Herr Weislämle, um Kostensteigerungen abzufedern, erhöhen viele Restaurants die Preise oder schränken den Service ein. Ist das gerechtfertigt?
Die meisten Gastronomen haben gar keine andere Wahl, als an der Preisschraube zu drehen. Das ist eine logische Folge der steigenden Einkaufskosten, etwa für Lebensmittel, aber auch für Energie.
Was wäre denn derzeit ein fairer Preis für ein Schnitzel mit Pommes und Salat?
Das hängt von den Erwartungen der Kunden ab. Wenn er ein Stück Fleisch erwartet, das von einem regional und tierwohlkonform aufgezogenen Tier stammt und dasselbe auch für Beilagen gilt, würde ich sagen, dass eine Verdoppelung des aktuellen Preises gerechtfertigt wäre. Statt 15 Euro fürs Schnitzel also dann um die 30 Euro. Zumindest ist das nötig, wenn auch das Personal korrekt behandelt und bezahlt wird.

Und ein Zwiebelrostbraten mit Beilagen?
Der kostet dann vielleicht so um die 40 bis 50 Euro. Drunter geht nichts.
Das zahlt doch fast niemand…
Wie gesagt, wenn man Abstriche macht, geht es auch günstiger. Aber selbst wenn man nicht auf Bioqualität oder Regionalität achtet, müsste der Preis für Speisen im Gasthaus eigentlich steigen. Das Problem ist, dass es immer Gastronomen geben wird, die bei der Qualität der Lebensmittel oder den Arbeitsbedingungen des Personals sparen, um das Essen günstiger als die Konkurrenz von nebenan anbieten zu können. Wir müssen uns als Kunden ehrlich fragen, ob wir Zustände wollen, in denen schwarz abgerechnet wird, das Bedienpersonal quasi vom Trinkgeld leben muss und die Lebensmittel Massenware sind.
Wie kann der Kunde erkennen, ob sich der Gastronom an all die Kriterien hält und nicht vielleicht doch nur seinen Gewinn maximiert?
Das ist tatsächlich schwer. Ich denke, die einzige Möglichkeit ist es, sich mit wachen Augen umzuschauen. Wenn die Bedienungen gehetzt umherlaufen, der Umgangston rau ist und das Personal dauernd wechselt, ist sicher Skepsis angebracht. Ansonsten kann man als Kunde auch fragen, wo das Fleisch oder Gemüse eingekauft wird.
Wie schlecht die Beschäftigungsbedingungen in der Gastronomie teils sind, hat die Corona-Krise gezeigt. Die Gastronomie gehört zu jenen Branchen, die einen sehr hohen Personalabfluss zu verdauen haben. Ist das Service-Chaos also nur die gerechte Quittung für eine fehlgeleitete Personalpolitik?
Zunächst einmal gibt es viele Gastronomen, die ihr Personal gut bezahlen und in der Krise auch gehalten haben. Zum Teil, indem zum Beispiel Kurzarbeitergeld aus persönlichen Mitteln aufgestockt wurde. Aber es gibt eben auch das Gegenteil. Die leiden nun besonders unter Fachkräftemangel und schlechtem Service für ihre Gäste.

