Eigentlich haben sie Besserung versprochen. Eigentlich wollten sie sich nach dem Desaster um Robert Habecks Heizungsgesetz nie wieder auf offener Bühne zerfleischen. Eigentlich. Die drei Ampel-Partner sind aus der Sommerpause zurück – und streiten sich schon wieder.
Die grüne Familienministerin stoppt mitten in einer Kabinettssitzung einen Gesetzesentwurf von Finanzminister Christian Lindner, der angesichts einer heraufziehenden Rezession Steuererleichterungen für die Wirtschaft vorsieht. Begründung: Ministerin Paus will erst einmal Geld für ihr Lieblingsprojekt einer Kindergrundsicherung sehen.
Gewiefter Schachzug oder schlicht Erpressung?
Man kann das für einen gewieften Schachzug halten, man kann es auch Erpressung nennen. Ein Zeichen vertrauensvoller Zusammenarbeit ist es jedenfalls nicht. So verhalten sich Kontrahenten, nicht Partner.
Keine zwei Jahre nach ihrem Start wirkt die Koalition aus SPD, FDP und Grünen völlig zerschlissen. Minister zanken sich am Kabinettstisch, sagen frustriert Pressekonferenzen ab, verschanzen sich hinter Grundsatzfragen. Bei immer mehr Bürgern wächst der Verdacht: Die können es nicht.
Fatalerweise steht über allem ein Kanzler, der das Wegducken zum Prinzip erhoben hat und die Lage schönredet. Der Gesamteindruck ist verheerend – und das in einer Zeit, in der sich die Republik berechtigte Sorgen um Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit macht.

Das ist schon deswegen eine Enttäuschung, weil dieses Bündnis einmal für etwas anderes stand. Im Herbst 2021 stellten SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vor. Was die drei Parteien vereinbart hatten, roch nach Aufbruch und Erneuerung – ein überfälliges Signal nach 16 Jahren Unionsherrschaft unter Angela Merkel. Die Ampel führte zusammen, was bis dahin nicht zusammenpasste, und versprach allein dadurch Bewegung und das Aufbrechen von Verkrustungen.
Nichts untermalt den damaligen Optimismus deutlicher als das spontihafte Handybild, das Robert Habeck, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Volker Wissing in trauter Einigkeit zeigte. Der gemeinsame Wille, etwas zu verändern, schien wichtiger als das alte Denken in rechten und linken Lagern.
Der Krieg hat alles verändert
Aber das war, wie jeder weiß, bevor Kremlchef Putin seiner Armee den Befehl erteilte, ins Nachbarland einzurücken. Dennoch erklärt der Krieg in der Ukraine nicht alles am Zustand dieser Regierung. Ein Regierungsbündnis mit drei Partnern setzt eine enorme Kompromissfähigkeit voraus, stets überschattet vom Risiko, durch zu große Abstriche die eigene Klientel zu verprellen.

Das bekommen im Moment die Grünen zu spüren, vor allem aber die FDP. Seit sie in Berlin gemeinsame Sache mit SPD und Grünen machten, flogen die Liberalen aus drei Landtagen. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen schickten die Wähler sie in die Opposition. Offenkundig hat die wirtschaftsliberale Kernwählerschaft den Wechsel zur Ampel nie richtig verziehen.
Die Parteispitze um Christian Lindner bemüht sich jedenfalls auffällig, Politik für den klassischen FDP-Wähler zu machen – vom Tankrabatt bis zu Schuldenbremse und Autobahnausbau. Auch der erbitterte Widerstand gegen Habecks Heizungsgesetz erklärt sich vorrangig aus diesem Motiv. Für Lindner geht es darum, der Ampel-Politik einen sichtbaren gelben Stempel aufzudrücken. Alles andere ist in seinen Augen politischer Selbstmord.
Blickt man auf die Umfragen, droht den Grünen eine ähnliche Zwickmühle. Die Kanzlerträume sind für Annalena Baerbock und Robert Habeck vorerst ausgeträumt. Für viele ihrer Parteifreunde ist die Kampfansage von Ministerin Paus an die FDP deshalb überfällig. Endlich sagt es mal eine – so die Stimmung an der Basis.
Die Bevölkerung wiederum sieht etwas anderes: Kinderarmut wird gegen Wirtschaftsförderung ausgespielt, zwei Ministerien blockieren sich gegenseitig, in dieser Regierung traut niemand dem anderen über den Weg. Das schafft weder Stabilität noch Orientierung, wie SPD-Chef Lars Klingbeil zu Recht anmerkt.
Die Angst vor Neuwahlen
Vornehm geschwiegen hat der Chefgenosse allerdings zur Frage, wo in dieser Lage der Kanzler bleibt. Wieder einmal macht sich Olaf Scholz unsichtbar, statt die Richtung vorzugeben. Umfragen zufolge sprechen ihm inzwischen mehr als 70 Prozent der Wähler Durchsetzungsfähigkeit ab – ein bestürzender Wert für einen Regierungschef, der die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt in eine sichere Zukunft führen soll.
Unter diesen Umständen ist es keine Überraschung, dass die AfD beharrlich bei 21 Prozent Zustimmung steht. Schon allein deswegen wird es keine Neuwahlen geben. Das Ampeltrio mag in vielen Fragen zerstritten sein, einig ist es sich in der Angst vor einer Wahlniederlage. Das zwingt alle drei zum Weitermachen, allem Gezänk zum Trotz.