In Pfullendorf schießen Spekulationen ins Kraut. Angeblich will dort ein Investor im Gewerbegebiet eine Algenfabrik bauen. Über Details schweigt man, nicht einmal die Stadtverwaltung bestätigt, dass etwas derartiges geplant sei. Man habe mit dem neuen Eigentümer Stillschweigen vereinbart, sagt Bürgermeister Thomas Kugler. Viel Geheimniskrämerei um ein mögliches Zukunftsprojekt.

Dabei könnte eine Algenzucht im sonnigen Südwesten Sinn machen. Algen gelten als vielseitig verwendbar, sie werden auch gern als Superfood, als Wundernahrungsmittel bezeichnet. Auch deshalb werden sie von der Wirtschaft immer mehr als inhaltsreicher und nachhaltiger Rohstoff entdeckt.

In einer globalisierten Welt mit wachsender Bevölkerung und schrumpfenden Anbauflächen haben Algen einen sicheren Platz in der Zukunft der Menschen, ist sich Jörg Ullmann sicher. Er ist Geschäftsführer einer Algenfarm in Klötze (Sachsen-Anhalt), die mit 1,2 Hektar nach eigenen Angaben zu den größten Europas zählt.

Gigantisches Röhrensystem in mehreren Treibhäusern

In mehreren Treibhäusern winden sich dort auf einer Länge von 500 Kilometern Glasröhren, in denen von den wärmeren Märztagen bis in den kalten Herbst hinein Mikroalgen heranwachsen. Sie heißen unter anderem Spirulina und Chlorella, zwei Algenarten, die laut Ullmann ein ungeheures Potenzial haben.

Er vergleicht seine Gewächshäuser mit riesigen Aquarien. Nachdem die Röhren mit Wasser gefüllt sind, werden Starterkulturen samt Nährstoffe hinzugegeben. Die Röhren färben sich zunächst hellgrün. „Die Alge Chlorella ist in ihrer Größe vergleichbar mit einem roten Blutkörperchen, man kann sie im Wasser nicht sehen“, erläutert er gegenüber dem SÜDKURIER. Bei steigenden Temperaturen vermehren sie sich rasant. So teilt sich etwa die einzellige Chlorella am Tag in zwei bis 16 Tochterzellen. Nach anderthalb Wochen ist das Medium schwarzgrün. Dann wird die Hälfte geerntet. Die andere Hälfte bleibt drin, so dass der Inhalt der Anlage alle zwei bis drei Tage geteilt werden kann.

Die Alge ist wie der süße Brei

„Das wächst wie der süße Brei immer wieder neu nach“, sagt der Biologe. Irgendwann Mitte November lohnt sich die Ernte dann nicht mehr, weil die Tage kürzer werden und das Wetter kälter ist, so dass die Anlage abgelassen und winterfest gemacht wird.

Kilometerlange Glasröhren durchziehen die Gewächshäuser der Algenfarm in Klötze (Sachsen-Anhalt).
Kilometerlange Glasröhren durchziehen die Gewächshäuser der Algenfarm in Klötze (Sachsen-Anhalt). | Bild: Ullmann

Aus dem spinatartigen Brei wird Unterschiedliches gemacht: teils eingefrorener Brei, getrocknetes Pulver, gepresste Tabletten. Ullmann verweist auf Kunden in aller Welt für die Produkte. Zwar gibt es in Europa 450 Firmen, die sich mit dem Algenanbau befassen. Das große Geschäft mit Algen wird aber in Asien gemacht, wo man das Potenzial schon viel früher entdeckt hat. Vor allem China, gefolgt von Indonesien, den Philippinen und Chile sind die bedeutendsten Produktionsländer. Die Wachstumsraten sind zweistellig.

„Alge“ ist heute in 70 Prozent aller Lebensmittel

Heute steckt laut Ullmann in 70 Prozent aller Lebensmittel weltweit „Alge“. Und kaum jemand nimmt es wahr. „Das geht los bei Altbekanntem, was wir sofort im Supermarkt in unseren Einkaufswagen legen würden, wo man gar nicht weiß, dass das Alge ist“, sagt Ullmann. Nämlich pflanzliche Stabilisatoren, Emulgatoren und Verdickungsmittel wie Alginate, Carrageen oder Agar-Agar oder auch E 401, E 407, E 406. „Wenn man zum Beispiel Mayonnaise, Salatdressing oder Pudding aus dem Regal nimmt, ist das oft mit drin.“

Aus der Mikroalge Spirulina wird aber auch ein blauer Farbstoff gewonnen, der in Lebensmitteln eingesetzt wird – etwa in blauen oder grünen Gummibärchen. Dieser Farbstoff hat den bisherigen synthetischen Farbstoff abgelöst. „Das Beispiel zeigt, wie man Lebensmittel auch gesünder und nachhaltiger machen kann“, so Ullmann.

