Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fahren die Preise für Energierohstoffe Achterbahn. In den vergangenen Tagen haben vor allem die Notierungen für Erdgas drastisch nachgegeben. Aber warum ist das eigentlich so? Und wann kommen die sinkenden Preise bei den Endverbrauchern an? Ein Überblick:

Wie ist die Lage auf den Rohstoffmärkten für Gas und Öl?

Was sich Mitte des Jahres die meisten nicht hätten vorstellen können, ist jetzt eingetreten. Seit mehreren Wochen geben die Preise für Öl und Erdgas im Großhandel und an Energiebörsen nach. Am niederländischen Gas-Handelspunkt TTF, an dem der Referenzpreis für den gesamten europäischen Gasmarkt festgelegt wird, kostete die Megawattstunde Gas am Dienstag noch rund 72 Euro.

Wer vor einem Monat, Anfang Dezember, an der TTF Gas für diesen Winter einkaufte, musste noch das Doppelte dafür hinlegen. Und vor einen halben Jahr, im Sommer 2022, waren es in der Spitze satte 345 Euro. Damals löste der Gaslieferstopp Russlands durch die Ostseepipelines neue Gaspreisrekorde aus. Inzwischen befindet sich der Gaspreis im Großhandel auf einem Niveau, den er im Sommer 2021 hatte, also lange vor Beginn der militärischen Eskalation in der Ukraine. Parallel entwickelt sich der Ölpreis. Kostete das Fass (159 Liter) der Nordseesorte Brent Mitte Juni 2022 noch gut 120 US-Dollar, so sank der Preis zuletzt auf etwa 75 US-Dollar.

Die Flamme eines Gasherdes brennt in einer Küche. Darüber wurde die Gaspreiskurve der letzten Jahre gelegt.
Die Flamme eines Gasherdes brennt in einer Küche. Darüber wurde die Gaspreiskurve der letzten Jahre gelegt. | Bild: Frank Rumpenhorst, dpa / Stach SÜDKURIER

Was sind die Gründe für den Preisverfall?

Mehrere Faktoren wirken aktuell dämpfend auf die Energiepreise. Rolf Schäffer, Leiter volkswirtschaftliche Analyse bei Deutschlands größter Landesbank LBBW in Stuttgart, macht bei Erdgas insbesondere die milde Witterung, sowie – daraus resultierend – den hohen Füllstand der deutschen Gasspeicher und die beginnende Einspeisung von verflüssigtem Erdgas via LNG-Terminals ins deutsche Gasnetz verantwortlich. Selbst bei einem starken Wintereinbruch in den kommenden Woche drohe daher für dieses Jahr „keine Gasknappheit mehr“, sagt Schäffer dem SÜDKURIER.

Zuletzt hatte auch die Bundesnetzagentur (BnetzA) Entwarnung gegeben. In einem Mitte vergangener Woche veröffentlichten Lagebericht stellte die Behörde fest, dass eine Gasmangellage im Winter „zunehmend unwahrscheinlich“ werde. Am Wochenende sagte BnetzA-Chef Klaus Müller, er rechne nicht damit, „dass diesen Winter noch etwas schiefgeht“. Er gehe davon aus, dass die Speicher am Ende des Winters noch zu mehr als 50 Prozent gefüllt sein werden. „Wir konzentrieren uns jetzt auf den nächsten Winter“, sagte Müller.

Wie sicher ist die Prognose?

Zumindest der Füllstand der nationalen Gasspeicher gibt Zuversicht. Anfang der Woche waren die Kavernen- und Porenspeicher Deutschlands nach Daten der BnetzA zu gut 91 Prozent mit Erdgas befüllt- ein saisonal sehr hoher Wert, der maßgeblich mit den milden Temperaturen, aber auch mit strengeren Bevorratungsvorschriften des Gesetzgebers zusammenhängt. Bemerkenswert ist, dass seit dem 20. Dezember permanent mehr Gas in die Speicher floss, als ihnen entnommen wurde. Mitten im Winter steigen die Reserven also.

Fördertechnik eines Gasfelds in Irkutsk. Aus Russland fließt kein Gas mehr nach Deutschland.
Fördertechnik eines Gasfelds in Irkutsk. Aus Russland fließt kein Gas mehr nach Deutschland. | Bild: Meng Jing, dpa

Wie sieht es in Europa aus?

