Herr Wolf, Tag der Pressefreiheit – klassischerweise denkt man da an die Anfänge der Demokratie und die damals hart erkämpften Rechte der ersten Zeitungen, oder an Zensur in Diktaturen auf der Welt. Woran denken Sie hier und heute beim Stichwort?
Andre Wolf: Das ist vielfältig. Wir leben in einer Zeit, in der wir so viel sagen können wie noch nie zuvor. Und noch nie konnten mehr Menschen uns zuhören, weil wir durch Internet und Social Media theoretisch unendliche Reichweite haben können. Das heißt, wir alle können senden, nicht mehr nur wenige Medienhäuser, ob Print oder auch Rundfunk. Hier sind wir tatsächlich alle frei, auch wenn sehr gerne behauptet wird, man dürfe nicht alles sagen. Das ist ja der Punkt: Ab wann hört dieses Recht auf, alles zu sagen?
Wie Sie sagen: Heute kann jeder online eigene Inhalte gestalten und veröffentlichen – nicht nur Journalisten, sondern auch Influencer und Privatpersonen mischen mittlerweile mit. Warum kann das kritisch sein?
Wolf: Der große Haken ist, wenn die qualitative Berichterstattung abfällt. Der Journalismus definiert sich durch prüfen, doppelt prüfen, nochmal prüfen. Im Bereich sogenannter alternativer Medien oder auch Influencer beachten viele diese Regeln häufig nicht. Dann haben wir ein großes Problem, denn damit sind viele Informationen unterwegs, die wir selbst bewerten müssen. Häufig hört man: Man weiß ja gar nicht mehr, wem man glauben soll. Aber das ist eben nicht der Fall. Wer journalistische Standards einhält, dem kann ich erstmal ohne weiteres trauen.
Mal ganz praktisch gefragt: Wie kann ich zum Beispiel auf TikTok schnell nachschauen, ob das Video von einer seriösen Quelle kommt oder nicht?
Wolf: Das geht ganz schnell. Gerade ein Video kann ich mit Hilfe einer Bildersuche prüfen. Wo kommt das her? Aus welcher Quelle stammt das wirklich? Wer hat das ursprünglich verbreitet? Aber dazu muss ich leider die Basics lernen, das bedeutet, man muss zumindest ein paar Werkzeuge gelernt haben, wie eine Bildersuche. Ohne diese Vorkenntnisse funktioniert es leider nicht.
Sie sind ja in der Wissensvermittlung tätig. Können das die Leute? Beherrscht das die Mehrzahl der der User?
Wolf: Die Mehrzahl der Menschen weiß, dass das existiert. Die meisten haben es noch nicht wirklich ausprobiert. Das erlebe ich täglich. Gestern erst habe ich wieder einen Workshop gehabt, wo ich exakt das beigebracht habe. Da saßen 40 Menschen und die meisten hatten es noch nicht selbst gemacht. Regelmäßig in meinen Kursen ist das ein Anteil von zehn bis 20 Prozent, die halbwegs sicher damit umgehen können.
Wie bringt man das bei? Muss das in der Schule passieren? Wobei ja nicht mehr alle, die das lernen sollten, noch in die Schule gehen.
Wolf: Das muss sowohl in der normalen klassischen Schulbildung geschehen, aber auch im Bereich der Erwachsenenbildung. Freiwillig natürlich. Aber es kommen halt nur die, die das sowieso lernen wollen. Man muss auf unterhaltsame Weise vermitteln. Ich mache das bei meinen Kursen in Form von Challenges, das sind dann wirklich kleine Wettbewerbe.
Warum erreichen uns in den sozialen Medien, häufig auf TikTok, emotionale Inhalte eher als nachrichtliche Inhalte zu ein und demselben Thema?
Wolf: Social Media-Plattformen wollen, dass wir so lange wie möglich und so intensiv wie möglich auf ihnen interagieren. Das ist deren Ziel, wir sollen die Plattform nicht verlassen, idealerweise sind wir 24 Stunden mit der Nase am Smartphone-Display und bleiben auf ihrer Plattform. Wir fühlen uns getriggert bei emotionalen Inhalten, ganz klar. Selbst wenn es uns negativ triggert, wollen wir unbedingt was dazu sagen.
Damit spielen die Plattformen natürlich. Die unaufgeregten Inhalte, die sehr viel Information enthalten, gehen unter. Die polarisierenden Inhalte wiederum sind extrem stark nachgefragt. Und wir tragen selbst dazu bei! Selbst wenn wir etwas sehen, was wir für eine Falschmeldung halten oder für moralisch verwerflich, wollen wir unsere Meinung dazu abgeben und interagieren. Damit tun wir leider genau das, was die Plattform wollen: Wir verschaffen diesem Negativinhalt noch mehr Erfolg.
Was sollten wir stattdessen tun?
Wolf: Wir dürfen es nicht kommentieren, wir müssten eigentlich den „Interessiert nicht“-Button anklicken, denn damit signalisieren wir dem Algorithmus, dass das unwichtig ist. Dann kriege ich das nicht mehr angezeigt. Und gleichzeitig schränke ich damit die Reichweite ein. Damit kann ich beispielsweise auch Hate-Speech bekämpfen. Das ist wirklich ein gutes Mittel, auch wenn man nicht aktiv gegen das Ganze vorgeht, sondern von der anderen Seite, nämlich passiv, wirkt.
Sie kennen sich aus mit Fake News. Wie sind Sie dazu gekommen?
