Eines musste man der Ampel-Koalition ja lassen: Sie lieferte zu ihrem Zerfall stets die passenden Bilder – und das bis zum endgültigen Bruch. Niemand musste sich zuvor analytische Zeitungsartikel durchlesen und TV-Rückblicke anschauen, um zu erkennen, dass hier nichts mehr zu retten ist.

Symbolisch gipfelte das Zerwürfnis in der Entlassung der FDP-Minister beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue. Ein grimmig und unbeteiligt wirkender Kanzler Olaf Scholz stand da, und der ehemalige Finanzminister Christian Lindner trug seine Entlassungsurkunde wie einen nassen Müllbeutel mit spitzen Fingern davon.

Scholz, Lindner und Habeck wollen wieder regieren

Das war vor einem Monat, auch wenn es manchen viel länger vorkommen mag. Die Zwischenzeit haben die Spitzen dieser Regierungskoalition aber nicht etwa dazu genutzt, in sich zu gehen und nach den Gründen für ihr Scheitern zu suchen.

Nein, sie machen weiter, und zwar alle drei. Olaf Scholz, Christian Lindner und auch Robert Habeck sind sich zumindest in diesem Punkt einig: Sie halten sich für die richtigen Personen, die auch nach der vorgezogenen Bundestagswahl wieder an der Spitze der Regierung stehen sollten. Dabei ist ihre Bilanz ernüchternd bis desaströs.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Die versprochene Führung blieb er oft schuldig.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Die versprochene Führung blieb er oft schuldig. | Bild: Michael Kappeler/dpa

Da ist zuerst der Kanzler, der fast seine gesamte Amtszeit über die versprochene Führung schuldig blieb. Bei der Ukraine-Hilfe mussten stets andere Unterstützerländer den nächsten Schritt gehen, und innenpolitisch waren es wahlweise seine Koalitionspartner oder die Opposition, die ihn zum Handeln trieben.

Als Scholz tatsächlich einmal selbst tätig wurde und sich vom Finanzminister nicht mehr an der Nase herumführen lassen wollte, zerbrach gleich die Koalition. Selbst um die Kanzlerkandidatur der SPD musste er angesichts der Zweifel an seinen Führungsqualitäten bis zuletzt zittern. Und jetzt soll er diese Wahl gewinnen?

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ist für viele Bürger unwählbar.
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ist für viele Bürger unwählbar. | Bild: Kay Nietfeld/dpa

Da ist aber auch der Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Habecks Auftritt als sanftmütiger Erklärer lässt einen leicht übersehen, wie wenig von den Grünen nach dieser Regierungsbeteiligung noch übrig ist. Über Klimaschutz oder Humanität im Umgang mit Flüchtlingen spricht in der Partei kaum noch jemand. Die grüne Jugend, denen dieser Kurswechsel offenbar nicht völlig egal war, läuft unterdessen in Scharen davon.

Von Habecks Amtszeit als Minister bleibt haften: Heizungsgesetz,
Graichen-Affäre, Flüssiggas-Terminals. Nicht alles davon war die Aufregung wert, aber beschädigt ist er dennoch und für eine ganze Menge Bürger schlicht unwählbar. Trotzdem nennt er sich nun Kanzlerkandidat.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, erweckte als Finanzminister zuletzt den Eindruck, nicht konstruktiv in der Regierung ...
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, erweckte als Finanzminister zuletzt den Eindruck, nicht konstruktiv in der Regierung mitarbeiten zu wollen. | Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa

Und da ist der ehemalige Finanzminister. Lindner hat die FDP ins Parlament zurückgeführt und letztlich sogar in die Bundesregierung. Dieser Tatsache ist es vermutlich geschuldet, dass er immer noch an der Spitze seiner Partei steht, obwohl sich nicht nur Außenstehende mittlerweile fragen dürften: Wozu eigentlich?

Mit dem Wissen von heute muss man davon ausgehen, dass Lindner in den vergangenen Monaten gar nicht vorhatte, in dieser Regierung noch konstruktiv mitzuarbeiten. Mit gestelzten Worten und einer unerträglichen Selbstüberschätzung versuchte er stattdessen, die Blockaden der FDP bei zuvor gemeinsam gefassten Regierungsvorhaben zu rechtfertigen. Und von den detaillierten Plänen in Kriegsrhetorik, die in seiner Parteizentrale entstanden sind, will er natürlich nichts gewusst haben. Aber auch Lindner ist und bleibt wohl Spitzenkandidat seiner Partei.

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Es ist klar, Politik ist immer auch Show. Es werden Hände geschüttelt, es wird getätschelt, umarmt, aber auch gedemütigt, bloßgestellt und ignoriert. Dieses Schauspiel ist auch in Ordnung, denn so werden Unterschiede deutlich, die Parteien und Personen gewinnen an Kontur.

Aber hinter der Bühne, das erwarten die Bürger, muss gearbeitet werden. Wenn also Reformen bei der Rente, in der Bildung, bei der Energieversorgung oder beim Wohnungsbau nicht vorankommen, weil sich die Kontrahenten andauernd auf offener Bühne fetzen, dann ist das ein Problem.

Haben SPD, Grüne und FDP keine anderen Köpfe?

Genau das haben Scholz, Habeck und Lindner in den vergangenen drei Jahren aber getan. Und es zeugt von Mutlosigkeit und Opportunismus, dass ihre Parteien nicht die Kraft finden, sich für die anstehende Bundestagswahl tatsächlich neu aufzustellen.

Entweder ist es so, dass es in der SPD, bei den Grünen und bei der FDP keine anderen Köpfe gibt, denen man eine Spitzenkandidatur anvertrauen mag, oder sie wagen sich schlicht noch nicht aus der Deckung, weil sie die Wahl ohnehin für verloren halten. Beides wäre tragisch, auch für die drei Spitzenkandidaten selbst. Schließlich sind sie es, die vom Hof gejagt werden, wenn die Wahlergebnisse anders ausfallen als gewünscht. Dann stehen am Ende alle als Verlierer da.