Frau Sternberg, wann hat der Chirurg im Operationssaal ausgedient und wird von Robotern ersetzt werden?

In einigen deutschen Kliniken ist die Unterstützung durch Roboter-Chirurgen bereits Alltag. Das ist der Fall, wenn es auf absolute Präzision ankommt und Körperregionen betroffen sind, die schlecht einsehbar sind. Operationen im urologischen und gynäkologischen Bereich wären Beispiele, aber auch Krebs-Behandlungen tief im Becken, etwa bei einer Enddarmentfernung. Dort sollen Roboter durch minimalinvasive Eingriffe mit geringerem Blutverlust und kürzeren Operationszeiten ihre Stärken ausspielen und so die Genesung fördern. Eindeutig bewiesen ist dieser Nutzen zwar noch nicht. Allerdings werden in den kommenden Jahren eine Reihe weiterentwickelter Robotersysteme in die klinische Anwendung gehen.

Wo halten technische Innovationen in der Medizin noch Einzug?

Klar ist, dass Sensoren bei der Behandlung von Krankheiten immer wichtiger werden. Daher beschäftigt sich Aesculap intensiv mit dem Thema, etwa bei der Entwicklung chirurgischer Instrumente und Implantate. Sensoren werden künftig dabei helfen, Blutgefäße bei Operationen viel schonender und präziser zu versiegeln. Und es wird Prothesen geben, deren Sensoren dem Träger künftig melden, ob Überbeanspruchungen vorliegen. So etwas könnte etwa für Sportler mit künstlichen Kniegelenken vorteilhaft sein. Besonders zukunftsweisend sind Implantate, die eine Entzündung im Innern des Körpers erkennen und dann lokal Medikamente freisetzen. Hohe Medikamentendosen bis hin zur Entfernung des Implantats würden so überflüssig.

Sensoren erzeugen Daten, die verarbeitet werden müssen. Wie wichtig ist Rechnerleistung und künstliche Intelligenz in der Medizin?

Selbst lernende Systeme werden insbesondere die Diagnose von Krankheiten entscheidend verbessern. Stellen Sie sich vor, Sie kommen mit diffusen Beschwerden zum Arzt, wo ein Computer ihre Symptome mit Hunderttausenden anderer Fälle in Sekundenschnelle abgleicht und den passenden Heilungsvorschlag macht. Das kann kein Arzt alleine leisten und wird der zukünftigen patientenindividuellen Therapie stärker gerecht.

Eine weitere Vision ist es, Organe zu drucken. Wann ist so etwas marktreif?

Im Moment ist man noch nicht so weit, langfristig funktionsfähige Organe auszudrucken. Die Entwicklung geht allerdings dahin. Man arbeitet dabei mit sogenannten Biotinten, durch die Gewebestrukturen Schicht für Schicht erzeugt werden. Das Verfahren funktioniert ähnlich wie der 3D-Druck für Industrieanwendungen, nur eben auf biologischer Basis mit in die Tinten eingeschlossenen lebenden Zellen. Diesen Ansatz verfolgen auch wir bei Aesculap und spartenübergreifend innerhalb des Gesamtkonzerns B. Braun.

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Wie lange wird es dauern, bis Patienten so behandelt werden?

Im Moment ist man in einer Phase, in der viel getestet wird. Vieles findet noch außerhalb des Körpers statt, etwa wenn es um Sensoren im Kontext mit Implantaten geht, die den Zustand von Patienten überwachen. Der Trend geht aber dahin, neue Funktionalitäten auch in den Körper zu verlagern.

Das wäre dann die Entwicklung hin zu Cyborgs, also Mensch-Maschinenwesen?

Der Begriff Cyborg ist unterschiedlich belegt. Wenn es darum geht, den Menschen mit technischen Komponenten zu verbinden, ist dies nichts Neues mehr. Jeder Patient, der beispielsweise einen Herzschrittmacher, ein Innenohr- oder Netzhaut-Implantat trägt, ist nach dieser Definition bereits ein Cyborg. Der Mensch und intelligente Bauteile werden immer stärker zusammenwachsen. Die Herausforderung ist, solche Systeme absolut sicher zu gestalten, dass es beispielsweise nicht zu Fehlmeldungen von Sensoren kommt. Sicherheit geht hier klar vor Schnelligkeit.

Die Sicherheit von Medizinprodukten steht gerade stark in der Kritik. Ist Aesculap von dem Thema betroffen?

Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Die Produkte von Aesculap und der gesamten B.-Braun-Gruppe entsprechen allen gesetzlichen und behördlichen Vorgaben und durchlaufen darüber hinaus weitere unternehmensinterne Sicherheits- und Qualitätskontrollen. Unsere Kunden können sich auf ein Höchstmaß an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität unserer Produkte jederzeit verlassen.

Auch Aesculap muss bei Digitaltechnologien aufholen. Wo steht das Unternehmen?

Wir haben eine starke bis marktführende Stellung bei chirurgischen Instrumenten, Implantaten und in der Steriltechnik. Unser Ziel ist es, insbesondere in Zukunftsbereichen wie dem Digitalgeschäft noch innovativer zu werden. Dafür haben wir die Strukturen verändert und spartenübergreifendes Arbeiten im ganzen B. Braun-Konzern intensiviert. In einer intensiveren Zusammenarbeit im Gesamtkonzern steckt eine riesige Chance, denn die technologische Kraft im Haus ist ganz erheblich.

Sie sind seit gut vier Jahren in verschiedenen Positionen für die Aesculap-Forschung verantwortlich. Täuscht der Eindruck, dass Sie ziemlich viel Veränderungsbedarf sehen?

Nein, der täuscht nicht. Es wurde auch schon vieles verändert. Ich bin allerdings eine absolute Teamplayerin, die die Mitarbeiter mitnehmen möchte und im gemeinsamen Austausch um das beste Ergebnis ringt.

Wie kommt das bei den Mitarbeitern an?

Durch die technologischen Veränderungen wird das Arbeiten bei Aesculap herausfordernder, die Mitarbeiter bekommen aber auch mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Sie haben seit einiger Zeit beispielsweise die Möglichkeit, sogenannte Fach- bzw. Expertenkarrieren anzustreben. Das bedeutet, sich fachlich weiterzuentwickeln, ohne Personalverantwortung zu übernehmen. Das soll unsere Innovationsfähigkeit voranbringen und insbesondere die Talente des Einzelnen besser zur Wirkung bringen. Wir brauchen die richtigen Leute am richtigen Platz. Die Mitarbeiter sehen ja selbst, welcher Veränderungsdruck sich durch die neuen Technologien derzeit aufbaut, und sie wissen auch, dass man darauf Antworten finden muss, um langfristig im Markt zu bleiben. Daher nehmen sie die Veränderungen gut an.

Zukunftsfelder allein auszubauen, wird schwer. Denken Sie an Zukäufe?

Wir werden uns auch Gedanken über Zukäufe in bestimmten Technologiefeldern machen, etwa im Softwarebereich. Nötig werden aber auch mehr Kooperationen und strategische Partnerschaften mit externen Technologiepartnern sein. Dabei dürfen unsere Fähigkeiten aber nicht nach außen abwandern. Die Kompetenz, Technologie zu verstehen und zu bewerten muss hier im Haus sein und bleiben.

Aesculap spart. Wie wirkt sich das auf die Forschung aus?

Auch die Forschung und Entwicklung muss ihre Mittel effizienter einsetzen. Das gelingt beispielsweise durch projektbezogeneres Arbeiten und einfachere Strukturen. Das schafft den nötigen Freiraum, in Wachstumsfelder zu investieren. Wenn es gut begründete Projekte gibt, für die zusätzliche Mittel benötigt werden, sind diese bislang immer bewilligt worden. Es ist so wie im eigenen Haushalt. Man muss einfach wissen, wo das Geld ausgegeben wird, und es schadet auch nicht, dass man hin und wieder einmal aufräumt.

Wie fördern Sie Frauen?

Ich halte nichts davon, Frauen in bestimmte Positionen zu berufen, nur weil sie Frauen sind. Es geht vielmehr darum, die richtigen Rahmenbedingungen bereitzustellen, dass Frauen dahin kommen, wo sie hinwollen. Das gelingt beispielsweise durch Netzwerkbildung, die es bislang eher unter Männern gibt. Karriere um der Karriere willen kann aber nicht das Ziel sein. Ich bin zum Beispiel nicht zu Aesculap gekommen, um Vorstand zu werden, sondern nach Jahren an der Uni hatte ich einfach Lust dazu, mein Wissen im industriellen Umfeld praktisch anzuwenden und innovative Medizinprodukte zu entwickeln. Ich treibe mich durch das, was ich tue.