Herr Hutter, erst Corona, dann die unterbrochenen Lieferketten und jetzt auch noch hohe Energiepreise, Inflation und Kaufzurückhaltung: Wie geht es dem Handel im Südwesten?

Die Lage ist schon ernst und bedrohlich, weil keiner weiß, was auf uns zukommt. Auf der einen Seite haben wir die hohen Kosten, auf der anderen Seite die inflationären Preisentwicklungen bei den Rohstoffen und den Einkaufspreisen. Und drittens haben wir natürlich die Sorge, dass der Konsum erlahmt, die Leute sparen und dem Handel ein nicht so gutes Weihnachtsgeschäft bescheren.

Auf das Weihnachtsgeschäft kommt es nun an: Händler auch in Südbaden hoffen, dass die Kunden in die Städte kommen und ihr Geld nicht im ...
Auf das Weihnachtsgeschäft kommt es nun an: Händler auch in Südbaden hoffen, dass die Kunden in die Städte kommen und ihr Geld nicht im Internet ausgeben. | Bild: Stadler, Eberhard

Haben Sie aus den einzelnen Branchen schon Prognosen für das Weihnachtsgeschäft?

Bis jetzt läuft es schon mal nicht so schlecht. Die Konsumbarometer sind schlechter, als die Stimmung in Wirklichkeit ist. Aber natürlich merkt man, dass vor allem bei höherpreisigen Gütern die Leute etwas zurückhaltender sind. Ich hoffe aber, dass, je näher Weihnachten kommt, die Menschen wieder mehr Freude daran entdecken, sich selbst oder ihren Lieben etwas Gutes zu tun. Ich hoffe also, dass am Ende nicht alles so schlimm kommt, wie man es jetzt erwarten könnte.

Was tut der stationäre Handel in unseren Städten dafür, dass diese Umsätze nicht noch weiter ins Internet abwandern?

Der Handel ist da sehr aktiv. Auf der einen Seite versucht er, den Dialog mit den Kunden auszubauen, auch über digitale Medien, auf der anderen Seite versuchen wir, die Geschäfte selbst noch erlebnisorientierter zu machen. Was wir seit Corona auch sehen, ist, dass in den kleineren Städten der Fokus wieder etwas mehr auf dem örtlichen Handel ist – weil die Menschen eben doch wieder regionaler denken und mehr vor Ort bleiben. Da tun sich manchmal die ganz großen Städte wie Stuttgart, Karlsruhe oder München sogar schwerer als das Umland.

Hermann Hutter, Präsident des Handelsverband Baden-Württemberg und Vizepräsident des Handelsverband Deutschland.
Hermann Hutter, Präsident des Handelsverband Baden-Württemberg und Vizepräsident des Handelsverband Deutschland. | Bild: Hutter Trade GmbH & Co. KG / HRSchulz

In unserer Region prägen auch in guten Lagen inzwischen Nagelstudios, Handyläden und dergleichen das Bild. Was läuft da schief?

Der Handel kann die bisher oft noch sehr hohen Mieten bisweilen nicht mehr bezahlen. In der Folge werden die Flächen geteilt, das zieht bestimmte Branchen wie etwa Handyläden oder Nagelstudios an. Die haben einen vergleichsweise niederen sonstigen Kostenblock, weil sie kaum Ware vorhalten müssen. Die versuchen nun auf die Flächen zu gehen, die der Handel aufgibt.

Und ja, es ist so, dass die Zahl der Geschäfte zurückgegangen ist, und der großflächige Handel ist in aller Regel auf die grüne Wiese umgezogen. Zum Teil sind, wie hier in Konstanz mit dem Lago oder in Singen mit dem Cano, Shopping-Malls entstanden. Aber auch die haben es nicht unbedingt einfach.

