Sonne, Staub und neue Schulen.“ Das war im Mai 2007 der Titel über einer Reportage aus Afghanistan, wo der Autor dieser Zeilen das Regionale Wiederaufbau-Team der Bundeswehr in Kundus besuchte. In gepanzerten Fahrzeugen fuhren die Soldaten in die Dörfer, um Vertrauen aufzubauen. Den Bau von Schulen, Straßen, Brunnen und Krankenhäusern übernahmen dann zivile Organisationen unter dem Schutz der Streitkräfte.
Sehnsucht nach einem Leben in Frieden
Schon fünf Jahre machten die Deutschen damals am Hindukusch einen schwierigen Job. Die Truppen kamen mit Empathie, sie verbreiteten unter den meisten Afghanen das Gefühl, sich nach einem gefühlt ewigen Bürgerkrieg und der Gewaltherrschaft der Taliban endlich sicher bewegen und vor allem das verwirklichen zu können, was man sich so lange erhofft hatte: die Bildung voranbringen, Schulbücher anschaffen, Englisch lernen, schwunghaften Handel mit Musik-CDs, Handys und Computern aufziehen, Hochzeiten und Feste von Profis geplant.

Diesen afghanischen Frühling gab es. Dass er Fuß fassen konnte, war unzweifelhaft auch das Verdienst der Bundeswehr, die von der Mehrheit der Afghanen willkommen geheißen wurde. Bärtige Marketender verdienten durch die Militär-Camps gutes Geld, ihre Familie, ihr Clan profitierte. Die Taliban-Zeit schien düstere Historie zu sein.
Der Bombenanschlag von Kundus
Dennoch war bei der Kundus-Reise nur eines sicher: dass nichts sicher ist in diesem für uns so fremden und undurchschaubaren Land, das ethnisch so zerklüftet ist wie seine steilen Gebirge. Die Feststellung wurde plötzlich tödliche Realität, als im Juni 2007 drei Bundeswehr-Soldaten im Basar von Kundus durch eine Bombe getötet wurden. Es waren nicht die ersten deutschen Toten. Aber von da an wurde mit jedem Monat klarer, dass für den Aufbau Afghanistans ein hoher, vielleicht zu hoher Preis zu zahlen sein würde.
Am Ende waren 59 Gefallene zu beklagen. Dazu kommen viele körperlich und psychisch schwer Verwundete. Deutschland hat für 20 Jahre in Afghanistan nicht nur hohe materielle Kosten geschultert. Es musste – viele bitterer noch für Freunde und Familien der Toten und Versehrten – der Tatsache ins Auge sehen, in einen Krieg verwickelt zu sein, der je länger er dauerte keinen Sieger sehen würde.
De-facto-Sieg für die Taliban
Um so deprimierender ist die Botschaft, dass nun die Taliban als alleinige Nutznießer des westlichen Truppenabzugs übrig bleiben, den Islamisten der Sieg also de facto zugefallen ist. Da drängt sich zwangsläufig die Frage auf, ob der ganze lange Einsatz nicht umsonst – schlimmer noch: sinnlos – gewesen ist. Sicher gibt es Stimmen in einzelnen Parteien, die das so sehen. Sie haben gute Argumente und können sich jetzt bestätigt fühlen.
Allerdings wird eine im Nachhinein wie ein Fallbeil niedersausende Erkenntnis der Wirklichkeit nicht gerecht. Der in seinen hohen Zielen gescheiterte westliche Einsatz konnte zwar die korrupte Elite des Landes nicht austrocknen oder eine Armee aufbauen, die ohne die Nabelschnur der USA existiert. Aber er hat in den Städten eine junge Gesellschaftsschicht – darunter viele Frauen – motiviert, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, auf demokratische Prozesse zu setzen und nicht allein auf den Koran zu vertrauen.
Allianzen in Afghanistan sind brüchig
Die Situation, die die sich neu etablierenden Taliban vorfinden, ist daher nicht die gleiche wie zur Zeit ihrer Machtübernahme Mitte der 90er-Jahre. Die Spielräume der Radikalen dürften enger sein als früher. Sie sind vom Wohlwollen Pakistans, vermutlich bald auch vom Draht nach Moskau und Peking abhängig. Im Nachbarland Iran haben die schiitischen Mullahs ein wachsame Auge.
Wie monolithisch die Taliban aufgestellt sind, muss sich erst noch herausstellen. Auch sie sind nichts anderes als eine Allianz von Kämpfern – und Allianzen sind am Hindukusch traditionell volatil. Der Westen hat dort Fehler gemacht. Er sollte jetzt aber keinen neuen machen und sich von dem Land abwenden. Das haben die Menschen dort am wenigsten verdient.