Jan Atteslander macht sich Sorgen. Der Leiter des Bereichs Außenwirtschaft bei Economie Suisse, dem Schweizer Wirtschaftsdachverband, spricht von einer „ganz schwierigen Situation“. Der Verband fürchtet um das Rahmenabkommen mit der EU, das im Dezember nach Jahren der Verhandlung endlich in einen Vertragsentwurf mündete. Der Schweizer Bundesrat erbat sich Zeit, um Konsultationen zu führen.
Die Sorge, das Abkommen könnte danach abgelehnt werden, teilt Atteslander dennoch nicht: „Aber sollte die Schweizer Landesregierung mehr Zeit oder Klarstellungen brauchen und die EU dazu nicht bereit sein, ist das Risiko bedeutend“, betont der Wirtschaftsexperte.
Die Befürchtung, die EU könnte nicht mehr zu Nachverhandlungen bereit sein, liegt nahe. Der für das Abkommen zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn jedenfalls machte klar: „Wir haben uns auf einen endgültigen und gemeinsamen Text verständigt, der unseren, aber auch den Schweizer Bedenken Rechnung trägt.“ In einer Pressemitteilung der EU-Behörde wird Brüssel noch deutlicher: Der veröffentlichte Text sei „das bestmögliche Ergebnis“.
Atteslander hat seine eigene Interpretation: „Der Brexit hat die Flexibilität der EU-Kommission stark geschmälert gegenüber der Schweiz.“ Auch die Hoffnung mancher Eidgenossen, die Verhandlungen mit Großbritannien könnten die Gespräche der Schweizer mit der EU vorteilhaft beeinflussen, teilt er nicht: „Großbritannien will ja die EU verlassen und nicht mehr mitmachen beim europäischen Binnenmarkt. Wir suchen aber gerade einen Weg, die Marktbeteiligung noch zu vertiefen.“
Potenzial für neue Marktbereiche
Potenzial dafür gäbe es ihm zufolge genug: „Baden-Württemberg braucht ein Stromabkommen, um für künftige Versorgungsengpässe gewappnet zu sein“, nennt Atteslander als Beispiel: „Das hat die EU blockiert.“ Tatsächlich hat die Gemeinschaft einen Riegel vor weitere sektorale Einzelabkommen geschoben. Seit 1972 gibt es ein Freihandelsabkommen, es folgten unzählige weitere Einzelverträge. Insgesamt verbinden die Schweiz und die EU über hundert solcher bilateralen Abkommen. Diese sollen nicht nur mit dem Rahmenabkommen gebündelt werden. Zudem soll der Rahmen Homogenität und Rechtssicherheit gewährleisten – ohne einen solchen Rahmen wollen die EU-Mitgliedstaaten keine weiteren Vereinbarungen mit der Schweiz treffen. Dazu gehört auch die Öffnung des Strommarkts. „Es geht einfach nur darum, dass es gleiche Spielregelungen für alle gibt“, formuliert EU-Kommissar Hahn.
„Ohne das Stromabkommen wird die benötigte internationale Transitleitung nicht gebaut. Die führt bereits jetzt zu einem Ausbleiben der entsprechenden Investitionen, macht Atteslander vom Schweizer Wirtschaftsdachverband deutlich. „Weitere wirtschaftliche Nachteile für beide Seiten sind zu erwarten, sollte die EU sich eingraben.“ Tatsächlich sind beide Seiten eng miteinander verwoben. Die Schweiz ist nach den USA und China der drittgrößte Handelspartner der Europäischen Union, die EU wiederum der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz. Atteslander macht es noch plastischer: „Allein Baden-Württemberg betrachten wir wirtschaftlich gesehen als gleichwertig mit den USA.“
Gerade in der Industrie wollen die Eidgenossen eng mit Deutschland zusammenarbeiten. „Wir importieren mehr Industriegüter aus Deutschland als wir exportieren“, gibt Atteslander zu bedenken. Wenn die Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Schweiz wegen technischer Barrieren erschwert würden, „wäre die deutsche Industrie das Hauptopfer. Es geht um große Summen, da die industrielle Zusammenarbeit in den letzten Jahren immer enger wurde“. Auch die Eidgenossen gerieten bei diesem Szenario massiv unter Druck.
Mehrere Schweizer Wirtschaftsverbände appellierten deshalb in einem Dossier an die Politik. „Das Abkommen ist gar nicht so schlecht, wie alle behaupten. Aber sagen Sie das mal einem Politiker.“