Wenn Dennis Seidenberg es sich abends auf der Couch bequem macht, dann flimmert in seinem Wohnzimmer an der amerikanischen Ostküste selbstverständlich Eishockey über den Bildschirm. Ohne geht es nicht bei dem gebürtigen Villinger, der im vergangenen Jahr seine aktive Karriere beendet hat. Im Moment kommen die Bilder allerdings aus der Konserve – in Coronazeiten pausieren auch sämtliche Profisportligen in den USA.

Erinnerungen im TV-Programm

„Na klar, vermisse ich den Sport gerade sehr. Langsam würde es im Eishockey auf die spannendste Saisonphase mit den Playoffs zugehen“, sagt Seidenberg im Telefongespräch mit dem SÜDKURIER. „Aber zum Glück habe ich den Sender NESN, New England Sports Network, abonniert. Die zeigen seit einer Woche den Stanley Cup von 2011. Da sitze ich jeden Abend bis 23 Uhr vor dem Fernseher. Das ist zumindest irgendwas zum Anschauen, und es ist ziemlich witzig.“

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Witzig und ungewohnt, denn auf dem Eis sieht Dennis Seidenberg dann meist sich selbst, als damals 29-jährigen Abwehrspieler im Dress des Kultvereins Boston Bruins. „Ich schaue mir eigentlich nicht gerne beim Spielen zu“, sagt er, „aber es ist schön zu sehen, wie viel Eiszeit ich damals hatte.“ Es sind Erinnerungen an die besten Wochen und Monate seiner aktiven Karriere – und die Bilder aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der das Leben noch normal war.

Dennis Seidenberg wohnt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Garden City, etwa 30 Kilometer vor den Toren von New York, „der Hotzone“, wie der Deutsche die Metropole nennt, in der das Virus so heftig wütet. „Es sieht ziemlich katastrophal aus, speziell in den Krankenhäusern“, sagt der 38-Jährige über die Millionenstadt. „Ein Freund von mir ist vor ein paar Tagen nachts durchgefahren und hat ein Video gemacht, auf dem Ratten zu sehen sind, die auf den wie ausgestorbenen Straßen unterwegs sind.“

Menschenleer: Der Times Square in New York.
Menschenleer: Der Times Square in New York. | Bild: KENA BETANCUR/AFP

Auch in dem kleinen Vorort Garden City bestimmt die Pandemie inzwischen den Alltag. „Die Geschäfte sind zu, die Restaurants bieten nur noch Speisen zum Mitnehmen an“, erklärt Seidenberg. „Und die Straßen sind leer. Es herrscht Totenstille. Das ist schon komisch für diese Gegend. Normalerweise stehen die Autos immer in langen Schlangen an den Ampeln.“

Vor wenigen Wochen noch war Seidenberg täglich im Stadion seines früheren Vereins New York Islanders auf dem Eis, wo er die verletzten Spieler wieder fit gemacht hat. „Danach habe ich für mich trainiert und am Nachmittag dann Taxi gespielt für die Kinder, die zu ihren vielen Aktivitäten mussten“, erinnert er sich. Gefühlt ist das alles lange her.

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Im Moment trainiert der Deutsche zuhause entweder alleine oder mit dem jungen Kanadier Noah Dobson, der für die Islanders spielt und bei den Seidenbergs wohnt. Mit den Inlinern jagen die beiden dann auf dem Hof dem Puck hinterher. „Wir haben extra ein großes Auffangnetz hinter dem Tor aufgestellt, dass wir die Garage nicht kaputtschießen“, sagt Dennis Seidenberg und lacht.

Ansonsten besteht sein Tag aus gelegentlichem Golfspiel, dem Kochen und seinem neuen Job als Privatlehrer für die Kinder, wie er erklärt. „Da heißt es am Morgen zwei Stunden Hausaufgaben machen auf dem I-Pad. Sie wollen einfach nicht stillsitzen und lernen. Mittags machen wir dann gemeinsam Sport im Garten“, sagt Seidenberg, der sich nicht daran erinnern kann, um diese Jahreszeit jemals so lange zuhause gewesen zu sein. „Es ist ein anderes Leben, was ganz Neues“, sagt er über die Tage ohne Mannschaftstraining oder Flüge zu weit entfernten Auswärtsspielen.

Kontakte nach Villingen

Dass die Profiliga NHL ihre Saison trotz Corona zu Ende bringt, hält Seidenberg für möglich: „Die Liga will auf jeden Fall einen Stanley-Cup-Sieger haben. Sie werden alles tun, um irgendwie die Spiele in der regulären Saison und die Playoffs zu Ende zu bringen.“

Erinnerung: Dennis Seidenberg im Jahr 2011 mit seiner Frau Rebecca (links), Bruder Yannic und dem Stanley Cup.
Erinnerung: Dennis Seidenberg im Jahr 2011 mit seiner Frau Rebecca (links), Bruder Yannic und dem Stanley Cup. | Bild: imago sportfotodienst

Bis dahin bleibt er zuhause bei der Familie in Garden City, telefoniert täglich mit seinen Eltern in Villingen oder seinem Bruder Yannic in München. Und am Abend setzt der 38-Jährige sich vor den Fernseher und genießt die Abwechslung durch die Erinnerung an die guten alten Eishockeyzeiten vor neun Jahren. Wenngleich sich die Spannung dabei in Grenzen hält, wird Dennis Seidenberg auf das Ende hinfiebern. Dann sieht er sein jüngeres Ich beim größten Triumph seiner Karriere, wie es den Stanley Cup in den Himmel von Boston stemmt.