Herr Birk, wir leben gerade in einer absoluten Ausnahmesituation. Bei welchem Ereignis der letzten Wochen haben Sie sich gefragt: „Das kann jetzt doch alles nicht wahr sein?“

Ich habe enge, auch persönliche Beziehungen in den norditalienischen Raum, und da haben mich die Bilder der hoffnungslosen chaotischen Lage in den Krankenhäusern, die Särge, die von Militär Lkw abtransportiert wurden, sehr berührt. Das war für mich bis dahin jenseits des Vorstellbaren.
Umso beeindruckender ist, wie in Deutschland die medizinische und pflegerische Versorgung höchstprofessionell erfolgt. Diese Kräfte verdienen unseren ganzen Respekt und Dank.

Seit mehr als einem halben Jahrzehnt Geschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA in Baden-Württemberg: Dietrich Birk.
Seit mehr als einem halben Jahrzehnt Geschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA in Baden-Württemberg: Dietrich Birk. | Bild: dpa

Meine derzeitige Gemütslage lässt sich so beschreiben: Durch den Shutdown tritt in vielen Lebensbereichen eine spürbare Entschleunigung bei gleichzeitig hoher innerer Anspannung ein. In der Stuttgarter Innenstadt, wo mein Büro ist, sind die Straßen leer, die Stadtmitte ohne pulsierendes Leben. Meine Arbeitszeit ist weiter eng getaktet mit vielen Beratungsgesprächen und Webkonferenzen, um unsere Mitgliedsunternehmen nach Kräften bestmöglich zu unterstützen.

Für den Maschinenbau, die beschäftigungsstärkste Industriebranche im Land, war 2019 schon ein Krisenjahr. Und jetzt kommt auch noch die Corona-Krise. Verkraftet die Branche den Doppelschlag?

Schon 2019 war für den Maschinenbau ein konjunkturell und strukturell schwieriges wirtschaftliches Jahr mit einem Produktionsrückgang von über 2 Prozent. Und dieses Jahr wird es nach VDMA-Schätzungen auch noch einmal um mehr als 5 Prozent abwärts gehen. Das mag sich im Vergleich zu anderen Branchen noch moderat anhören, die Dramatik ist aber hoch und mindestens vergleichbar mit der Situation während der Finanzkrise 2008/09.

Ein Mitarbeiter des Göppinger Pressenherstellers Schuler AG reinigt ein Exzenterrad.
Ein Mitarbeiter des Göppinger Pressenherstellers Schuler AG reinigt ein Exzenterrad. | Bild: dpa

Besteht bei den Firmen Pleitegefahr?

96 Prozent der Unternehmen befürchten derzeit Umsatzeinbußen im laufenden Jahr. Fast zwei Drittel von Ihnen rechnet mit Einbrüchen von bis zu 30 Prozent. Alle Maßnahmen der Firmen und auch der staatlichen Hilfen sind darauf angelegt, Liquidität zu sichern, denn „Cash is King“. Derzeit können die meisten Firmen die Lage noch stemmen, aber es wird mit jedem Tag weiterer Produktionsausfälle schwerer. Drei Viertel der Betriebe haben die Kapazitäten schon erheblich nach unten angepasst, etwa über Arbeitszeitkonten, Einstellungsstopps und Kurzarbeit. Aber auch Personalabbau wird leider wieder ein Thema, je länger die Krise dauert.

Reicht Kurzarbeit nicht mehr aus?

Derzeit schon noch. Insbesondere in den automobilnahen Bereichen gibt es jedoch eine steigende Anzahl von Unternehmen, die aufgrund der schlechten Branchenkonjunktur bereits im Frühjahr 2019 Kurzarbeit anmelden mussten. Da die maximale Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld derzeit auf ein Jahr begrenzt ist, wird es für diese Firmen eng, weil sie jetzt aus der Förderung rauslaufen. Daher drängen wir mit viel Nachdruck darauf, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf mindestens zwei Jahre zu verlängern. Hier muss das Bundesarbeitsministerium kurzfristig handeln.

