An diesem Septembertag fällt es Nicole Razavi schwer, sich in ein graues Büro zu setzen. Draußen zeigt sich der Bodensee von seiner schönsten Seite. Es ist erstaunlich mild für die Jahreszeit, und am Ufer glitzert das Wasser im Sonnenlicht. „Ich hätte ewig an der Promenade sitzen bleiben können“, sagt die baden-württembergische Bau-Ministerin.

Die CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag hat ihre diesjährige Klausurtagung nach Konstanz gelegt. Und da hatte CDU-Politikerin Razavi auch Zeit, sich in der Universitätsstadt umzuschauen.

Immobilien-Brennpunkt Konstanz

Eigentlich ist der Ort für eine Bau-Ministerin perfekt gewählt. Zumindest lassen sich in Konstanz viele Herausforderungen des Immobilienmarkts wie in einem Brennglas betrachten. Wohnraumknappheit, hohe Preise, oft dürftige Bausubstanz und Auswüchse bei den Mieten. Der Motor beim Wohnungsbau sei bundesweit „fast ausgegangen“, sagt die Ministerin, die jetzt nicht mehr auf dem Bänkchen am See sitzt, sondern in der Redaktion des SÜDKURIER Platz genommen hat.

Um den viel beschriebenen „Gau auf dem Bau“ abzuwenden und das Leben für Mieter, Vermieter und Häuslebauer besser zu machen, hat Razavi ein Instrumentarium zur Hand wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte des Bundeslandes. Insbesondere hat sie ein eigenes Ministerium.

2021 entschied Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), den Bereich Bauen und Wohnen aus dem Wirtschaftsministerium herauszulösen und eigenständig aufzustellen. Fast 160 Planstellen umfasst das damals neu gegründete Haus heute und verwaltet im aktuellen Doppelhaushalt Mittel von knapp 1,4 Milliarden Euro – ein Plus von fast drei Vierteln im Vergleich zum Beginn ihrer Amtszeit.

Von links: Nicole Razavi mit Sprecher Rainer Wehaus und den Redakteuren Angelika Wohlfrom und Walther Rosenberger im SÜDKURIER-Gebäude ...
Von links: Nicole Razavi mit Sprecher Rainer Wehaus und den Redakteuren Angelika Wohlfrom und Walther Rosenberger im SÜDKURIER-Gebäude in Konstanz. | Bild: Hanser, Oliver

Mehr Mitarbeiter, mehr Budget

Gemessen am Budget gewinnt das von der FDP-Opposition gerne als „Tiny House“-Ministerium bezeichnete Haus also an Gewicht – und die Ministerin mit ihm. Zwei Jahre lang, von Anfang 2022 bis Ende 2023, leitete die studierte Gymnasiallehrerin die Bauministerkonferenz, in der sich alle 16 Bundesländer abstimmen. Selbst Kritiker bescheinigen ihr, dort durch eine pragmatische Politik gepunktet zu haben. Mit Ex-Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD sei sie auch menschlich gut ausgekommen, heißt es aus ihrem Umfeld.

Razavi scheut feste Zielgrößen beim Wohnungsbau

Ihre Erfolge als Ministerin in nackten Zahlen auszudrücken, fällt indes nicht leicht. Anders als etwa Geywitz, die sich früh zum Ziel gesetzt hatte, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, hat es Razavi immer vermieden, Zielmarken zu definieren. Das macht wenig Sinn, sagt sie, da politische Entscheidungen oft erst Jahre später zu mehr Häusern und Wohnungen führten. Wenn überhaupt, spiegele die Zahl der Baugenehmigungen das aktuelle Investitionsklima wider.

Auch diese waren im Südwesten lange im Keller. Seit Kurzem geht es aber wieder aufwärts. 2800 genehmigte Wohnungen im Juli 2025 sind nach Daten des Statistischen Landesamts ein Plus von 62 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat 2024. Die Zahl der neu errichteten Häuser kletterte sogar um rund 70 Prozent und damit deutlich schneller als im Bund.

Regel-Wust zurückfahren

Ins Schaufenster stellt Razavi diese Zahlen nicht. Sie weiß: Im komplexen Zusammenspiel von Bauherrn, Banken und Handwerk gibt es einfach zu viele Faktoren, die die Politik oder eine Landesministerin gar nicht beeinflussen können. Die Höhe der Zinsen etwa oder der Materialpreise.

