Winter ist seit je her Hochsaison für den Tod, weil alles Graue und Nasse einlädt zum Sterben. Und weil statistisch gesehen im Winter auch die meisten Suizide geschehen, sagt Rosina Eckert.
Seit 2005 ist sie Leiterin des Bundesausbildungszentrums der Bestatter. Eckert, Anfang sechzig, kurze Haare, offenes Wesen, in ihrem vorigen Berufsleben als Standesbeamtin vor allem mit Trauungen und Geburten befasst, sagt, dass der Beruf des Bestatters im Grunde auch ein sozialer sei. „Weil man eigentlich genauso viel mit den Lebenden zu tun hat wie mit den Toten.“ Dazu gehöre viel Empathie. Für Ersteres. Und für Letzteres ein gewisser Grad an Zähigkeit: „Ständig mit dem Tod konfrontiert zu sein, ist nicht für jeden was.“ Manchem reiche es ja schon, wenn er nur an den eigenen Tod denkt, um Angst zu bekommen. Ob sie selbst mit Anfang sechzig manchmal an den Tod denke? Angst davor habe? „Nein, sagt Eckert, „nur vor dem Sterben.“ Wenn es lange dauert. Sie zeigt mit dem Kopf zum Fenster. „Gleich gegenüber haben wir hier zwei Pflegeheime.“
Das Bestatterzentrum liegt am Rande von Münnerstadt, Postleitzahl 97702, einem stillen Städtchen mit 7700 Seelen, Landkreis Rhön-Grabfeld, Unterfranken, früheres Zonenrandgebiet. Die Lokalpresse nennt Münnerstadt die „Deutsche Bestatter-Hauptstadt.“ An der Straße, von der aus man abbiegen muss, um zum Zentrum zu gelangen, liest man auf dem Hinweisschild den Gang aller Dinge, von oben nach unten: Jugendhaus, Altenheime, BAZ Bestatter.
Vor dem Gebäude stehen nun zwanzig Schüler in der Kälte, wippen von einem Fuß auf den anderen, trinken Kaffee aus Pappbechern, rauchen, Mädchen, Jungen, zwischen 17 und 25 Jahre alt. Fabian, 22, ist einer der wenigen Nichtraucher. Er lacht. „Hab ich später weniger Kollegen, die mir Konkurrenz machen und mehr Arbeit.“ Fabian, im letzten Lehrjahr, dunkle Brille, dichte Locken, mittelgroß, entstammt einem kleinen Bestattungsunternehmen in Ostfriesland. „Familiär vorbelastet sozusagen.“ Er wird die vierte Generation sein. Nach dem Einserabitur vor vier Jahren begann er zunächst bei einer Versicherung. Auch, um einmal was anderes zu sehen. Schließlich begleiteten ihn die Toten ein Stockwerk unter der elterlichen Wohnung seit seiner Kindheit. Der Job bei der Versicherung erfüllt ihn nicht. „Zu trocken.“ Also beginnt er eine Ausbildung bei einem Bestatter in einer Kleinstadt bei Köln. Sein Vater freut sich nur ein bisschen. Einerseits gut, weil die Familientradition weitergeht. Andererseits, sagt er dem Sohn, müsse vielleicht auch irgendwann mal Schluss sein mit den Toten. Aber für Fabian ist schnell klar, dass Bestatter auch für ihn der Traumberuf ist. Mit das Schönste daran sei die Thanatopraxie. Er macht eine kurze Pause. „Das Herrichten der Leichen.“ Den Toten noch einmal so herzurichten, wie er war, als er noch lebte. Gerade bei Unfalltoten könne man damit den Hinterbliebenen einen letzten Dienst erweisen. „Weil ja bei Unfällen das Unfassbare des Todes noch verstärkt wird.“
Die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft ist in Deutschland seit dem 1. August 2003 möglich. Die Ausbildungsdauer beträgt drei Jahre und wird in Bestattungsinstituten und in Friedhofsverwaltungen durchgeführt. Die Ausbildungsvergütung ist sehr niedrig. Etwa 350 Euro im ersten Lehrjahr über 400 Euro im zweiten bis zu 450 Euro im dritten Lehrjahr.
Die praktische Ausbildung – einen kaufmännischen Teil gibt es auch – wird im Betrieb durchgeführt und umfasst unter anderem die Bergung, Überführung, Versorgung, Einkleidung und Einbettung von Verstorbenen. Grabtechnik, Warenkunde, Dekoration, Beratungsgespräch und Trauerpsychologie werden in drei überbetrieblichen Lehrgängen im Bundesausbildungszentrum der Bestatter in Münnerstadt gelehrt.
Lisa, 20 Jahre alt, groß, blond, feine Gesichtszüge, hat den Großteil der Ausbildung schon hinter sich. Auch sie ist im dritten Lehrjahr bei einem Bestatter in Stuttgart. Sie gehört zu jener Minderheit des Bestatternachwuchses, der einen branchenfremden familiären Hintergrund hat. Mit 12 Jahren entdeckte sie zum ersten Mal ihr Interesse an diesem Beruf. Zunächst für die Pathologie. Mit den Eltern schaute sie, früh schon sehr reif, jeden Sonntagabend den Tatort. War immer fasziniert von den Gerichtsmedizinern. Als sie mit 18, nach dem Abitur, tatsächlich Bestatterin werden will, sind ihre Eltern, die Mutter Arzthelferin, der Vater in einer Papierfabrik tätig, entsetzt. „So ein hübsches kluges Mädchen und dann nur mit Toten zu tun?“ fragten sie. Lisa lächelt: „Mittlerweile haben sie sich aber beruhigt.
