Dieser Moment, im roten Abendkleid mit silberner Trophäe in den Händen, war der goldene Abschluss und die Anerkennung auf der ganz großen Bühne für ein Jahr, das für Aline Rotter-Focken kaum besser hätte verlaufen können. Platz zwei bei der Journalistenwahl zur „Sportlerin des Jahres“ am 19. Dezember – „es war ein megaschöner Abend und ja auch sehr erfolgreich für mich. Vor allem hat man ja wegen Corona nicht so viele Möglichkeiten, sich nett anzuziehen“, schmunzelt die Olympiasiegerin aus Triberg. Die mittlerweile ehemalige Ringerin blickt voller Stolz und Dankbarkeit auf 2021 zurück – freut sich zugleich aber auch auf Veränderungen im kommenden Jahr.

Der Moment nach dem Triumph: Aline Rotter-Focken feiert ihre Goldmedaille im Ringen.
Der Moment nach dem Triumph: Aline Rotter-Focken feiert ihre Goldmedaille im Ringen. | Bild: JACK GUEZ / AFP

Was nämlich am 2. August, dem Tag des Olympia-Titels, und vor allen Dingen in den Monaten danach im Leben der 30-Jährigen passierte, war von Normalität weit entfernt. Nach ihrem sensationellen Gold-Triumph im letzten Kampf ihrer Karriere bei den Olympischen Spielen in Tokio blickte plötzlich kurzzeitig eine gesamte Sportnation auf die Vertreterin einer kleinen Randsportart – für sie selbst eine völlig neue Erfahrung.

Viel Trubel nach dem Gold-Gewinn

Feierlicher Empfang hier, Eintrag ins Goldene Buch der Stadt dort, dazu Fernseh-Interviews sowie Auszeichnungen noch und nöcher. „Dass das Telefon nie stillsteht und viele Menschen irgendwas von mir wollen, ist zwar eine große Ehre, aber auch sehr befremdlich für mich“, erklärt die Wahl-Tribergerin. „Ich fühle mich auf diesen großen Bühnen nicht unwohl. Aber man merkt, dass die Energie nachlässt. Ich brauche das nicht rund um die Uhr und hätte nie gedacht, dass das Leben ohne Leistungssport so anstrengend sein kann“, erklärt Rotter-Focken.

Tribergs Bürgermeister Gallus Strobel verfolgt, wie sich Aline Rotter-Focken im goldenen Buch seiner Stadt verewigt.
Tribergs Bürgermeister Gallus Strobel verfolgt, wie sich Aline Rotter-Focken im goldenen Buch seiner Stadt verewigt. | Bild: Maurice Sauter

Normalität ist in ihren Alltag bis heute noch nicht eingekehrt. Nahezu täglich gibt die gebürtige Krefelderin Interviews, manchmal sogar drei am Tag. Auf der Straße wird sie häufig erkannt und um Fotos gebeten, Autogrammkarten müssen immer vorbereitet werden. „Für mich bedeutet die Goldmedaille alles, aber dass es auch für andere Menschen so viel bedeutet, ist sehr besonders für mich“, sagt sie.

Das erste Kind ist auf dem Weg

Die Olympia-Euphorie ist jedoch mittlerweile verflogen. „Der Sommer war wie im Rausch. Ich bin im totalen Glücksgefühl von Party zu Party gehetzt. Diese Euphorie hat aber mittlerweile nachgelassen. Ich stehe nicht jeden Morgen auf und denke: Juhu, ich bin Olympiasiegerin“, erzählt sie, fügt jedoch an: „Ich kann mir die Gänsehaut aber ganz schnell wieder zurückholen, wenn ich an all die schönen Momente zurückdenke.“