Eine Alge zum Backen

Bei den Mikroalgen gebe es eine Alge, die Butter- und Backwaren ersetzen kann: „Ohne auf Geschmack verzichten zu müssen“, meint Ullmann. „Das ist spannend nicht nur im Trendbereich der veganen Lebensmittel, gleichzeitig sind die Speisen stark in den Kalorien reduziert.“

Farbintensive Meeresalgen liegen neben dem getrockneten Pulver einer Grünalge.
Farbintensive Meeresalgen liegen neben dem getrockneten Pulver einer Grünalge. | Bild: EISING STUDIO l FOOD PHOTO & VIDEO

Algen haben als Lebensmittel in der Menschheitsgeschichte eine jahrtausendalte Tradition. Schon vor 14.000 Jahren kauten die ersten Siedler Südamerikas auf bestimmten Meeresalgen, Chinesen und Japaner nutzten sie Jahrhunderte vor der westlichen Zeitrechnung als Nahrungsmittel, die Azteken entdeckten die Blaualge Spirulina für ihr Essen und fischten sie aus dem Texcoco-See, keltische Krieger ernährten sich damit auf ihren Märschen und britische Seefahrer kauten darauf, um Skorbut vorzubeugen.

Die Entdeckung des Essens für arme Leute

Algen waren früher das Essen der armen Leute, so Ullmann, der darüber im Handbuch für Lebensmittelhygiene einen Aufsatz schrieb. „Jetzt werden sie wiederentdeckt aus ganz unterschiedlichen Gründen. Um eine gewisse Vielseitigkeit in die Küche zu bringen, zum anderen rücken gesundheitliche Aspekte in den Vordergrund.“ So gebe es Meeresalgen, die zehnmal mehr Vitamine haben als Orangen. Und er verweist auf einen hohen Ballaststoffanteil und eine antivitale Wirkung.

Über die Geschäftszahlen des 1999 gegründeten Unternehmens in Klötze spricht Ullmann nicht gerne, nur soviel könne er sagen: Jährlich produziere die Roquette Klötze GmbH & Co. KG zwischen 30 und 50 Tonnen Biomasse, weitere 10 Tonnen sollen durch eine neue Algenanlage hinzukommen. „Wir stehen da wirtschaftlich zumindest auf einem soliden Fundament.“ In Klötze gibt es 17 Mitarbeiter und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, die ihre Forschungsarbeit schreiben. In Mecklenburg-Vorpommern wird demnächst eine zweite Algenfarm in Betrieb genommen.

Je mehr Algen in den Rohren wachsen, desto dunkler färben sie sich.
Je mehr Algen in den Rohren wachsen, desto dunkler färben sie sich. | Bild: Ullmann

Einen Nachteil gegenüber der konventionellen Nahrungsmittelerzeugung sieht aber auch Ullmann: „Man darf nicht vergessen, dass das eine sehr junge Technologie ist.“ Den industriellen Algenanbau gibt es gerade erst seit 70 Jahren. „1950 war die weltweite Algenproduktion bei Null. Wir blicken auf eine sehr kurze Zeit zurück im Vergleich mit der über 10.000 Jahre konventionellen Landwirtschaft.“

Und hier setzen auch Skeptiker wie die Ernährungswissenschaftlerin Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung an. Sie hält Spirulina als Nahrungsmittel für wenig tauglich und verweist darauf, dass es kaum tiefgreifende wissenschaftliche Studien gebe, die den Superfood-Charakter bestätigen. Der Jodgehalt sei gering, Vitamin B12 zwar reichlich, aber in dieser Form vom Menschen nicht abbaubar. „Solange man für eine abwechslungsreichhe, gesunde Ernährung sorgt, würde ich diese Produkte als überflüssig bezeichnen“, wird sie in der Apotheken-Rundschau zitiert.

Die grünen Algen-Röhren wirken auf den Betrachter futuristisch.
Die grünen Algen-Röhren wirken auf den Betrachter futuristisch. | Bild: Ullmann

Ullmann weist die Kritik als viel zu pauschal zurück. Er verweist auf die noch sehr kurze Geschichte, in der sich die Wissenschaft mit Algen beschäftigt. Heute seien 45.000 Algenarten bekannt, wobei vermutet wird, dass es zehnmal mehr gibt. „Für uns in der Nutzung spielen dabei gerade mal 100 Arten eine Rolle. Wir sind gerade dabei, die Schatztruhe der Algen zu öffnen. Aber wir wissen schon viel in der Wissenschaft.“ Was er besonders wichtig findet: Algen darf man nicht über einen Kamm scheren. „Das vergessen viele und versuchen, allgemeine Aussagen über Algen zu treffen. Allein Spirulina, ein wirkliches Bakterium, und Clorella, eine echte Pflanze, könnten unterschiedlicher kaum sein.“