“ Weil sie sehen, wie sehr ihr der Beruf Spaß macht. Weil er so facettenreich sei. Und eigentlich auch eher eine Berufung als ein Beruf. „Man merkt dabei schnell, das will man oder man lässt es.“ Das fange schon bei den Arbeitszeiten an. Am Wochenende oder auch mal nachts. Weil der Tod ja keinen Kalender hat, sich weder an Wochentage hält noch an Uhrzeiten. Spätestens aber bei der ersten Leiche, die man hole, wisse man dann sicher, ob man das will, sagt sie und lacht und alle anderen lachen jetzt mit. Sie wollte es.
Trotzdem habe es schon Tage gegeben, nach denen sie ans Aufhören dachte. Weil sie zu heftig waren. Entweder mental oder körperlich oder beides zusammen. Ihr erster Suizid beispielsweise, am Ende des zweiten Lehrjahres. Kopfschuss. „Das war nicht schön.“ Oder aber, der Fluch eines Großstadtbestatters, der hohen Anonymität in Großstädten wegen: lange bei Zimmertemperatur liegende, halb oder noch mehr verweste Leichen abholen zu müssen. Das seien vor allem geruchliche Grenzsituationen. Und einen stabilen Magen brauche man auch dafür. Den sie glücklicherweise habe. Der ihr aber beim ersten Mal auch nichts mehr geholfen hat. Das Schlimmste jedoch, für jeden Menschen wie auch jeden Bestatter: ein totes Kind. Bei ihr war es zu Beginn des zweiten Lehrjahres soweit. Ein vier Jahre altes Mädchen, das an einem Herzfehler verstorben ist. „Da hatte ich ’ne Woche dran zu knacken.“ Selbst ihr Chef, bei aller Routine, sei fertig gewesen. Routine sei sowieso unangebracht in diesem Job. Zumindest nach außen gezeigte.
Die Pause ist zu Ende. In Raum 1.1.7, Übungskapelle, beginnt nun das Modul Trauerfeier, das letzte des Tages. Die Kapelle besteht aus einem kleinen Altar und sieben Sitzreihen. Auf dem Boden vor dem Altar steht ein CD-Spieler. In Regalen rechts und links liegen Requisiten verstaut. Dutzende verschiedene Kerzen, Kränze, Puppen, Stofftiere, Gummi-enten, Fußbälle, Motorradhelme, Sportpokale. „So wie die Gesellschaft immer individueller wird, werden es auch die Trauerfeiern,“ sagt Matthias Liebherr, ein gemütlicher Mann von 50 Jahren mit Russenmütze über schütterem Haar, der dieses Modul leitet. Was auch gut sei. „Das Leben ist nun mal einmalig“, sagt er, „dann soll es auch die Trauer darum sein
Es ist fünf Uhr am Nachmittag, der Schultag geht zu Ende. Dunkelheit senkt sich auf Münnerstadt. Matthias Liebherr, der früher als Kind oft im Leichenwagen des Vaters mitgefahren ist und sich duckte, wenn er einen Freund am Straßenrand sah, ist seit 27 Jahren Bestatter. Er sagt: „Ich konnte mir nie was anderes vorstellen als das.“ Vielleicht auch, sagt er, weil einem dieser Beruf den Tod ständig vor Augen hält und man deswegen das Leben, das doch alles in allem sehr kurz sei, umso mehr zu schätzen lernt.
Die Totengräber
In Deutschland gibt es derzeit 5400 Bestattungsunternehmen mit insgesamt rund 20 000 Beschäftigten und 490 Azubis zur Bestattungsfachkraft. Im kaufmännischen Teil der dreijährigen Ausbildung werden das Beratungsgespräch mit den Angehörigen, die Organisation, Planung und Kontrolle der Bestattung, aber auch die Beurkundung eines Sterbefalls beim Standesamt sowie alle nach einem Sterbefall abzuwickelnden Formalitäten vermittelt. Der praktische Teil findet im Betrieb statt. Der Beruf des Bestatters ist frei. Die Ausbildung allerdings ist geregelt. (ml)
Die Totengräber
In Deutschland gibt es derzeit 5400 Bestattungsunternehmen mit insgesamt rund 20 000 Beschäftigten und 490 Azubis zur Bestattungsfachkraft. Im kaufmännischen Teil der drei-jährigen Ausbildung werden das Beratungsgespräch mit den Angehörigen, die Organisation, Planung und Kontrolle der Bestattung, die Kalkulation und Rechnungslegung, aber auch die Beurkundung eines Sterbefalls beim Standesamt sowie alle nach einem Sterbefall abzuwickelnden Formalitäten vermittelt. Dazu gehören zum Beispiel das Abmelden eines Verstorbenen bei den Krankenkassen und den Rentenversicherungen. Der praktische Teil findet im Betrieb statt. Der Beruf des Bestatters ist frei und kann auch ohne Ausbildung oder Prüfung ausgeübt werden. Die Ausbildung allerdings ist geregelt. (ml)