Man könnte die Zurückhaltung der 60-Jährigen in diesem Punkt auch als Taktik bezeichnen, nimmt sie doch der Opposition den Wind aus den Segeln, die mehrfach betont hat, ihr Ministerium wegen Erfolglosigkeit am liebsten abzuschaffen. Auf der Haben-Seite ihrer persönlichen Ministerinnen-Bilanz verbucht sie, dass es ihr gelungen sei, den Papier-Dschungel im Bausektor zu lichten. „Die Niedrigzinsphase bis 2022, in der viel gebaut wurde, hat verschleiert, dass sich hinter den Kulissen die Rahmenbedingungen stetig verschlechtert haben, etwa durch den Aufwuchs an Bürokratie und das Erhöhen von Standards“, sagt die Ministerin. „Das müssen wir jetzt wieder zurückfahren.“

Das scheint zu klappen. 2024 attestierte ihr der Chef des Normenkontrollrats und Ex-Freiburger OB, Dieter Salomon, die einzige Ministerin zu sein, „die von sich aus proaktiv Bürokratieabbau macht“. Und erst letzte Woche meldete sich Stefan Siebert, der Chef der Bausparkasse LBS-Süd, zu Wort und sagte, Razavi bohre beim Bürokratieabbau „dicke Bretter“. Nur bekäme der Bürger das eben nicht sofort mit.

Nicole Razavi zu Besuch beim SÜDKUREIR-Medienhaus in Konstanz. In der Redaktion legte sie ihre VOrstellung einer Baupolitik dar, die zu ...
Nicole Razavi zu Besuch beim SÜDKUREIR-Medienhaus in Konstanz. In der Redaktion legte sie ihre VOrstellung einer Baupolitik dar, die zu mehr Häusern und Wohnungen führt. | Bild: Hanser, Oliver

Das Bauamt wird digital

Sie selbst hält sich zugute, ab Ende 2023 den digitalen Bauantrag in den Bauämtern im Südwesten eingeführt zu haben. „Ein Meilenstein“, wie sie sagt, der die Zeitspanne von der Stellung eines Bauantrags bis zu Baubeginn deutlich verkürze. Rund 80 Prozent aller deutschen Baurechtsämter, die bereits mit den Online-Anträgen arbeiteten, seien aus Baden-Württemberg.

Außerdem hat sie mit der Novelle der Landesbauordnung einen Anlauf genommen, Bauen schneller zu machen. Durch das Ende Juni in Kraft getretene Landesgesetz werde es nun etwa einfacher, Wohngebäude aufzustocken oder Gewerbeflächen in Wohnraum umzuwandeln. Ein vollständig eingereichter Bauantrag gelte zudem seither als automatisch genehmigt, wenn sich die Baurechtsbehörde nicht spätestens nach drei Monaten mit Einwänden gemeldet habe. Die Landesbauordnung habe nicht die Aufgabe, einen Goldstandard zu setzen, sondern einen Mindeststandard beim Bauen abzusichern, sagt die Ministerin.

Um ihr Ziel, den Wohnungsbau anzukurbeln, durchzusetzen, geht sie Konflikten nicht aus dem Weg, etwa mit dem Naturschutz. „Es kann nicht sein, dass einzelne Tiere den Bau von Wohnungen verhindern. Wir müssen dahin kommen, dass die Population geschützt wird und nicht einzelne Tiere“, sagt die Ministerin. Die Blaupause liefern hier Bestimmungen, wie sie beim Bau von Windrädern angewandt werden.

Harte Kante bei Ferienwohnungen

Harte Kante zeigt sie anderswo. Für neue Ferienwohnungen gälten die Erleichterungen nicht, sagt die Ministerin. Gerade im Bodenseeraum stünden sie ja in Konkurrenz zur Errichtung von Wohnraum für die Bürger vor Ort.

Von härteren Regeln für Vermieter, um für mehr und billigeren Wohnraum zu sorgen, hält die im Filstal aufgewachsene Ministerin zudem wenig. Wer die Daumenschrauben beim Mietrecht anziehe, „wird am Ende weniger Wohnraum haben“, ist Razavi überzeugt. Man dürfe den Menschen das Vermieten nicht verleiden. Der Schlüssel zu sinkenden Preisen im Wohnungsmarkt sei schlicht ein höheres Angebot an Wohnungen. Und Anreize für junge Menschen, eigenes Wohneigentum zu bilden.