„Es waren Schilderungen, die uns allen ins Mark gegangen sind“, weiß Niklas Nüssle, der Landtagsabgeordnete der Grünen aus Waldshut, noch. Und: „Es war einfach ergreifend, was uns da berichtet worden ist.“ Was da berichtet worden ist im Ausschuss für Europa und Internationales des baden-württembergischen Landtages, dessen Mitglied Nüssle ist, war die Lage im nordirakischen Dohuk. Dort ist die landeseigene Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit tätig. Und diese arbeitet unter anderem die Traumata auf, die besonders die im Irak lebende Minderheit der Jesiden erleiden musste.

Nikas Nüssle ist Landtagsabgeordneter der Grünen aus Waldshut.
Nikas Nüssle ist Landtagsabgeordneter der Grünen aus Waldshut. | Bild: Nico Talenta

Eingeladen in den Ausschuss war der Psychologieprofessor und Traumatologe Jan Kizilhan, der Jesidinnen und Jesiden seit Jahren unterstützt und 2015 entscheidend dazu beigetragen hat, dass Baden-Württemberg binnen fünf Jahren etwa 1000 Jesidinnen samt ihren Kindern aufgenommen hat. Ziel war es, sie vor der brutalen Behandlung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), anerkannt als Genozid durch den Deutschen Bundestag, zu schützen.

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Jesidische Einwanderung als Erfolgsgeschichte

Es war ein Alleingang des Landes, nachdem Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit den erschreckenden Berichten und Bildern von Gräueltaten konfrontiert worden war. Aus Kizilhans Sicht ist es eine Erfolgsgeschichte. Die Jesidinnen hätten sämtlich gut Deutsch gelernt, hätten Jobs und ihre Kinder machten Abitur oder studierten bereits. Unter den ab 2015 Eingewanderten war auch Nadia Murad, 2018 Co-Trägerin des Friedensnobelpreises und UN-Sonderbotschafterin für Überlebende des Menschenhandels.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war 2015 die treibende Kraft für die Aufnahme jesidischer Frauen, ...
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war 2015 die treibende Kraft für die Aufnahme jesidischer Frauen, darunter auch Nadia Murad. | Bild: Christoph Schmidt/dpa

Aber eben: Als Familien in Deutschland neu zu starten, war ihnen nicht vergönnt, denn die Ehemänner und Väter mussten im Irak zurückbleiben. Und um die geht es jetzt: Dass ein Sonderkontingent von 20 bis 30 überwiegend jesidischer Männer nachkommen darf. Der Landtagsausschuss sagte dazu fraktionsübergreifend Ja. Auch aus den Reihen der CDU-Mitglieder war das Votum positiv. Darunter ist mit Sabine Hartmann-Müller, Vorsitzende des CDU-Fraktionsarbeitskreises Europa und Internationales, ein weiteres Landtagsmitglied vom Hochrhein. Der „Staatsanzeiger“ titelte schon: „CDU willigt ein: Jesidische Männer dürfen kommen.“

Sabine Hartmann-Müller ist CDU-Landtagsabgeordnete mit dem Wahlkreis Waldshut.
Sabine Hartmann-Müller ist CDU-Landtagsabgeordnete mit dem Wahlkreis Waldshut. | Bild: Wahlkreis Hartmann-Büro

Aber jetzt deutet sich eine Trendwende ab, das fraktionsübergreifende Ja vom Juni bröckelt. Denn Hartmann-Müller teilt auf Nachfrage mit: „Es wird keine neuen Sonderkontingente geben. Ich unterstütze hier ausdrücklich die Position von Manuel Hagel und der CDU-Landtagsfraktion.“ Ihr Ja im Ausschuss vom Juni wertet sie jetzt „vorschnell und unabgestimmt“. Es sei aus einem internen Missverständnis heraus“ entstanden.

Sarah Hagman ist grüne Landtagsabgeordnete aus Lörrach.
Sarah Hagman ist grüne Landtagsabgeordnete aus Lörrach. | Bild: Theresia Lindner

Gut für die Trauma-Verarbeitung

Sarah Hagmann, grüne Landtagsabgeordnete aus Lörrach und in ihrer Fraktion Sprecherin für Internationales, kann den Sinneswandel nicht nachvollziehen. Sie sagt: „Die noch im Irak lebenden Ehemänner und Väter haben den grausamen Angriff des IS zwar überlebt, trotzdem müssen sie weiterhin getrennt von ihren Familien leben. Für die Trauma-Verarbeitung ihrer Frauen und Kinder wäre der Nachzug ihrer Väter essenziell. Hier erwarte ich eine baldige Klärung.“

Aber für die Grünen wäre das noch nicht genug. Sie setzen sich zusätzlich dafür ein, dass auf Bundesebene weitere 200 bis 300 Jesidinnen nach Deutschland einreisen können und stützen sich dabei auf den grün-schwarzen Koalitionsvertrag von 2021, der das vorsieht und der sich ausdrücklich­­­ auch zum Familiennachzug bekennt.

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Ob die aus 20 bis 30 Personen bestehende Jesiden-Gruppe einreisen darf, sei derzeit „Beratungsgegenstand innerhalb der Landesregierung“, so eine Sprecherin des Stuttgarter Staatsministeriums. Dass keine weitere 200 bis 300 Jesidinnen nach Deutschland einreisen können, steht wohl aber schon fest. Stattdessen, so die Sprecherin, wolle die Landesregierung lieber die Lage der Menschen vor Ort verbessern.