Alle Afghanen, die seit 2001 für die westlichen Truppen oder die Hilfsorganisationen gearbeitet haben, sind für die Taliban Verräter und werden mit dem Tod bedroht. Bei den sogenannten Ortskräften handelt es sich um afghanische Männer und – weniger zahlreich – Frauen, die völlig unterschiedliche Dienstleistungen für längere oder kürzere Dauer anboten. Wir stellen mehrere Gruppen vor:
Dolmetscher für die Bundeswehr
Da bei den westlichen Streitkräften in Afghanistan in der Regel niemanden gab, der die beiden afghanischen Hauptsprachen Dari und Pashtu beherrschte, waren die Soldaten auf Dolmetscher – offiziell: Sprachmittler – angewiesen, um mit Einheimischen reden zu können. Die Kommunikation zwischen Helfer und Soldaten lief in den meisten Fällen auf Englisch, das die vorwiegend jungen Männer in Kursen erlernt hatten.
Die Rolle der Sprachmittler ging oft weit über das Dolmetschen hinaus. So dienten sie bei Patrouillen als Scouts und Berater, denn das Kartenmaterial der Soldaten konnte lückenhaft sein. Als ortskundige Netzwerker waren sie unverzichtbar, wenn Dinge organisiert werden mussten, die der Nachschub der Soldaten nicht lieferte, wie eilige Ersatzteile für Bürogeräte, Unterhaltungselektronik und vor allem frische Nahrungsmittel, die die Bundeswehr bei Händlern vor Ort einkaufte. Diese Ortskräfte wurden von der ISAF unter Vertrag genommen und in Dollar fest bezahlt. Die Höhe konnte mehrere hundert Dollar im Monat betragen, was in Afghanistan ein ausgezeichneter Verdienst ist.
Zulieferer für die Soldaten
Dabei handelte es sich um Händler aus den Städten wie Kundus oder Masar-i-Sharif, die nicht fest angestellt waren, sondern nur für Waren und einzelne Dienstleistungen bezahlt wurden. So gab es im Feldlager Kundus einen Basar, in dem die Soldaten Mitbringsel für Angehörige daheim kaufen könnten wie Burkas, die typischen karierten Halstücher oder die bekannten Tadschiken-Mützen. Waren Händler vertrauenswürdig und sicherheitsüberprüft, könnten sie mit ihren kleinen Lastwagen direkt ins Lager fahren. Da die Infrastruktur und die Außensicherung der Lager über Jahre aufwändig ausgebaut wurde, lieferten Einheimische auch das notwendige Baumaterial.
Helfer in Camps und Kantinen
Im den Camps mussten mehrmals täglich für eine vierstellige Zahl von Soldaten Speisen zubereitet werden. Dabei waren afghanische Küchenhilfen unabdingbar, da man die Soldaten von einfachen Verrichtungen entlasten musste, um sich selbst auf die eigentlichen Einsatz-Aufgaben konzentrieren zu können. Diese Ortskräfte waren sicherheitsüberprüft, wurden gut bezahlt und kamen täglich zur Arbeit ins Camp. Einsatzgebiete waren nicht nur die Kantine, sondern auch Reinigungsaufgaben in Bürocontainern, Toiletten, Müllentsorgung oder die Pflege von Grünanlagen.
Multifunktions-Kräfte
Darunter fallen alle jene Einheimischen, die immer dann zur Verfügung standen, wenn ihre Dienste gebraucht wurden. Dazu gehörten die (Taxi-)Fahrer, auf die sich Journalisten oder NGO-Angehörige verlassen konnten, um in den Städten mobil zu sein, denn einen öffentlichen Nahverkehr gibt es im Land praktisch nicht. Die Fahrer waren jedoch mehr als nur Fahrer: Sie waren Fremdenführer, Informanten, Tippgeber und Organisationstalente, ohne die eine Berichterstattung für Journalisten nicht vorstellbar war. Wichtig waren auch Afghanen, die eine Unterkunft betrieben, Zimmer vermieteten und ihre Gäste verköstigten.
Oft waren die Grenzen zwischen den einzelnen Dienstleistungen fließend, und es kam vor, dass Helfer mehrere Jobs erledigten. Auch die Arbeit der Nichtregierungs-Organisationen im Land war ohne die Dienste dieser Hilfskräfte nicht vorstellbar.
Journalisten und Moderatoren
Nach dem Einmarsch in Afghanistan 2001/02 etablierten sich in vielen Städten Graswurzel-Medien, wobei kleinen Radiosendern wegen der vergleichsweise geringen Kosten Bedeutung zukam. Westliche Organisationen beteiligten sich an der Ausbildung der jungen afghanischen Journalisten und leiteten sie selbst vor Ort an. Da die Journalisten von ihrem Gehalt allein meist nicht leben können, waren sie teilweise auch als Ortskräfte für die Bundeswehr tätig.