Es war ein hartes Kontrastprogramm für den Kanzler. Am Vormittag zählte Olaf Scholz zu den rund 450 Gästen bei der Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags von Solingen. Anschließend reiste der SPD-Politiker nach Berlin zurück, um dort die Ergebnisse der Landtagwahlen von Sachsen und Thüringen abzuwarten.

Nach den ersten Hochrechnungen ging dann so etwas wie Erleichterung durch die Parteizentrale: Die ganz große Klatsche schien nach den ersten Zahlen abgewendet, die SPD ist weiterhin in beiden Landtagen und womöglich sogar in beiden Landesregierungen vertreten. Freude mochte bei den Sozialdemokraten hingegen niemand laut äußern. Dafür ist das Ergebnis zu schlecht, vor allem geht Scholz‘ Regierungskoalition aus den beiden Wahlen angeschlagen hervor und ist einem Bruch näher denn je: Die FDP scheiterte zweimal an der Fünf-Prozent-Hürde, die Grünen haben es möglicherweise nur in Sachsen geschafft.

Landtagswahl in Sachsen und Thüringen: „Klare Botschaft in Richtung Bundespolitik“

„Unter den Blinden sind wir jetzt der Einäugige“, kommentierte eine langgediente Sozialdemokratin das Ergebnis sarkastisch. In der Tat hat sich ihre Partei im Vergleich zu 2019 in beiden Bundesländern kaum verbessert oder noch leicht verschlechtert, der mühsame Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ist kein Ruhmesblatt für eine Volkspartei mit hohen Ansprüchen. Alle Versuche der Bundesregierung und ihres Kanzlers, nach dem Anschlag von Solingen beim Thema Migration und Sicherheit zu punkten, sind offenbar erfolglos geblieben. Keiner der drei Ampel-Parteien wurde von den Wählerinnen und Wählern im Osten die nötige Kompetenz zugesprochen, die Probleme für das gesamte Land zu lösen.

„In diesem Ergebnis liegen klare Botschaften in Richtung der Bundespolitik“, räumte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ein. Viele Menschen seien „irritiert über manches, was da vom Bund kommt“, sagte er im ZDF. Eine Debatte über die bereits für 2025 angekündigte erneute Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz erwarte er nicht. Dabei zeigten die Wählerbefragungen in Sachsen und Thüringen: Nicht nur die Bundes-SPD zog die Sozialdemokraten vor Ort nach unten, der Kanzler hatte daran einen großen Anteil.

„In diesem Ergebnis liegen klare Botschaften in Richtung der Bundespolitik“, räumte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ein. Viele ...
„In diesem Ergebnis liegen klare Botschaften in Richtung der Bundespolitik“, räumte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ein. Viele Menschen seien „irritiert über manches, was da vom Bund kommt“, sagte er im ZDF. | Bild: Kay Nietfeld/dpa

Seitenhiebe könnten Aus bedeuten

Wenn Scholz auf seine Koalition blickt, dann ist da ohnehin schon gerade wenig. Der Haushalt ist nicht geeint, es wird über Messerlängen geredet statt über ein handfestes Sicherheitskonzept, die Energiepolitik erwähnt gerade lieber niemand, die Liste ließe sich fortsetzen. Ob die Koalition diesen neuerlichen Tiefschlag wegstecken kann, wird sehr von den Moderationsfähigkeiten des Regierungschefs abhängen. Beobachter gingen am Sonntag davon aus, dass sich Scholz als einäugiger König zumindest koalitionsintern Seitenhiebe auf FDP und Grüne nicht verkneifen kann. Übertreibt er es, könnte die Regierung platzen.

Die FDP sieht sich schon lange in der Märtyrerrolle. Sie steckt nach eigenem Dafürhalten viel ein, um die Regierung zusammenzuhalten. Für den Parteivorsitzenden Christian Lindner ist es noch einmal ein gehöriges Stück schwieriger geworden, seinen Leuten Gründe für einen Verbleib in der Ampel zu nennen. Denen steckt die Bundestagswahl 2013 noch in den Knochen, damals flog die FDP aus dem Bundestag. Genau diese Angst vor einem erneuten Scheitern bei vorgezogenen Neuwahlen ist womöglich der einzige Grund, der die FDP noch in der Ampel hält.

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Die Sorge wird mit Blick auf die nächste Bundestagswahl nicht kleiner. Je näher der 28. September 2025 rückt, desto mehr müssen die Parteien ihr Profil schärfen. Die Ampelkoalition sei nur eine „Übergangsregierung“, sagte Grünen-Co-Chef Omid Nouripour. Seine Kritik zeigt, dass dieser Abnabelungsprozess schon begonnen hat. Die schlechten Ergebnisse der Grünen in Sachsen und Thüringen werden in Berlin als Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der Bundespartei gewertet, der besonders im Osten das Image der Verbotspartei anhaftet. Gebietsweise konnten die Wahlplakate kaum an die Laternenpfähle gebracht werden, weil nicht genügend Freiwillige zur Verfügung standen. Damit geht es den Grünen ähnlich wie der FDP: Sie müssen ihren Mitgliedern erklären, warum sie weiterhin in einer Regierung mitarbeiten, die sie immer weiter nach unten zieht.

Für die CDU stellt sich jetzt die K-Frage

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann war derweil die Erleichterung deutlich anzumerken. Seine Partei hat ein ähnliches Ergebnis wie vor fünf Jahren erzielt, kann in Sachsen offenbar weiterhin mit Michael Kretschmer den Ministerpräsidenten stellen. „Wir sind das Bollwerk“, freute sich Linnemann.

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Eine Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linkspartei ist bei der CDU per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen. Linnemann beschwor diese Beschlüsse am Wahlabend nochmals. Dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz schadet das Ergebnis sicher nicht. Nach der Messerattacke in Solingen legte der Parteivorsitzende nach und trieb die Ampelregierung vor sich her. Aus Merz‘ Sicht dürfe es kein Tabu mehr geben, um irreguläre Migration einzudämmen. Der Oppositionsführer schaffte es, das Thema für sich zu nutzen und trotz teils rechtlich kaum umsetzbarer Forderungen die Debatte zu dominieren. Damit versuchte er, sich in den vergangenen Tagen in Position für ein höheres Amt zu bringen.

Wäre da nicht der bärtige Mann aus Bayern. Markus Söder bewies etwa bei einem Wahlkampftermin in Dresden, worin seine Stärken liegen. Während Merz mit ernsten Themen punktete, holte Söder seine Befürworter mit Unbekümmertheit und Humor ab. Vielen in Berlin ist klar: Markus Söder will Kanzler werden. Friedrich Merz wird voraussichtlich am Montag den weiteren Kurs für die Union verkünden.