es dagegen eine Unterversorgung?

Zum Teil auf dem Land, insbesondere in den neuen Bundesländern. Dort versuchen wir durch die Level1i-Kliniken das Angebot zu erhalten.

Ihre geplante Krankenhausreform war zwischen Bund und Ländern lange umstritten. Kürzlich haben Sie dann angekündigt, die Reform sei wieder auf der Spur. Ist die Blockade durch den Bundesrat abgewendet?

Ich würde nicht von einer Blockade sprechen. Es gab mit einigen Ländern einen Dissens, weil wir die Qualität der Krankenhäuser für bestimmte Eingriffe durch einen Klinikatlas mitteilen möchten. Das haben einige Länder nicht gewollt. Solche Reformen lassen sich nicht ausschließlich in Harmonie machen. Demnach waren wir zwischenzeitlich auf einer Ruckelstrecke, laufen jetzt aber meines Erachtens wieder geradeaus.