„Jetzt spinnt der komplett!“ Was anderes kann seinen Mitarbeitern nicht durch den Kopf gegangen sein, als eines Morgens plötzlich eine Palette mit Feuerwehr-Shampoo für Kinder in der Lagerhalle stand, da ist sich Leonard Diepenbrock sicher. Schließlich ist Diepenbrock Geschäftsführer der Firma Tox in Krauchenwies und das Lager eigentlich mit den bekannten roten Allzweckdübeln gefüllt.
Dass der 48-Jährige vor sieben Jahren plötzlich in die vegane Körperpflege einsteigen wollte und hierzu die Firma „Jean und Len“ gründete, das haben viele im schwäbischen Familienunternehmen nicht verstanden. Zugute kam Leonard Diepenbrock, dass die Mitarbeiter ihn ohnehin schon als „Paradiesvogel“ kannten. Denn bevor der Vater zweier Söhne im Jahr 2006 zu Tox kam und die Geschäftsführung vom Schwiegervater übernahm, war Diepenbrock jahrelang Boulevard- und Nachrichtenmoderator beim Fernsehsender RTL.
„Als ich damals mit meiner lockeren und duzenden Art, die im Fernsehen so üblich ist, bei Tox anfing, musste schon der eine oder andere schlucken. Aber das hat sich schnell gelegt“, sagt Diepenbrock. Er habe, was die Meinungen anderer angeht, ohnehin ein dickes Fell. „Die Idee mit der veganen Körperpflege fand auch aus meinem Freundeskreis niemand gut“, erzählt Diepenbrock.
Ein Drittel des Umsatzes stammt schon von der Kosmetik-Linie
Schließlich ging es dem Dübel-Hersteller Tox mit einem Jahresumsatz von 20 Millionen Euro gut. „Aber zu der Zeit ist uns ein wichtiger Kunde weggebrochen.“ Und das auf einem Markt, der ohnehin von baden-württembergischen Konkurrenten wie Fischer (700 Millionen Euro Jahresumsatz) und Würth (2 Milliarden Euro Jahresumsatz) beherrscht wird.

Die Idee mit dem zweiten Standbein war aus unternehmerischer Sicht heraus also durchaus keine Schnapsidee. Aber warum ausgerechnet vegane Köperpflege? Und warum ausgerechnet die Kosmetikindustrie, auf der ein Markt-Neuling wie „Jean und Len“ auch nur ein kleines Licht neben Weltmarktfirmen wie L’Oréal, Unilever oder Procter & Gamble werden kann?
Tox kann auch Logistik
„Eigentlich habe ich mir in erster Linie überlegt, was wir bei Tox richtig gut können. Und das sind all die Prozesse, die nötig sind, um den Handel zuverlässig zu beliefern“, sagt Diepenbrock. Er ist stolz auf die Planung, Lagerhaltung, Logistik und Versand im Krauchenwieser Unternehmen. „Und ich dachte mir, das können wir auch für andere Warengruppen nutzen.“

Dass es dann möglichst natürlich hergestellte Shampoos, Duschgele und Parfums wurden ohne Parabene, Silikone und Mineralöle, das hat er einem Freund aus seiner Zeit an der Harvard Business School zu verdanken, der selbst vegane Körperpflegeprodukte herstellte. Heute bildet er als Dank für die Inspiration mit seinem Vornamen „Jean“ und Leonard Diepenbrocks Spitznamen „Len“ den Markennamen der Firma.
Kosmetik boomt, die Dübel bleiben
Die übermächtige Konkurrenz im Kosmetikmarkt hat Diepenbrock keine schlaflosen Nächte bereitet, im Gegenteil. „Den Mut und die Unerschrockenheit es mit den Großen in der Branche aufzunehmen, den brauchte ich ja auch bei Tox schon.“ Außerdem sei es gerade in einem Bereich wie natürlich hergestellten Shampoos oder Duschgels vielleicht sogar einfacher, eine kleine Firma zu sein. „Ich denke, viele Kunden finden das sympathischer und glaubwürdiger“, sagt er.
Drei Jahre lang hat Diepenbrock „Jean und Len“ über Tox mit einem siebenstelligen Betrag mitfinanziert und die Mitarbeiter aus Design, Buchhaltung, Logistik oder Versand in Krauchenwies auch für sein Kosmetik-Unternehmen eingesetzt. Fürs Marketing dagegen hat er von Anfang an eigene Mitarbeiter in Köln eingestellt, produziert werden die Kosmetikartikel an verschiedenen Standorten in Deutschland. Diepenbrock selbst pendelt ständig zwischen seinen beiden Wohnsitzen Köln und dem Bodensee.
Der Umsatz von „Jean und Len“ hat sich von Beginn an jährlich verdoppelt. Inzwischen hat das Unternehmen 35 eigene Mitarbeiter. Hinzu kommen viele der 100 Tox-Mitarbeiter, die nach wie vor auch an den Kosmetikprodukten arbeiten. Aus der Schnapsidee wurde so tatsächlich sehr schnell ein solides zweites Standbein für den Doppel-Unternehmer: „Jean und Len“ wird 2020 den Jahresumsatz von 10 Millionen Euro überspringen, Tox peilt einen Wert von über 20 Millionen an.
Neben 1000 Baumärkten und 2000 Fachhändlern, die Tox mit Dübeln beliefert, sind so innerhalb weniger Jahre 5000 Drogerien und 2000 Supermärkte dazugekommen, welche die „Jean und Len“-Kosmetika abnehmen. Die Logistik-Stärke, die Diepenbrock bei seinem Familienunternehmen entdeckt hat, hat sich als Erfolgsfaktor erwiesen.

Jetzt muss nur noch eine Gewerbefläche für ein neues Gebäude her, möglichst in der Nachbarschaft des Tox-Standorts. Denn von der Größe her ist „Jean und Len“ aus den bestehenden Räumlichkeiten in Krauchenwies längst hinausgewachsen.
Ein „Arschtritt von der Fledermaus“
Dann könnte sich Diepenbrock ein wenig auf seinen Erfolgen ausruhen. Doch darüber lacht er nur: „Ich leide unter Unternehmer-ADHS, Erfolge spornen mich zu weiteren Ideen an.“ Sein Kopf sei voller Pläne, was er noch alles auf die Beine stellen könnte. Verraten will er aber noch nichts – ein bisschen auch aus Sorge davor, dass dann erstmal nur wieder alle den Kopf über den „spinnerten Paradiesvogel“ schütteln.
Einen Plan aber kann er nicht länger geheimhalten: Dass er während des Lockdowns sein erstes Buch geschrieben hat: „Arschtritt von der Fledermaus“ handelt davon, wie einem die Corona-Krise die Augen öffnen kann, das im Leben zu erkennen, was einem wirklich wichtig ist – und es dann auch in die Tat umzusetzen.