In Friedrichshafen hat eines der Schwergewichte der deutschen Industrie seinen Sitz – der Auto- und Nutzfahrzeugzulieferer ZF. Seit über einem halben Jahrzehnt befindet sich das Unternehmen in der Krise. Diese hat sich in den letzten Monaten deutlich verschärft. Wichtige Fragen und Antworten zum bedeutendsten Unternehmen in der gesamten Vier-Länder-Region rund um den Bodensee:

Wie ist die Lage im Automobilgeschäft?

Der Weltmarkt für Autos stottert seit vielen Jahren. Die Neuzulassungen von Pkw lagen 2024 mit knapp 78 Millionen Fahrzeugen immer noch deutlich unter dem Rekordjahr 2018. Das bekommen sowohl die Autobauer, als auch die Zulieferer zu spüren. Während erstere ihr Geschäftsmodell aber angepasst haben und vor allem hochpreisige Fahrzeuge mit hohen Gewinnspannen verkaufen, schlägt das Problem sinkender Stückzahlen bei den Zulieferern voll durch.

Holger Klein, CEO von ZF, spricht auf einer Veranstaltung. Heute muss er einen Milliardenverlust verkünden.
Holger Klein, CEO von ZF, spricht auf einer Veranstaltung. Heute muss er einen Milliardenverlust verkünden. | Bild: Boris Roessler

„Noch nie befand sich die Branche so klar in der Mitte des perfekten Sturms“, sagte ZF-Vorstandschef Holger Klein am Donnerstag bei der Vorstellung der ZF-Jahresbilanz für 2024. Der Veränderungsdruck sei so hoch, dass „wir keine andere Möglichkeit haben, als an den Grundfesten der ZF zu rütteln“, sagte er.

Was heißt das?

Einst war die ZF – die Zahnradfabrik – ein Konzern, der Getriebe für Luftschiffe und Flugzeuge herstellte. Bald kamen Autogetriebe hinzu. Für sie ist ZF heute noch bekannt. Später holte man sich durch Übernahmen die Kompetenz für Achsen, Lenkungen und Bremsen ins Haus und stieg ins Landmaschinen- und Windradgeschäft ein. Durch die Milliarden-Übernahme des US-Konkurrenten TRW im Jahr 2015 vollzog ZF unter seinem Chef Stefan Sommer einen entscheidenden Schritt weg von Mechanik und hin zu elektronischen Komponenten.

Dessen Nachfolger Wolf-Henning Scheider setzte die Strategie kreditfinanziert fort, kooperierte mit US-Tech-Konzernen, kaufte sich ins Geschäft autonomer Shuttle-Busse ein und setzte auf Elektrifizierung.

Heute sagt Konzern-Chef Holger Klein: Das Paradigma, Systemlösungen in allen Bereichen anzubieten, sei „nicht mehr zeitgemäß“. Wegen der hohen Verschuldung des Unternehmens sei es „nicht mehr möglich, überall zu investieren“. ZF geht nun also einen Schritt zurück.

Wie sieht die ZF-Strategie aus?

Generell will ZF in den kommenden Jahren Kosten in Höhe von sechs Milliarden Euro einsparen und bis Ende 2028 bis zu 14.000 Stellen, allein in Deutschland, streichen. Das Geschäft will man auf vier Bereiche fokussieren und hier weiter investieren: Die Fahrwerkstechnik, also alles rund ums Bremsen, Lenken und Steuern.

Dazu kommt der Nutzfahrzeugbereich und die Industrietechnik, wo ZF Landmaschinen, Baufahrzeuge, Seilbahnen oder riesige Tunnelbohrer oder Windräder mit Antrieben ausstattet. Außerdem will man das Ersatzteilgeschäft ausbauen, in dem es gerade brummt. In diesen Bereichen gehört ZF schon heute zu den Top-3-Firmen der Welt.

Wo zieht sich ZF zurück?

ZF unter Konzern-Chef Klein hat einen Rückzug aus einstigen Kernbereichen eingeläutet. Das Geschäft mit Achsteilen hat man bereits in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem taiwanesischen Apple-Zulieferer Foxconn eingebracht. Hier wächst man jetzt zwar wieder, aber die Gewinne muss man sich mit den Taiwanesen teilen.

