Gegensätzlicher hätte die Nachrichtenlage nicht ausfallen können. Während die Betreiber von drei deutschen Kernkraftwerken in der Silvesternacht ihre Hand auf den Aus-Schalter legten und die Anlagen für immer herunterfuhren, tat die Brüsseler EU-Kommission genau das Gegenteil. In den ersten Stunden des neuen Jahres veröffentlichte sie ihre Vorstellungen über eine zukunftsfähige Energieerzeugung auf dem Kontinent.
Wichtiger Bestandteil dabei ist die Kernkraft, die nun sogar als klimafreundliche Energiequelle eingestuft werden soll. Just in dem Moment, in dem Deutschland die letzte Runde der Kern-Meiler einläutet, bringt sie die EU also erst richtig an den Start. Denn das angestrebte Öko-Label ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt in neue Kraftwerke investiert wird. Und Europa braucht in den kommenden Jahrzehnten vor allem eines: genug Energie.
Ganz ohne Kernkraft und fossile Kraftwerke wird es nicht gehen
In dieser Erkenntnis sind die EU-Bürokraten den deutschen Energiewende-Planern vielleicht einen Schritt voraus. Zwar fehlt es auch hierzulande nicht an Szenarien, die den in den kommenden Jahren rasant steigenden Energiebedarf skizzieren. Indes tut man sich schwer mit realistischen Ableitungen. Die Frage, wo die ganze grüne Energie einmal herkommen soll, ist ungeklärt.

Im Moment – so viel ist klar – rauscht das Land spätestens Ende dieses Jahrzehnts in eine heikle Situation hinein. Energie wird dann knapp. Oder besser gesagt: Sie wird wahrscheinlich nicht immer da verfügbar sein, wo sie gebraucht wird. Besonders das industrie- und bevölkerungsstarke Süddeutschland ist Energie-Krisengebiet. Die geografische rote Linie, die die Energiewirtschaft schon vor Jahren gezogen hat, ist der Main.
Die Versorgungssicherheit ist in Gefahr
Gemäß dem alten Motto der Kraftwerkswirtschaft, wonach die Leistung dort installiert sein muss, wo auch die Last ist, steht südlich des Flusses ein Gutteil der deutschen Kernkraftwerke, die bekanntlich Ende 2022 ihren Betrieb komplett einstellen werden. Und es ist just dieses Gebiet, in das die geplanten Hochspannungstrassen noch nicht vordringen und wo der Ausbau erneuerbarer Energien sehr schleppend vorankommt. In puncto Energiesicherheit wird es also eng, zumal dann, wenn der Kohleausstieg um bis zu acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden sollte.
Das Problem ist, dass nicht absehbar ist, wie es der neuen Bundesregierung gelingen kann, den Ausbau von Wind- und Solarkraft so zu beschleunigen, dass er die Lücke der vom Netz gehenden Kraftwerke schließen und gleichzeitig die hohen künftigen Zusatzstrombedarfe decken könnte.

Klar ist: Kernenergie kann hier nicht die Lösung sein. Sogar für die Kraftwerksbetreiber selbst hat sie keine Zukunft mehr. Atomenergie ist zu komplex und nach Einrechnung aller Kosten viel zu teuer. Zudem ist die Endlagerfrage in dicht besiedelten Ländern wie Deutschland quasi nicht lösbar. Dort, wo man dennoch an ihr festhält, wie etwa in Frankreich, Russland, den USA oder China, bestehen auch militärische Interessen an ihrer Nutzung.
Erdgas als grüne Energie?
Was aber dann? Hier kommt wieder die EU ins Spiel, die neben der Kernenergie auch gasbefeuerten Kraftwerken ein grünes Mäntelchen umhängen will. Ökologisch ist auch dieser Vorstoß natürlich blanker Unsinn. Erdgas als fossiler Brennstoff kann per se nicht nachhaltig sein, auch wenn bei seiner Verbrennung deutlich weniger Klimagas CO2 freigesetzt wird als bei der Kohleverstromung.
Die Realität ist aber auch, dass Deutschland ohne neue Gaskraftwerke nicht auskommen wird. 20, vielleicht 30 neue Gasmeiler werden bis 2030 bundesweit nötig sein, um den Blackout zu verhindern. Auch wenn die Anlagen so geplant werden sollen, dass sie statt Erdgas aus Russland künftig grünen Wasserstoff aus deutschen Windrädern verfeuern können, muss man sich doch eingestehen: Die deutsche Energiewende in ihrer Reinform ist damit gescheitert. Das Ende des fossilen Zeitalters wird zumindest länger als erhofft auf sich warten lassen.