In guter Lage: Nagelstudios machen sich in vielen Innenstädten auch im Südwesten breit. Das liegt auch daran, dass sie außer Personal ...
In guter Lage: Nagelstudios machen sich in vielen Innenstädten auch im Südwesten breit. Das liegt auch daran, dass sie außer Personal und Miete keine großen Kostenblöcke haben. | Bild: Freißmann, Stephan

Mit dem, was wir heute wissen, und mit dem was bis 2030 prognostiziert ist: Sind zu viele Handelsflächen geschaffen und genehmigt worden?

Die Produktivität hat im Lauf der Jahre nachgelassen: In ganz Deutschland kann man sehen, dass der Quadratmeter-Umsatz deutlich niedriger als beispielsweise in England oder in anderen Ländern. Große Kaufhäuser, zum Beispiel El Corte Inglès oder Galeries Lafayette, erzielen auch außerhalb der Metropolen wie Madrid oder Paris doppelt und dreifach so hohe Umsätze wie zum Beispiel Galeria Karstadt Kaufhof. Das macht das Leben für Kaufhäuser in Deutschland schwieriger als in anderen Ländern.

Seit fast 20 Jahren ein Publikumsmagnet: Das Lago hat zusätzliche Einkäufer nach Konstanz gelockt. Entscheidend war und ist die Lage im ...
Seit fast 20 Jahren ein Publikumsmagnet: Das Lago hat zusätzliche Einkäufer nach Konstanz gelockt. Entscheidend war und ist die Lage im Stadtzentrum und eben nicht auf der Grünen Wiese. | Bild: Hanser, Oliver

Nochmals die Frage: Haben Stadtplanung und Stadtpolitik zu viele neue Einzelhandelsflächen ausgewiesen, innerstädtisch und an den Rändern?

Innerstädtisch glaube ich nicht, da sind die Flächen ja nicht gewachsen, von einzelnen Sonderfällen abgesehen, wie hier in Konstanz mit dem Lago. Wobei alles, was fußläufig von der Innenstadt erreicht wird, positiv für die Zentren ist. Außerhalb der Stadt wurde in jeder Ecke noch ein weiteres Gewerbe- oder Handelsgebiet aufgemacht, und die haben alle Kaufkraft aus den Innenstädten weggenommen. Das war und ist nicht gut.

Klar, draußen ist es für Geschäfte einfacher, die Mieten sind niedriger, die Flächen sind einfacher strukturiert, es gibt genügend Parkplätze. Aber gerade diese Handelsgebiete draußen werden wieder schrumpfen, weil wir zu viele Quadratmeter haben. Der Trend zum Online-Kaufen wird das noch beschleunigen. In Teilen des Textilhandels läuft schon 50 Prozent des Volumens online. Umgekehrt liegt darin aber auch die Chance, als lokaler Platzhirsch nicht nur stationär, sondern auch digital erfolgreich zu sein.

Nicht so einfach…

In der Tat. Der Handel hat nun die Aufgabe, zum so genannten dritten Ort zu werden, also dem Ort, wo man sich neben Arbeit und Wohnen viel und gerne aufhält. Da übernimmt der Handel eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und stärkt unsere Innenstädte als gesellschaftlichen Mittelpunkt. 60 Prozent aller Leute, die in die Stadt gehen, kommen wegen des Handels. Deshalb müssen die Kommunen ein großes Interesse daran haben, dass die Innenstadt belebt ist, im Mix mit guter Gastronomie und Dienstleistern.

Einkaufszentren wie hier das Cano in Singen sind dann erfolgreich, wenn die Kunden lange bleiben und zu Impulskäufen verführt werden.
Einkaufszentren wie hier das Cano in Singen sind dann erfolgreich, wenn die Kunden lange bleiben und zu Impulskäufen verführt werden. | Bild: Arndt, Isabelle

Galeria Karstadt Kaufhof hat jetzt gerade zum dritten Mal versucht, an Staatsgeld heranzukommen. Dem Konzern geht es nicht gut, und in vielen mittelgroßen Städten wie Konstanz und Singen geht die Sorge um: Wenn Karstadt zumacht, fügt das unserem Handelsstandort irreparablen Schaden zu. Ist das gerechtfertigt?

