Fragen Sie einen Deutschen, was ihm zu „Schweden“ einfällt, wird er wahrscheinlich Ikea sagen. Oder Köttbullar, wie Carl Gustav & Co. ihre Fleischbällchen nennen. Sportinteressierte werden sich an Ski-Ass Ingemar Stenmark erinnern, sofern sie in einer Zeit geboren wurden, als Telefone noch Wahlscheiben hatten. Und die Mobilfunkgeneration denkt sicher an Zlatan Ibrahimovic. Sollten Sie aber jemals einen Chinesen auf das Pipi-Langstrumpf-Land im Norden Europas ansprechen, wird die Reaktion anders ausfallen. „Lao Wa“, wird die Antwort lauten, der „immer blühende Baum“.
Titel und Triumphe wie kein anderer
Wann genau sie Jan-Ove Waldner diesen Ehrennamen verpasst haben, ist nicht überliefert. Vielleicht nach irgendeinem Weltcup-Turnier, nachdem er wieder einmal die chinesischen Spitzenspieler gedemütigt hatte, vielleicht war es auch erst 2004, als Waldner mit 38 Jahren noch einmal bis ins Olympische Halbfinale vorstieß. Welches Spiel, welcher Triumph der größte in der Karriere des wohl besten Spielers der Geschichte war, ist umstritten.
Es gibt schlicht zu viele. Sucht man das Einzigartige in der Statistik, waren es die Weltmeisterschaften von 1997. Waldner ist 31 Jahre alt, Muskeln und Knochen rebellieren damals bereits gegen die Belastung eines Sportlerlebens, das im frühen Kindesalter begonnen hatte.

Erster WM-Titel im Einzel 1989
Er hat zu diesem Zeitpunkt schon alles gewonnen, was es in seiner Sportart zu gewinnen gibt, war bereits 1989 Weltmeister, was in Deutschland freilich kaum einen interessierte, weil zeitgleich Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner im Doppel triumphierten. In Barcelona holte er 1992 Olympia-Gold, er wird „Mozart des Tischtennis“ genannt, weil seine Begabung so außergewöhnlich ist. „Jeder seiner Gegner weiß, dass er über die Fähigkeit verfügt, jederzeit jeden einzelnen Schlag besser als jeder andere Spieler auszuführen“, urteilten 1995 Glen Östh und Jens Fellke, beides selbst ehemalige Spitzenspieler aus Schweden, in ihrem Buch „Wie werde ich die Nummer 1 im Tischtennis?“.
1997 finden die Titelkämpfe in Manchester statt, in einem umgebauten Bahnhof vor maximal 4000 Zuschauern. Gespielt wird damals pro Satz noch auf 21 statt wie heute auf elf Gewinnpunkte, bei Weltmeisterschaften gilt es in der Hauptrunde jeweils drei Sätze fürs Weiterkommen zu gewinnen. In der ersten Runde fertigt er einen Spieler aus Vietnam ab, locker mit 3:0-Sätzen.
Dann den Weißrussen Evgueni Chtchetinine (der heißt wirklich so!). Wieder 3:0. Es folgen zwei weitere 3:0-Siege, im Viertelfinale muss dann ein Franzose als besserer Trainingspartner herhalten, im Halbfinale wird ein Chinese mit 3:0 nach Hause geschickt. Und im Finale ergeht es Wladimir Samsonow wie seinem Landsmann Chtchetinine.
Gesicht der goldenen Generation
Waldner kürt sich erneut zum Weltmeister – ohne Satzverlust im gesamten Turnier, was bis zu diesem Zeitpunkt niemand für möglich gehalten hätte. Er ist das Gesicht der goldenen Generation schwedischer Tischtennisspieler um Mikael Appelgren und Jörgen Persson.
In seiner Heimat wird er zum zweitgrößten Sportler der Landesgeschichte gewählt, hinter Stenmark, aber vor Tennis-Legende Björn Borg. Wie bei seinen populären Landsleuten sind verwertbare Aussagen für die Journalisten selten. Waldner schweigt gerne, kann bei Interviews noch stoischer sein als am Tisch. Das gefällt den Schweden – und den Chinesen. Später wird er im Reich der Mitte – natürlich – für Ikea werben, denn die Möbelpuzzle-Hersteller wissen um die Bedeutung ihres Landsmanns. Eine Briefmarke mit seinem Konterfei wird allein am ersten Tag in China drei Millionen Mal verkauft. Vielleicht, weil dieses Genie bei aller Begabung Mensch bleibt. Fehlbar.
Rücktritt ohne Firlefanz
An schlechten Tagen wirkt Waldner zuweilen lustlos, verzweifelt an sich selbst, sucht vergeblich die Leichtigkeit, die ihn sonst auszeichnet. Und er ist ein Lebemann. Einer, der selten eine Party als erster verlässt. Eine Schwäche für Pferdewetten wird ihm nachgesagt, angeblich hilft erst eine Therapie gegen die Spielsucht. Und in seinen späten Jahren, die er hauptsächlich in der deutschen Bundesliga bestreitet, ärgert er seine Gegner auch noch mit deutlichem Bauchansatz. 2016 verkündet er seinen Rücktritt. Schlicht auf Facebook mit dem Satz: „Morgen bestreite ich mein letztes Spiel.“ Keine Sprüche, kein Pathos, kein Firlefanz.
In der Erinnerung bleiben die Titelkämpfe von Dortmund, Barcelona und natürlich Manchester. In der Erinnerung bleibt er der „immer blühende Baum.“