Außerdem hat ZF seine milliardenschwere Airbag-Sparte vom Rest-Konzern abgetrennt, um sie unter dem Namen ZF Lifetec an die Börse zu bringen oder zu verkaufen – „ohne Zeitdruck“, wie Klein beteuert. Der aktuell kritischste Fall ist die sogenannte E-Division.

Hier bündelt ZF sein Geschäft mit Elektromotoren, Hybridantrieben, aber auch das klassische Getriebegeschäft, also das historische Herz der ZF. Die rund 32.000 Mitarbeiter umfassende E-Division, die Umsätze von insgesamt gut 11 Milliarden Euro auf sich vereint, schreibt dem Vernehmen nach Verluste.

Hier ist der Handlungsdruck hoch. Klein sagt, man bereite die Sparte vor, dass Partner sich an ihr beteiligen können. Auch ein Börsengang scheint möglich.

Ganz verkaufen will ZF die E-Division laut Klein „zunächst“ aber nicht. Der Grund: Man braucht die Technologie, um sie auch bei Nutzfahrzeugen und in der Industrietechnik einzusetzen. „Ein möglicher Partner, soll unser Herz gewinnen, es nicht herausreißen“, sagt der ZF-Chef. Gleiches gilt für den Bereich autonomes Fahren, wo man etwa Steuercomputer, Fahrerassistenzsysteme oder Shuttle-Busse entwickelt. Die hier nötigen Investitionen, „können wir allein nicht stemmen“, sagt Klein.

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Warum dieser riesige Konzernumbau?

ZF fehlt schlicht das Geld. Der Umsatz ist um 11 Prozent auf 41,4 Milliarden Euro eingebrochen. Unter dem Strich hat man einen Verlust von mehr als einer Milliarde Euro eingefahren. Im operativen Geschäft (bereinigtes Ebit) verdiente man 1,5 Milliarden Euro. Das sind rund 900 Millionen Euro weniger als im Vorjahr und entspricht einer operativen Gewinnspanne von 3,6 Prozent.

Das Problem: In der Branche heißt es, nötig seien im Zulieferbereich 7 bis 8 Prozent Ebit-Marge. Hohe Kosten für Zinsen, Abschreibungen, den laufenden Konzernumbau sowie Steuern führten zu einem Netto-Verlust von gut einer Milliarde Euro. Außerdem ist ZF von seinem Pfad des Schuldenabbaus abgekommen. 2025 erhöhte sich die Netto-Verschuldung um rund 500 Millionen Euro auf knapp 10,5 Milliarden Euro.

Geht ZF jetzt das Geld aus?

Nein, von einer Pleite ist ZF weit entfernt. In der Kriegskasse ist noch etwas drin. Nach Angaben von ZF-Finanzvorstand Michael Frick verfügt ZF über 8,1 Milliarden Euro an nicht gezogenen Kreditlinien und liquiden Mitteln. Auch der Cash-Flow war 2024 mit 305 Millionen Euro noch positiv.

Üppig ist das Polster aber nicht, was man auch daran erkennt, dass das Eigenkapital um rund 500 Millionen Euro zusammengeschmolzen ist. Die Eigenkapitalquote liegt bei gut 19 Prozent. Tendenz rückläufig.

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Wie geht es weiter?

Wie 2024 wird auch das laufende Jahr für ZF ein Jahr des Übergangs, wie ZF-Chef Klein sagt. Man könnte auch sagen: Nicht ausgeschlossen, dass es noch dicker kommt. Finanzchef Frick geht nicht davon aus, dass die Verschuldung im laufenden Jahr sinkt. Der Grund: Die aktuellen Umbaumaßnahmen belasten das Unternehmen derzeit finanziell massiv.

Die erhofften Spareffekte werden erst mittelfristig voll durchschlagen. Für 2025 rechnet man daher mit einem Umsatz von gut 40 Milliarden Euro. Von jedem erwirtschafteten Euro sollen drei bis vier Cent als operativer Gewinn hängen bleiben.