Der VfB Stuttgart führt nach anderthalb Minuten 1:0, kontrolliert das Geschehen und verliert am Ende chancenlos 1:3 beim SC Freiburg – wo soll man einsteigen in die Geschichte dieses Spiels?
Doch gibt es tatsächlich den einen Zeitpunkt! Nach 23 Minuten bittet Schiedsrichter Tobias Welz beide Teams zur Trinkpause.
Und danach ist nichts mehr wie es vorher war – als ob sich in den Flaschen der Freiburger, wer kennt die Asterix-Comics nicht, ein Zaubertrank von Miraculix verborgen hätte.
Bis zu dieser 23. Minute hatten die Schwaben den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren lassen, wähnten sich sicher mit der 1:0-Führung im Rücken, die der Ex-Freiburger Ermedin Demirovic mit einem herrlichen Seitfallzieher besorgt hatte.
Freiburger ändern die Taktik
Doch dann agieren die Männer von Trainer Julian Schuster anders. Verzichten aufs hohe Anlaufen schon am gegnerischen Strafraum, verteidigen „tief im Block“, wie es nach dem Spiel Christian Günter beschreiben wird, aber sie intensivieren ihre Attacken.
Es führt zu Stuttgarter Ballverlusten und Freiburger Chancen. Der Zaubertrank war natürlich nicht flüssiger Natur, sondern verbaler – er hieß Korrektur der eigenen Herangehensweise, zurück zum vorher ausgetüftelten Matchplan, der selbstverständlich Varianten beinhaltet.
Schuster verzichtet darauf, sich auf die Schulter zu klopfen (das taten seine Spieler dann), er sagt es mit knitzem Blick so: „Zum Glück war es heute so warm.“
In der 27. Minute gelingt Verteidiger Lukas Kübler mit einem 20-Meter-Schuss, für den die Statistiker eine Geschwindigkeit von 121 Stundenkilometern notieren, das 1:1.
Stuttgart verliert die Kontrolle über das Spiel
In nur vier Minuten nach der Trinkpause hat sich nicht nur eine neue Selbstverständlichkeit im Freiburger Spiel entwickelt, die Kübler später so ausdrückt: „Ich bin völlig frei, den Schuss muss ich nehmen, mein rechter Fuß hat ja einen guten Spann.“
Sondern sie zeigt sich ab sofort auch im Vertrauen ins eigene Können. Vincenzo Grifo ist nicht mehr zu halten, schießt und schlenzt Bälle aufs Stuttgarter Tor, spielt die Kugel in den freien Raum, dass es eine Pracht ist.
Der Vizemeister aus Stuttgart kann froh sein, dass er mit dem 1:1 in die Pause kommt. Das auch nur, weil Torwart Alexander Nübel gegen den frei vor ihm auftauchenden Merlin Röhl super reagiert.
In der zweiten Halbzeit dauert es nur eine Viertelstunde, dann ist die Partie entschieden. Ritsu Doan erzielt im Sitzen das 2:1 (54.) und erneut Lukas Kübler per Kopfball nach Ecke von Grifo das 3:1 (61.), danach verheddern sich hilflose Stuttgarter ein ums andere Mal im dicht gewebten Abwehrnetz der Freiburger.
Am Ende hätte es angesichts großer Chancen für den Sport-Club weit höher ausgehen können.
„Es waren kleine taktische Umstellungen, die der Trainer vorgenommen hat“, sagt Christian Günter, „das hat extrem viel Spaß gemacht.“ Besser hätte das 400. Spiel im SC-Trikot für den Kapitän nicht laufen können.
Auffällig noch, dass er, Trainer Schuster und alle Spieler, die Reportern vor die Mikrofone kommen, von „geschlossener Mannschaftsleistung“, vom „starken Kollektiv“ und vom „perfekten Miteinander“ sprechen.
Sinnbild eines heißen Fußballtages
Über allem stehe ein „großes WIR“, formuliert Lukas Kübler die Freiburger Formel, die weit über diesen schönen Tag hinaus gilt.
18.30 Uhr, VfB-Bus. Im offenen Gepäckraum steht ein Kasten „Käpsele“, das ist schwäbisches Bier. Unweit steht ein Freiburger Ordner mit einem „Tannenzäpfle“ in der Hand, das ist badisches Bier.
Die Käpsele bleiben unangetastet, das Tannenzäpfle nicht – es lebe das Sinnbild eines heißen Fußballtages.