Nach jahrelanger Diskussion hat das Berliner Bundesfinanzministerium eine weitreichende Entscheidung zum Einkaufstourismus von Nicht-EU-Ausländern getroffen. Für ihre Einkäufe in Deutschland sollen sie die Mehrwertsteuer erst ab einer Grenze von 50 Euro zurückbekommen. Im Fokus der Regel stehen die Schweizer, die Millionenfach im Jahr in Deutschland einkaufen. Eine Übersicht:
- .Was will der Finanzminister? Ab nächstem Jahr wird das Einkaufen für hunderttausende Schweizer in Südbaden weniger lukrativ. Denn Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) beschneidet die Rückerstattung der Mehrwertsteuer. Diese soll es ab dem ersten Januar erst für Einkäufe ab 50 Euro geben. Schon am Mittwoch wird das Bundeskabinett die Einführung der sogenannten Bagatellgrenze mit dem Jahressteuergesetz beschließen. Im Herbst wird sich dann der Bundestag mit der Sache befassen. Eine Zustimmung gilt als sehr wahrscheinlich. „Die politische Entscheidung, das jetzt so zu machen, ist gefallen“, hieß es aus Kreisen der Berliner CDU. „Wir werden die Grenze einziehen und sie wird ab dem ersten Januar 2020 gelten“, sagte ein hoher Beamter unserer Redaktion. Damit endet eine jahrzehntelanges Hin und Her. Bereits in den frühen 1980er Jahren wurde darüber diskutiert, das Privileg der grünen Zettel der Nachbarn aus der Alpenrepublik zu stutzen.
- .Was heißt das für die Grenzregion in Südbaden? Der Finanzminister hofft damit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Einerseits sollen die ungewollten Nebenwirkungen des Schweizer Einkaufstourismus auf deutscher Seite gemildert werden. Die langen Schlangen in Supermärkten und vor den Grenzübergängen sollen kürzer werden. Damit will Scholz auch seine Zollbeamten entlasten, die derzeit mit dem Stempeln grüner Zettel an beinahe ausgelastet sind. Andererseits soll die Grenze von 50 Euro die zahlungskräftigen Kunden aus der Alpenrepublik nicht abschrecken. Sie sollen nur nicht mehr so häufig wegen kleiner Besorgungen kommen.
- .Wie viel Geld tragen die Schweizer nach Südbaden? Nach den Zahlen der örtlichen Industrie- und Handelskammern waren es vergangenes Jahr 1,6 Milliarden Euro. Für die örtlichen Einzelhändler, Wirte und Handwerker sind sie ein wichtiger Teil der Kundschaft. Seit 2012 haben sie 5000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Viele Märkte und Geschäfte gäbe es ohne die Schweizer nicht. Grob gesagt gehen rund ein Drittel aller Handels-Jobs und Ladenflächen in der Grenzregion auf den Konsum von Schweizer Einkäufern zurück. In Brennpunkten wie Konstanz sorgen sie für 50 Prozent der Einzelhandelsumsätze. Handwerker mit einem angeschlossenen Handel profitieren zudem davon, dass sie nicht nur Werkzeuge verkaufen, sondern gleich einen Auftrag mit an Land ziehen können. Aktuell sinkt die Zahl der Eidgenossen in Deutschen Geschäften. Grund ist unter anderem eine deutlich aggressivere Preispolitik des Schweizer Handels, etwa der Migros.
- .Warum ist Einkaufen für die Schweizer in Deutschland so günstig? Aus drei Gründen. In der Schweiz werden deutlich höhere Löhne gezahlt. Außerdem ist der Franken im Vergleich zum Euro relativ stark, weshalb die Eidgenossen mit viel Kaufkraft ausgestattet nach Deutschland fahren. Dazu kommt noch hinzu, dass Lebensmittel hierzulande vergleichsweise günstig sind und eben die Mehrwertsteuer erstattet wird. Sie kann mit dem abgestempelten grünen Zettel beim nächsten Einkauf verrechnet werden.
- .Was bedeutet das für Zoll und Staatskasse? Den Finanzminister ärgert, dass er seine Zollbeamten an der Südgrenze für das Stempeln der grünen Ausfuhrzettel abstellen muss. Im Jahr 2018 waren es gut 16 Millionen Stück. Damit entfallen drei Viertel aller Scheine zur Erstattung der Mehrwertsteuer auf die Schweiz. Der Rest verteilt sich auf Flughäfen und Häfen. Durch die Bagatellgrenze sollen je nach Rechnung bis zu sieben Millionen Zettel überflüssig werden, die heute für Einkäufe von unter 50 Euro anfallen. Der Zoll soll damit freie Kapazitäten bekommen, um sich um Geldwäsche und Schwarzarbeit kümmern zu können. Nach Berechnungen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fallen nach Einführung der Wertgrenze rund 30 Prozent der grünen Zoll-Zettel weg. Damit falle „ein Teil der Last von den Zöllnerinnen und Zöllnern“ ab, sagte Andreas Gallus von Verdi unserer Zeitung. Die Effekte auf die Staatskasse sind begrenzt. Das Bundesfinanzministerium erwartet, dass den Schweizern 15 Millionen Euro weniger erstattet werden.
- .Ist die Wirtschaft in der Grenzregion der Verlierer? Nein. Denn Bundesrechnungshof und Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages hatten auf eine deutlich höhere Bagatellgrenze von 175 Euro gesetzt. Die Abgeordneten aus der Grenzregion Armin Schuster, Felix Schreiner, Andreas Jung und Thorsten Frei konnten aber den Finanzminister davon abhalten, der Empfehlung zu folgen. „Das ist ein guter Kompromiss und eine in der Sache angemessene Lösung. (…)175 Euro sind eben gerade keine Bagatelle“, erklärten die vier CDU-Abgeordneten. Von Edeka Baur hieß es, man sei gegen die Bagatellgrenze und rechne mit einem Rückgang der Schweizer Kunden von über zehn Prozent.
- .Was sagen die Schweizer? Eine Blitz-Umfrage dieser Zeitung in der Konstanzer Innenstadt ergab wenig Aufregung auf Schweizer Seite. „Ich werde weiterhin einkaufen in Konstanz„, sagte etwa Marcel Fischer aus Zürich. Ähnlich äußerten sich andere.
- .Wie lange soll die Bagatellgrenze gelten? Nur so lange bis eine Smartphone-App zum Einlesen der Einkäufe fehlerfrei funktioniert. Danach soll die 50-Euro-Marke wieder aufgehoben werden. Wir sind hier nicht bei null, heißt es aus dem Finanzministerium. Zumindest die Abfertigung an der Grenze würde dann schneller laufen. „Das muss jetzt mit Hochdruck umgesetzt werden“, verlangen die vier CSU-Männer. Es könnte allerdings dazu führen, dass wieder mehr Schweizer wegen kleinerer Einkäufe nach Deutschland kommen.