Mitarbeiter der Dürr AG montieren Lackierroboter. Hier ist das schwäbische Unternehmen Weltmarktführer.
Mitarbeiter der Dürr AG montieren Lackierroboter. Hier ist das schwäbische Unternehmen Weltmarktführer. | Bild: dpa

Die Lage ist angespannt, dennoch scheint es, als habe das Corona-Virus auch die Eigenverantwortung der Unternehmer angegriffen. Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen, Bürgschaften, Kredite – jeder schreit gerade nach dem Staat. Als vor zehn Jahren die Finanzkrise die Wirtschaft traf, entschied sich die Eignerfamilie des schwäbischen Maschinenbauers Trumpf 75 Millionen Euro Privatkapital in die Firma zu pumpen, um deren Liquidität zu sichern. Wo sind solche Initiativen heute?

Natürlich sind viele Firmen je nach Notlage derzeit gezwungen, die Kredite und Liquiditätshilfen des Staates in Anspruch zu nehmen. Allerdings entspricht es überhaupt nicht dem Selbstverständnis der Maschinenbauer, als erstes nach dem Staat zu rufen. Vielmehr stellen sich die weit überwiegend eigentümergeführten Familienunternehmen ihrer Verantwortung und setzen das vorhandene Eigenkapital sowie erforderlichenfalls ihr Privatvermögen ein, um die Situation durchzustehen. Eventuelle Staatsbeteiligungen in der Wirtschaft werden in meiner Branche ohnehin kritisch gesehen. Ich stelle nicht fest, dass dazu im Maschinenbau ein Meinungsumschwung stattgefunden hat.

Ein ZF-Logo ist auf einem ausgestellten Produkt in der Konzernzentrale des Automobilzulieferers zu sehen.
Ein ZF-Logo ist auf einem ausgestellten Produkt in der Konzernzentrale des Automobilzulieferers zu sehen. | Bild: dpa

Über die letzten zehn Jahre hat der deutsche Maschinenbau fast ununterbrochen Jobs aufgebaut. Ändert Corona dies nun?

Bis Ende des Jahres 2019 hatte der Südwest-Maschinenbau noch einen Beschäftigungsaufbau in Form von Neueinstellungen, die zwischenzeitlich deutlich zum Erliegen gekommen sind. Es ist absehbar, dass das erste Halbjahr 2020 richtig einschneidend sein wird. Sowohl bei den Arbeitsplätzen, den Auftragseingängen, als auch in Produktion und beim Umsatz wird der Einbruch erheblich sein.

Welche Sparten sind besonders gefährdet?

Alle Fachzweige sind derzeit im Minus. Viele Maschinenbauer bekommen die dramatische Lage auf dem globalen Automarkt über die wegbrechende Nachfrage ihrer Kunden, die heimischen Automobilhersteller und -zulieferer zu spüren. Baden-Württemberg mit seiner hohen Abhängigkeit von den Autobauern ist hier im Bundesvergleich härter getroffen. Andere Sparten wie die Medizintechnik oder die Nahrungs- und Verpackungstechnik laufen noch relativ stabil.

Der Maschinenbau in Süddeutschland hängt stark an seinen südlichen Nachbarn. Wie ist da die Lage?

Die Lieferketten von und nach Italien sind derzeit komplett gerissen. Das wird für die meisten Firmen zum Problem, weil Lieferanten nicht mehr liefern oder Kunden nicht mehr bedient werden können. Eine ähnliche Situation gibt es mit Frankreich. In Österreich und der Schweiz sind es strenge Einreisebestimmungen, die uns gerade Kopfzerbrechen bereiten. Vor allem Montage- und Servicetätigkeiten sind davon stark beeinträchtigt. Generell sollte Ende April eine Normalisierung angestrebt werden, indem die europäischen Lieferketten im Gleichklang wieder an- und hochlaufen. Anderenfalls verlieren wir mit jeder weiteren Woche noch mehr an wirtschaftlichem Boden. Gleichzeitig muss jedoch auch die Entwicklung der Infektionswelle weiter fest im Blick behalten werden. Je nach deren Verlauf sollten Lockerungsmaßnahmen erfolgen.