Wird der Personalmangel in der Gastronomie nachhaltig sein oder ist er nur ein Krisenphänomen?
Ich sehe da langfristig schwarz. Die Hotellerie und Gastronomie hat schon vor der Corona-Krise ein Attraktivitätsproblem gehabt. Schlechte Arbeitszeiten, wenig Lohn – diese Diskussion ist alt. Wir merken das mittlerweile auch schon bei der Hochschulausbildung. Studiengänge müssen teils um jeden einzelnen Studenten kämpfen. Und es gibt schon jetzt ein echtes Problem, was die Übergabe von familiengeführten Betrieben an die nächste Generation angeht. So schuften wie die Gründergeneration will fast niemand mehr.
Ein Blick nach Österreich zeigt eine vergleichsweise florierende Gastronomie und Hotellerie. Was macht die Alpenrepublik besser?
In Österreich ist der Tourismus traditionell Chefsache. Als Wirtschaftszweig hat er viel größere Bedeutung als in Deutschland. Entsprechend innovativ ist man dort.
Was genau ist das Erfolgsrezept?
In den vergangenen Jahren wurde viel investiert, was das gute Image der Branche als Ganzes aus Kundensicht erklärt. Man hat aber auch auf kluge und pragmatische Lösungen gesetzt. Dem Fachkräftemangel begegnet man in Österreich zum Beispiel oft durch Kooperationen. Ein Gasthof leiht dem anderen Personal aus, um Engpässe abzufedern. Wenn immer noch zu wenig da ist, stimmt man die Öffnungszeiten ab.
Das eine Haus öffnet Sonntag bis Mittwoch, das nächste Donnerstag bis Samstag sein Restaurant. Einmal kocht der Koch hier, dann dort. Durch solche Kooperationen sind auch flexible Arbeitszeitmodelle möglich. Außerdem sind Betriebswohnungen verbreitet und teils wird ein 14. Monatsgehalt bezahlt. Das führt zu einer Arbeitgeberattraktivität, von der sind die meisten Gastronomen bei uns noch weit entfernt.
Wie werden sich Fachkräftemangel und Corona-Krise langfristig auf die Gastbetriebe auswirken?
Es wird eine viel stärkere Segmentierung geben als heute. Ein Teil der Betriebe wird sich eher in Richtung Systemgastronomie entwickeln, manchmal wird sich ein Kantinenflair nicht ganz vermeiden lassen. Speisen und Getränke wird man als Kunde selbst holen müssen, vielleicht sogar das Geschirr selbst abräumen. Dafür werden die Preise erträglich sein.
Ein anderer Teil der Betriebe wird den gewohnten Service aufrechterhalten können, dafür aber auch deutlich teurer werden. Dinge, wie die derzeit diskutierte Gedeckgebühr oder sogar Eintrittspreise halte ich in diesem Segment für breitflächig möglich. Allgemein werden die Gastronomen aber auch technisch und organisatorisch aufrüsten müssen.

Was heißt das?
Serviceroboter werden wir bald häufiger sehen. Mit einer klugen Planung rentieren sich die Geräte manchmal schon nach zwei Jahren. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, müssen sich weiterhin alle Betriebe professionalisieren und effizienter werden. Das heißt, die Speisekarten entrümpeln, die Öffnungszeiten dem Kundenaufkommen anpassen und auch einfach stringenter planen. Vielleicht geht da die alte Gasthofromantik etwas verloren, ich glaube aber die Entwicklung ist zwingend.
Die Corona-Krise hat unter den Gastronomen nicht nur Verlierer produziert. Man hört, dass manche Häuser durch die Staatshilfen sogar ein echtes Geschäft gemacht hätten. Stimmt das?
Es gab ganz sicher erhebliche Mitnahmeeffekte. Aber es kommt stark auf die Einzelfallkonstellation an. Ein Wirt, der in der Corona-Krise keine Miete zahlen musste und gleichzeitig sein Personal vor die Tür gesetzt hat, konnte seine Fixkosten enorm drücken. Lebensmittel und Energie brauchte man dann ja fast nicht.
Gleichzeitig gewährte der Staat über zwei Monate Finanzhilfen von 70 Prozent der sonst üblichen Umsätze. Das war schon üppig. Demgegenüber steht aber ein Gastronom in einer Mietimmobilie, der sein Personal hielt und keine Möglichkeit hatte, Take-away-Speisen anzubieten. Der hat in der Zeit wirklich gelitten.
2021 hat ein steuerehrlicher Gastwirt aus Ravensburg mit einer Klage vor dem Bundesfinanzhof Furore gemacht. Er wollte, dass der Staat Steuerbetrügern in der Gastronomie energischer das Handwerk legt. Wie verbreitet sind schwarze Kassen in der Gastronomie?
Schwer zu sagen, aber die Baubranche und die Gastronomie sind von jeher für Steuerdelikte anfällig. Das ist zutiefst ungerecht für die ehrlichen Wirte, weil sie durch diejenigen aus dem Markt gedrängt werden können, die aufgrund von Schwarzarbeit oder Umsatzsteuerbetrug ihr Schnitzel oder das Bier für ein paar Euro oder Cent weniger anbieten.