Wolf: Das ist eigentlich schon fast humorvoll. Ich habe das spannendste Geschichtsbuch überhaupt studiert, also die Bibel. Ich wollte evangelischer Pfarrer werden. Das hat nicht so ganz geklappt, aber das ist nicht weiter schlimm. Ich habe dann in der freien Wirtschaft gearbeitet, war als Verantwortlicher für Medien und Kommunikation tätig, und kam in diese Schiene rein. Bei Mimikama hat es mir Spaß gemacht hat, erstmal Menschen zu helfen, wenn sie im Internet auf Klickfallen drücken. Und jetzt bin ich schon seit 13 Jahren dabei.
Wie sehr hat das Vertrauen in Medien aller Art inzwischen gelitten? Wird der Fake-News-Vorwurf für alle zum Problem – auch wenn sie seriös arbeiten?
Wolf: Es ist ein Wellengang. Als es anfing mit dem Vorwurf Lügenpresse, 2013/2014, haben sich viele klassische Medien tatsächlich nicht mit Ruhm bekleckert. Man hat dieses Clickbaiting-Spiel (durch reißerische Überschriften für Klicks sorgen, Anm. d. Red.) übertrieben gespielt, um auf Facebook zu punkten.
Irgendwann kam der Punkt, als viele gesagt haben: Stopp, das geht nicht so weiter, wir müssen transparenter arbeiten. Das hat in meinen Augen funktioniert. Dann kam 2020 mit Corona wieder ein unheimlicher Aufschwung der sogenannten alternativen Medien, die behaupteten, die klassischen Medien würden lügen, das seien ja nur Staatsorgane. Die einzigen, die in meinen Augen rückblickend gelitten haben, sind die Öffentlich-Rechtlichen. Da ist der Vertrauensverlust teilweise groß.
Wie können Journalisten das Vertrauen in Fakten wieder stärken?
Wolf: Ich sehe das Problem gar nicht so groß an, wie es gemacht wird. Die Transparenz der Informationen darlegen, also ganz klar sagen, woher Informationen stammen. Dass das nachvollziehbar ist, was da steht, das ist immer ganz wichtig. Nicht übertreiben finde ich wichtig. Und dann gibt es natürlich einen Unterschied zwischen dem Fokus und dem Spiegel oder der FAZ und der Frankfurter Rundschau. Das wiederum gehört für mich in den Bereich der Medienbildung, dass Menschen so etwas wissen. Die lügen alle nicht, aber sie haben halt ihre Redaktionslinien und aus dieser Perspektive wird Bericht erstattet.
Nicht wenige vertreten die Ansicht, dass man die großen Tech-Plattformen härter an die Kandare nehmen muss: damit an Beiträge auf Facebook, Tiktok, X oder Instagram die gleichen presserechtlichen Maßstäbe angelegt werden wie an Zeitungen, Hörfunk oder Fernsehen. Der richtige Ansatz aus Ihrer Sicht? Sprich: Brauchen wir mehr Unfreiheit?
Wolf: Ich bin ja im Kern sehr liberal, neue Gesetze in dem Sinne brauchen wir meiner Ansicht nach nicht. Ich bin ein Bildungsromantiker und setze darauf, dass wir alle lernen, wie die Mechanismen funktionieren. Wir haben gewisse Regeln, natürlich: Ich muss aufpassen, was Urheberrechte angeht, was das Recht am eigenen Bild angeht.
Und Falschbehauptungen muss man im Sinne der Meinungsfreiheit tolerieren?
Wolf: Das ist jetzt das Spannende. Jeder von uns hat das Recht zu lügen. Das dürfen wir nicht vergessen. Juristisch gesehen dürfen wir lügen, das Problem ist, wenn diese Lüge gegen die Rechte anderer verstößt. Also ich darf nicht sagen, beim SÜDKURIER stinken alle, aber ich kann sagen: Ich finde, dass Journalisten stinken. Blödes Beispiel...
Aber schön plastisch. Was aber ist, wenn sich Behauptungen gegen Minderheiten richten, rassistisch sind? Da wäre die Frage, warum wir Facebook und Co. nicht genauso in Haftung nehmen für das, was auf ihren Kanälen publiziert wird, wie klassische Medien?
Wolf: Das geht gerade in die ganz falsche Richtung. Die Plattformen sind ja mittlerweile so weit zurückgerudert, sowohl X als auch Meta, dass nahezu alles stehen bleiben kann. Es geht ja gar nicht mehr um Fake News oder darum, irgendwelche Faktenchecks zu machen. Es geht darum, dass sich der Diskurs völlig verändern kann, dass alle alles sagen können.

Das ist das Ziel der Plattforminhaber, das zieht Elon Musk gnadenlos durch. Dagegen kann die EU nur ankommen, wenn sie mit einer Stimme spricht. Wenn das europäisch nicht einheitlich gemacht wird, dann lachen uns die Plattformen aus, die interessiert das nicht. Ein TikTok mit einem chinesischen Betreiber interessiert das überhaupt nicht.
Droht durch die Freiheit auf Social Media Gefahr für die Demokratie?
Wolf: Wir sind ja schon mittendrin in einem Radikalisierungsprozess. Und bestimmt seit einem Jahrzehnt sind wir in einem hybriden Krieg mit Russland. Das dürfen wir auch nicht vergessen, dass eben Social Media ideal dazu genutzt werden kann, um Propaganda zu verbreiten. Deswegen ist mir die Medienkompetenz so wichtig, dass Menschen in der Lage sind, manipulatives Framing (“Rahmung“, Deutung – Anm. d. Red.) zu erkennen und in der Lage sind zu hinterfragen.