Eine Mitarbeiterin des Maschinenbauers Trumpf montiert in Ditzingen (Baden-Württemberg) in einem Reinraum einen CO2-Laserresonator.
Eine Mitarbeiterin des Maschinenbauers Trumpf montiert in Ditzingen (Baden-Württemberg) in einem Reinraum einen CO2-Laserresonator. | Bild: dpa

Welche Märkte kommen wieder?

In China und Südkorea gibt es deutliche Lichtblicke. Dort laufen derzeit die Produktionen wieder hoch und haben teilweise schon häufig das ursprüngliche Niveau wieder erreicht. Es fehlen allerdings kurzfristige Transportkapazitäten, also vor allem Luft- und Seefrachtkapazitäten zum wechselseitigen Warenaustausch zwischen Asien und Europa. Bis sich das Problem entschärft wird es noch Wochen oder sogar Monate dauern. Wichtige Auslandsmärkte wie USA, Brasilien und Indien sind erst am Anfang der Corona-Krise und bereiten uns im Hinblick auf die weitere Marktentwicklung viel Kopfzerbrechen.

Deutschland verliert im weltweiten Maschinenbaugeschäft stetig Marktanteile. Welche strukturellen Probleme überdeckt die derzeitige Corona-Krise?

Immerhin hält Deutschland seit Jahren stabil seinen dritten Platz unter den weltgrößten Maschinenbaunationen. Klar ist aber, dass China Marktanteile hinzugewinnt. Daher ist es wichtig, dass der deutsche Maschinenbau Zukunftsfelder wie Ökologie, Nachhaltigkeit, Mobilität und Urbanisierung besetzt. Das geschieht auch, etwa bei Produktionslösungen für Elektro- oder Wasserstoffantriebe, in der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik und der Energietechnik, aber auch im Hinblick auf die Digitalisierung bei Produkten, Services und neuen Geschäftsmodellen. Ich bin da recht zuversichtlich.

Dennoch: Seit 2007 hat China seinen Anteil am weltweiten Maschinenexport nahezu verdoppelt – maßgeblich auch auf Kosten deutscher Hersteller. Gibt es kein Mittel, Chinas Expansion zu bremsen?

China ist im Volumenmarkt der Standardmaschinen richtig stark geworden. Wo es um komplexe Lösungen und High-Tech geht haben wir immer noch die Nase vorn. Richtig ist aber auch, dass der deutsche Maschinenbau das mittlere Marktsegment nicht vernachlässigen darf, insbesondere weil dafür bestimmte Technologien in den schnell wachsenden Ökonomien der Schwellenländer stark nachgefragt werden.

Ein Mitarbeiter des Göppinger Pressenherstellers Schuler AG reinigt ein Exzenterrad.
Ein Mitarbeiter des Göppinger Pressenherstellers Schuler AG reinigt ein Exzenterrad. | Bild: dpa

Die Bundesregierung will die Übernahme deutscher Firmen verschärfen. Gibt es Anzeichen dafür, dass sich das Ausland in Südwest-Maschinenbauer einkauft?

In Baden-Württemberg sehe ich keine akuten Fälle. Man muss auch bedenken, dass im Maschinenbau sehr viele Firmen feste Eignerstrukturen aufweisen, also Familienunternehmen dominieren. Die Familien stellen ihre Firmen nicht einfach so zum Verkauf. Möglicherweise wird die Lage nach der Corona-Krise und ihrer Folgen aber eine andere sein. Je nachdem, ob wir gestärkt oder geschwächt daraus hervorgehen.

Geräuschlos und einmütig wie noch nie haben sich Südwestmetall und IG-Metall Ende März auf einen Tarifabschluss geeinigt, der für 2020 keine Gehaltserhöhung vorsieht. Die Sozialpartnerschaft stand zuletzt massiv in der Kritik. Funktioniert sie also doch noch?

Wenn es darauf ankommt, ziehen Arbeitgeber und Gewerkschaften im Metall- und Elektrobereich an einem Strang. Allen Beteiligten ist der Ernst der Lage bewusst, oberste Priorität hat jetzt die Existenzsicherung der Betriebe und deren Beschäftigte. Die funktionierende Sozialpartnerschaft ist und bleibt daher eine der Stärken unseres Standorts, um die uns andere Länder beneiden.