Volkswagen, Daimler, BMW und Audi: Die Liste der Autokonzerne, die im Verdacht stehen, Abgaswerte manipuliert zu haben oder dies bereits längst zugegeben haben, ist lang. Auch Zulieferer wie Bosch, Conti oder ZF Friedrichshafen hatten dabei möglicherweise ihre Finger im Spiel.

In einer Sammelklage von US-Anwälten, die dem SÜDKURIER vorliegt, wird ZF Mitverschwörung bei CO2-Abgasmanipulationen bei Audi-Fahrzeugen vorgeworfen. Beklagte in dem seit Ende 2017 anhängigen Verfahren sind Audi und Bosch. ZF und andere Zulieferer werden in dem Papier als „Co-Conspirator“ bezeichnet. Konkret geht es um CO2-Schummeleien mit Hilfe intelligenter Getriebe. Die Mitwirkung von ZF sei, so die Kläger, „wahrscheinlich“. Die Faktenfindung dauere aber noch an.

ZF verwies darauf, „in dieser Klage weder als Beklagte geführt noch benannt“ zu werden. Zudem seien ZF „keine behördlichen Untersuchungen zu dieser Thematik gegen ZF“ bekannt. Wir haben einen Autoexperten und einen Umweltfachmann zu diesem Themenkomplex befragt und ihre Sicht der Dinge für Sie zusammengefasst:

  1. Wie kann ein Getriebe auf dem Prüfstand den CO2-Ausstoß beeinflussen? „Die modernen Schaltgetriebe können abhängig von Drehzahl und Last gesteuert werden. Dadurch können Getriebe auf dem Prüfstand gezielt eingestellt werden“, sagt der Umweltexperte Axel Friedrich, der Abteilungsleiter für die Bereiche Verkehr und Lärm im Umweltbundesamt war und als Sachverständiger für die Deutsche Umwelthilfe arbeitete. Das führe dazu, dass die CO2-Emmissionen besser ausfallen als im realen Leben. Denn die Gänge werden unnatürlich früh eingelegt. Diese Getriebe-Technologie gibt es laut Friedrich seit gut einem Jahrzehnt. „Früher gab es fest stehende Schaltpunkte, heute gibt es variable Schaltpunkte“, erklärt Friedrich.
    Der Autoexperte Stefan Bratzel.
    Der Autoexperte Stefan Bratzel. | Bild: Center of Automotive Management
  2. Welche Rolle spielen die Zulieferer bei der Manipulation von Abgaswerten? „Ein Hersteller kann nicht ohne Kooperation mit dem Zulieferer diese Technologie einsetzen“, sagt Friedrich. „Hersteller und Zulieferer sind wie Zwillinge. Ein Hersteller stellt ja im Normalfall nicht selber ein Getriebe her“, so der 72-Jährige. Ähnlich sieht es Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. „Die Manipulation von Abgaswerten war ein Branchenthema. Die Zulieferer haben den Herstellern Lösungen angeboten und waren dadurch zumindest Mitwisser“, sagt er.
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  3. Warum ist es für die Behörden so schwierig, Manipulationen von Abgaswerten aufzudecken? Das technologische Wissen bei den Behörden hinke dem Know-how der Autokonzerne hinterher. Zudem seien die Behörden personell schwächer besetzt, erklärt Friedrich. Das Kraftahrzeugbundesamt sei immer in einer schlechteren Position. „Es gibt keine Waffengleichheit zwischen Behörden und Herstellern. Es ist ein Hase-und-Igel-Spiel“, so der Verkehrsexperte.
  4. Warum wird der Ausstoß von Abgasen nicht direkt auf der Straße gemessen? „Die Wahrheit liegt auf der Straße und nicht im Labor“, sagt Friedrich. Deshalb fordern er und viele Umweltverbände die Emissionen dort zu messen, wo sie anfallen. Technisch sei das bereits heute möglich, aber die Umsetzung scheitere an der mächtigen Automobillobby, so Friedrich.
    Umweltfachmann Axel Friedrich
    Umweltfachmann Axel Friedrich | Bild: Britta Pedersen
  5. Sind Manipulationen von C02-Werten mit Manipulationen von Stickoxid-Werten (NOX), die im VW-Abgasskandal die Hauptrolle spielten, vergleichbar? Im Grundsatz ja, sagt Stefan Bratzel. Es gehe in beiden Fällen darum, Gesetzeslücken und Grauzonen auszunutzen, um die Abgaswerte zu schönen. Teilweise seien die Hersteller über diese Grauzonen hinausgegangen. Wenn dieser Vorwurf zutreffe, sei es in beiden Fällen strafrechtlich relevant, weil man die Verbraucher bewusst täusche. „Die ganze Autobranche hat sich bei den Themen CO2 und NOX nicht mit Ruhm bekleckert“, sagt er. Dementsprechend könne er den Imageverlust der Branche nachvollziehen.
  6. Wie unterscheiden sich die Kontrollen in den USA von den Kontrollen hierzulande? „In den USA sind die Kontrollen viel stärker und die Strafen drastischer“, sagt Friedrich. Deshalb seien die USA in dieser Hinsicht ein Vorbild für uns. „Bei uns kann man betrügen ohne Ende, ohne bestraft zu werden“, sagt er. Etwas vorsichtiger formuliert es Bratzel. „Im Zuge des Diesel-Skandals sind die Behörden aufgewacht und besser aufgestellt als zuvor“. Zudem seien die Sanktionen auch bei uns verschärft worden.
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  7. Tun die Unternehmen intern genug, um künftige Verstöße zu vermeiden? Die Autokonzerne legen einen viel größeren Wert auf Compliance (gesetzeskonformes Verhalten) als früher, sagt Bratzel. Mitarbeiter und Manager seien mittlerweile in Bezug auf mögliche Gesetzesverstöße sensibilisiert. Man könne aber darüber streiten, ob die bisherigen Compliance-Anstrengungen ausreichen, erklärt Bratzel. Nach Informationen dieser Zeitung hat eine ZF-Task-Force zusammen mit US-Experten 2017 monatelang in der Sache intern ermittelt. Von vier Mitarbeitern, darunter Top-Manager, habe man sich getrennt, sagte ein Insider unserer Zeitung. ZF teilte dazu mit, „zu internen Prozessen, insbesondere zu Personalfragen, grundsätzlich keine Auskunft“ zu geben.
  8. Was sollte man aus Umweltgesichtspunkten beim Autokauf beachten? „Wir kaufen immer größere, schwere und schnellere Autos„, kritisiert Axel Friedrich. Es sei „Wahnsinn“, wenn ein Auto, das 2,5 Tonnen wiege, einen Mensch von 70 Kilo transportiere. Er empfiehlt, Autos zu kaufen, die den tatsächlichen Mobilitätsbedürfnissen entsprechen. „Ich fahre zum Beispiel einen Fiat 500 aus dem Jahr 1973 mit 18 PS. Heute haben Neuwagen im Durchschnitt 150 PS im Mittel. Das zeigt, wie pervers das System geworden ist“, sagt Friedrich.