Auch hier deuten die Zeichen Richtung Entspannung. Im Dezember lag der durchschnittliche Gasspeicherfüllstand in den EU-Mitgliedstaaten nach Daten des Gasspeicher-Dachverbands GIE bei 88 Prozent. Für den deutschen Markt spielt ebenfalls eine Rolle, dass sich die Energieversorgung in Frankreich langsam stabilisiert.

Diese war im Sommer 2022 durch den pannenbedingten Ausfall rund der Hälfte der 56 französischen Kernmeiler ins Wanken geraten. Deutschland musste Kohle- und Gaskraftwerke anfahren und mit Stromexporten ins Nachbarland aushelfen. Mittlerweile ist nur noch rund ein Viertel der französischen Reaktoren wartungsbedingt vom Netz. Die Gasnachfrage sinkt also.

Wann merken die Haushalte etwas von den sinkenden Preisen?

Bis sich die sinkenden Gaspreise im Großhandel und an Börsen auf den Rechnungen der Endverbraucher niederschlagen, wird es einige Zeit dauern. „Vermutlich erst im zweiten Halbjahr 2023“ kämen die sinkenden Preise bei den Endverbrauchern an, sagt LBBW-Rohstoffexperte Schäffer.

Auch Matthias Bauer, Energieexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (VZBW) sagt, es würde „noch Monate dauern, bis die niedrigen Preise durchschlagen“.

Warum sinken die Endkundenpreise nicht sofort?

Energieversorger, etwa Stadtwerke, kaufen ihre Energie Monate und Jahre im Voraus ein. Nur um Nachfragespitzen abzudecken, sichern sie sich Energie kurzfristig an sogenannten Spotmärkten. Das heißt aber auch: Die allermeisten Energieversorger haben sich in den vergangenen Monaten schon eingedeckt – also zu einem Zeitpunkt, als die Preise noch sehr hoch waren.

„Viele Gasversorgerunternehmen haben sich für diesen Winter bereits über Future-Gaskontrakte die notwendigen Gasmengen eingekauft“, sagt LBBW-Analyst Schäffer. Die aktuellen Preisrückgänge führten daher „erst mittelfristig zu einer Entlastung der privaten Gasverbraucher“.

Aribert Peters, 2. Vorsitzender des Bunds der Energieverbraucher: Seit Jahren kämpft er für niedrige Energiepreise. Jetzt sagt er: es ...
Aribert Peters, 2. Vorsitzender des Bunds der Energieverbraucher: Seit Jahren kämpft er für niedrige Energiepreise. Jetzt sagt er: es gibt Spielräume für Preissenkungen. | Bild: Bund der Energieverbraucher

VZBW-Experte Bauer weist auf einen anderen Punkt hin. Die staatlichen Bremsen für Strom und Gas, die den Preisanstieg für die Verbraucher kappen und bei Gas den Dezemberabschlag komplett übernehmen, nähmen Druck aus dem Markt, sagt er. Anders ausgedrückt sinkt durch die Kostenentlastung der Energiekunden der Anreiz für Energieversorger, Preisspielräume ihrerseits sofort nach unten an die Haushalte und Firmen weiterzugeben.

Die staatlichen Eingriffe in den Energiemarkt setzen den Wettbewerb insofern ein Stück weit außer Kraft. Dieser ist in den vergangenen Monaten sowieso fast zum Erliegen gekommen. Während früher Energieversorger mit Lock-Angeboten um Kunden buhlten, ist der Markt heute von sogenannten Prohibitivpreisen bestimmt.

Auf deutsch: Energieversorger setzen ihre Endkundentarife bewusst sehr hoch an, um gar nicht in die Verlegenheit zu kommen, Neukunden aufnehmen zu müssen. Der Grund: Sie haben schlichtweg zu wenig günstige Energiemengen, um sie zu versorgen.

Gibt es denn gar keine Spielräume für Preissenkungen?

„Die gibt es“, sagt Aribert Peters, Vorstand beim Bund der Energieverbraucher. Es sei ein gängiges Muster, dass Energieversorger Preissteigerungen direkt weitergeben, sich bei Preissenkungen aber Zeit ließen. „Das sehen wir auch jetzt“, sagt Peters. Noch zum Jahreswechsel hätten einige Energieanbieter die Preise erhöht.

Matthias Bauer von der VZBW weist zudem darauf hin, dass die Mehrwertsteuer auf Gas seit Oktober nicht mehr 19 Prozent, sondern sieben Prozent beträgt. „Seriöse Energieversorger geben diesen Nachlass weiter“, sagt er. Er empfiehlt Energiekunden, zögerliche Versorger direkt auf den Punkt anzusprechen.