Richard Grenell, der frühere US-Botschafter in Berlin, gilt gewöhnlich nicht als publikumsscheu. Doch bei einem Auftritt am Donnerstag im Bundesstaat Nevada weigerte sich Donald Trumps derzeitiger Geheimdienste-Direktor vor Reportern, die ihn nicht erkannten, seinen Namen anzugeben. Gleichzeitig sprach er von „illegalen Stimmen“ für Trumps Gegner Joe Biden in dem Bundesstaat. Fragen nach Beweisen für seine Behauptung wollte Grenell schon gar nicht beantworten.

Richard Grenell, einer der letzten Getreuen Trumps, spricht in Las Vegas, Nevada.
Richard Grenell, einer der letzten Getreuen Trumps, spricht in Las Vegas, Nevada. | Bild: John Locher/dpa

Der Ex-Diplomat gehört zu einer täglich schrumpfenden Truppe von Getreuen des Präsidenten, die losgeschickt werden, um an vorderster Front – meistens in der Nähe von Wahllokalen – eine Schlacht zu führen, die Trump nach menschlichem Ermessen nicht mehr gewinnen kann. Denn am Freitag ging Biden bei den noch laufenden Auszählungen auch in Georgia und Pennsylvania in Führung.

Das rückt in den USA eine Frage in den Vordergrund: Zu welchem Zeitpunkt wird Trump, der sich noch nie in seinem Leben als fairer Verlierer gezeigt hat und als Immobilien-Spekulant Gegner wie beauftragte Handwerker massenweise mit Schadensersatz-Klagen überzog, aufgeben?

Aufforderungen zum „totalen Krieg über die Wahl“

Ob es überhaupt zu einer sogenannten Concession speech, der traditionellen Gratulationsrede für Biden, kommen wird, gilt angesichts der enorm aufgeheizten Stimmung als unklar. Trumps Sohn Donald junior hatte den Vater am Donnerstag in einem Twitter-Post sogar aufgefordert, einen „totalen Krieg über die Wahl“ zu führen – eine Wortwahl, die zum einen mangelndes Geschichtsverständnis zeigt und zum anderen zu Verschwörungstheorien wie der Behauptung überleitete, dass nur massiver Betrug Biden das Aufholen erlaube und dass sogar Toten die Stimmabgabe erlaubt worden sei. Das Ziel von Donald junior war klar: Die Basis und damit die US-Bürger aufzufordern, in diesem Kampf aktiv Partei zu ergreifen.

Donald Trump jr., Sohn des Präsidenten, twittert über „totalen Krieg über die Wahl“.
Donald Trump jr., Sohn des Präsidenten, twittert über „totalen Krieg über die Wahl“. | Bild: John Bazemore/dpa

Gleichzeitig hatte der Präsident bei einer Brandrede im Weißen Haus, von der ihn Mitarbeiter Berichten zufolge abhalten wollten, seine Vorwürfe von Wahlbetrug erneuert, ohne dafür konkrete Indizien zu liefern. Ein frustriert wirkender Trump sprach von „legalen Stimmen“, nach denen er gewonnen habe – und unterstellte einmal mehr den „korrupten Bundesstaaten“ (Trump) und Demokraten, ihm mit der Auszählung von weiteren Stimmzetteln den Sieg rauben zu wollen. Dabei scheint Trump nicht zu begreifen, dass er bei der erfolgreichen Aufholjagd Bidens ein Phänomen sieht, das er selbst verursacht hat: Weil er konservative Bürger in den letzten Monaten stets vor den Gefahren einer Briefwahl gewarnt hatte, waren diese in Massen in Person in den Wahllokalen erschienen. Sympathisanten der Demokraten stellen deshalb die große Mehrheit jener Briefwahl-Voten, die nun noch gezählt werden. Doch Trump argumentiert weiter, es würden plötzlich „Blöcke“ von „neuen Stimmen“ gefunden, und er lamentiert über die „Integrität des Wahlsystems“. Eine Rhetorik, die sein Parteifreund Rick Santorum, selbst einmal Präsidentschafts-Kandidat, umgehend als „schockierend“ und „gefährlich“ bezeichnete. Es werde sich, so Santorum, kein gewählter republikanischer Politiker hinter diese Äußerungen stellen.

Unterstützer von Donald Trump demonstrieren am Donnerstag vor einem Wahllokal in Phoenix, Arizona, gegen die Fortsetzung der Auszählung. ...
Unterstützer von Donald Trump demonstrieren am Donnerstag vor einem Wahllokal in Phoenix, Arizona, gegen die Fortsetzung der Auszählung. Bilder: AFP, dpa | Bild: OLIVIER TOURON/AFP/dpa

Damit lag Santorum richtig – mit nur wenigen Ausnahmen wie den Senatoren Lindsey Graham und Ted Cruz, die die falsche Aussage wiederholten, dass in Pennsylvania Beobachter von der Auszählung ausgeschlossen worden seien. Doch ansonsten versucht das Trump-Lager, mit Drohungen letzte Getreue zu mobilisieren. Die Basis werde „nie vergessen“, wenn sich nicht die Volksvertreter auf dem Kapitol hinter den Präsidenten stellen, hieß es in Posts in sozialen Medien. Dabei dürfte das Endergebnis für Trump, obwohl es in einigen Bundesstaaten eng zuging, demoralisierend sein.

Blick auf Trumps Manuskript während seiner Rede im Weißen Haus, Washington.
Blick auf Trumps Manuskript während seiner Rede im Weißen Haus, Washington. | Bild: Brendan Smialowski/ AFP

Nach dem Stand von Freitag Abend haben mehr als 73 Millionen US-Bürger Biden gewählt – so viele Stimmen hatte noch kein Präsident bekommen. Gleichzeitig wird in den USA immer lauter gerätselt: Was ist eigentlich die Exit-Strategie des so bedrängten und nun faktisch fast chancenlosen Feldherrn, der die Lage offensichtlich nicht mehr klar erkennen kann und am Donnerstag sogar erklären ließ, er werde am Freitag den Sieg verkünden, nachdem er Arizona zurückgewonnen habe?

Klagen ohne Beweise

Keine seiner Gerichtsklagen hat es bisher geschafft, laufende Auszählungen – von denen Biden profitiert – zu stoppen. In Georgia und Michigan verlor Trump entsprechende Verfahren, und es gab bisher nur einen irrelevanten Minimalerfolg: In Pennsylvania dürfen Beobachter etwas näher an das Geschehen ran als bisher. Für die Behauptung, es gebe systematischen Betrug an breiter Front und nicht nur die bei Wahlen üblichen seltenen Einzelfälle von minimalem Zählirrtum und doppelter Stimmabgabe, hat der Präsident bisher keine Beweise vorlegen können. Doch derartige Beweise sind für den Erfolg eines Gerichtsverfahrens unerlässlich.

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Das scheint Trump nicht bei seinen Attacken zu stören, und er wiederholte jetzt die Absichtserklärung, vor den Supreme Court – bei dem die Konservativen eine Mehrheit halten – zu ziehen. Doch der oberste Gerichtshof hat die Möglichkeit, die Übernahme von Verfahren untergeordneter Instanzen zu verweigern – und juristische Beobachter erwarten ein eben solches Verhalten. Das würde schnell dazu führen, dass Trump die Optionen ausgehen, und auch seiner PR-Kampagne gegen die laufende Auszählung würde dann rasch der Treibstoff fehlen. Der Präsident wäre dann noch mehr isoliert – und müsste sich stündlich die Frage stellen: Wie lange noch?