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Ein hoffentlich besonders schöner Moment steht ihr und ihrem Mann Jan Rotter, ebenfalls ehemaliger hochklassiger Ringer, noch bevor. Das gemeinsame Kind soll im Mai 2022, den Berechnungen zufolge an Alines Geburtstag, zur Welt kommen. Auch wegen der Schwangerschaft will es die angehende Mutter in Zukunft etwas ruhiger angehen lassen und nicht mehr jede Veranstaltung mitnehmen. „Mir wurde der Stress viel zu viel. Wenn man nicht zur Ruhe kommt, verstärken sich die Symptome der Schwangerschaft. Dadurch war mein inneres Wohlbefinden zwischenzeitlich schlecht. Da hätte ich mich am liebsten verbuddelt.“

Schreibtisch statt Ringermatte

Nun sammelt Rotter-Focken Kraft, auch für die Veränderungen beruflicher Art, die ihr im kommenden Jahr bevorstehen. Beim Deutschen Ringer-Bund wird sie einen Homeoffice-Job antreten und für Themen wie Fördergelder und Sponsoren zuständig sein.

Damit will sie diese Entwicklungen strukturell voranbringen, die sie selbst mit ihrem Olympia-Erfolg ausgelöst hat. „Ich bekomme viele Nachrichten von Eltern, die es toll finden, wenn Mädels Sportarten wie Ringen machen. Manche Ringer-Verbände in Deutschland haben seit Olympia mehr als 100 neue Mädels gewonnen. Ich konnte Vorurteile über das Frauenringen abbauen. Ich erwarte keinen Boom wie bei Steffi Graf, aber wenn es nachhaltig ist, bin ich froh.“

Werbung für die Sportart Ringen

Und solange sie kann, will sie auch weiterhin ihre Popularität nutzen, um das Ringen zu repräsentieren. Dies sei auch der Hauptgrund gewesen, warum sie gegen Ende des Jahres noch so viele Veranstaltungen wahrgenommen habe. „Ich sehe es als meine Verpflichtung, Werbung für unseren Sport zu machen, bevor die Leute in einem Jahr nicht mehr wissen, wer ich bin.“

Dass das Ringen in Zukunft einen höheren Stellenwert in der überregionalen Berichterstattung einnehmen werde, glaubt Rotter-Focken nicht. „Ich bin die erste Kritikerin der öffentlich-rechtlichen Sender. Wir alle bezahlen Gebühren, dass das Angebot an Sportarten breit ist, am Ende wird aber vierte Liga Fußball ausgestrahlt. Solange sich das nicht ändert, kann sich auch nichts an der öffentlichen Wahrnehmung unseres Sports ändern. Mehr als erfolgreich sein können wir als Verband nicht.“

SÜDKURIER-Sportredakteur Christof Kaltenbach überreicht Goldringerin Aline Rotter-Focken beim Empfang in Triberg die Sportseite über ...
SÜDKURIER-Sportredakteur Christof Kaltenbach überreicht Goldringerin Aline Rotter-Focken beim Empfang in Triberg die Sportseite über ihren Olympia-Triumph. | Bild: SK

Dabei zeigt das Beispiel Rotter-Focken, dass die große bundesweite Aufmerksamkeit erst mit einer Olympia-Goldmedaille erreicht werden kann. „Ich war auch schon davor Weltmeisterin, aber erst durch die Goldmedaille sind die Menschen und Medien auf den Zug aufgesprungen. Das finde ich etwas schade“, sagt die 30-Jährige. Mit ihrem neuen Job und ihrem Namen möchte sie dagegen ankämpfen.

Auf der Matte stand Aline Rotter-Focken seit dem Finalkampf in Tokio übrigens kaum noch, in der Schwangerschaft sowieso nicht mehr. Der Abschied vom Leistungssport fiel ihr erstaunlich leicht. „Ich vermisse weder den Muskelkater, das harte Training noch das ständige Hinterherjagen eines Ziels. Das Ringen an sich und meine Trainer fehlen mir aber schon sehr“, sagt sie. Dass man Aline Rotter-Focken mal wieder in einem Ringer-Anzug sehen wird, ist unwahrscheinlich. Eher in einem roten Abendkleid.