Es ist schon so, dass Leuchttürme in einer Innenstadt benötigt werden, und gerade Kaufhäuser haben ein sehr breites Sortiment, das man eben nicht überall findet. Es ist außerdem auch nicht so, dass man ein aufgegebenes Kaufhaus ganz einfach umbauen kann. Also droht Leerstand, und das ist nie gut. Hier in Konstanz sehen Sie ja die Bedeutung von Galeria Karstadt Kaufhof.

So gesehen, gibt es einige Argumente, dass der Staat hilft. Ob aber das Geschäftsmodell für die Zukunft tauglich ist, hängt davon ab, was das Management von Galeria daraus macht. Da hätten sie eigentlich beste Chancen, mit einer Omnichannel-Strategie digital und stationär erfolgreich zu sein. Allein in Click-and-Collect stecken noch viele ungenutzte Möglichkeiten.

Seit Jahren ein Sorgenkind im deutschen Handel: Karstadt in Singen stand schon 2020 kurz vor der Schließung.
Seit Jahren ein Sorgenkind im deutschen Handel: Karstadt in Singen stand schon 2020 kurz vor der Schließung. | Bild: Lucht, Torsten

Karstadt hat schon lange vor Corona geschwächelt, und eigentlich sogar schon, bevor die Digitalisierung des Handels richtig losgegangen ist. Versenkt der Staat da nicht das Geld der Bürger für etwas, das nicht mehr zu retten ist?

Das kann man auf den ersten Blick so sehen, wenn der Staat das Geld wirklich verlieren sollte. Auf der anderen Seite ist es so, dass mehr Steuerkraft dableibt, wenn eine Innenstadt vital ist. Es geht also nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um alle anderen, die rund um so ein Kaufhaus angesiedelt sind. Wenn da mal ein Loch da ist, wird es schwierig. Eine lebendige Innenstadt mit einem Kaufhaus in der Mitte zahlt sich in vielfacher Weise aus.

Im Grunde sind doch Shopping-Malls nicht viel anderes als ein großes Warenhaus. Warum waren diese Einkaufszentren in den letzten 20 Jahren so immens erfolgreich, während die Warenhäuser nicht richtig vom Fleck gekommen sind?

Ich finde, man kann das nicht ganz so sehen. In einer Shopping-Mall hat doch jeder Laden eine eigene Individualität. Die Malls sind bunter und vielfältiger, sie haben ein viel breiteres gastronomisches Angebot und in der Regel gibt es dort auch Lebensmittel zu kaufen. All das trägt dazu bei, dass mehr Kunden kommen, und dass sich die Kunden dort viel länger aufhalten. 70 Prozent aller Käufe sind Impulskäufe. Das heißt, wenn die Leute da sind, kaufen sie auch was. Wenn sie aber gar nicht erst kommen oder nur kommen, wenn sie unbedingt einen Bedarf haben, dann ist die Chance auf so einem spontanen Kauf sehr gering.

Auch hier ist zusätzliche Handelsfläche entstanden: Das Cano in Singen wurde noch in einer Zeit großer Wachstumserwartungen geplant und ...
Auch hier ist zusätzliche Handelsfläche entstanden: Das Cano in Singen wurde noch in einer Zeit großer Wachstumserwartungen geplant und gebaut. | Bild: Tesche, Sabine

Hier im Grenzraum beklagen die Händler, dass deutlich weniger Kunden aus der Schweiz kommen als vor Corona. Und das, obwohl der Franken so stark ist wie nie. Welche Erklärungen haben Sie als Handelsverband dafür?

Corona hat sicherlich die Lust zum Einkaufen nach Deutschland zu fahren reduziert, insbesondere mit den deutschen Corona-Regeln, und die Schweizer damit wieder mehr zu Hause gebunden. Auch der Schweizer Handel hat vielfältige Maßnahmen getroffen, um seine Kunden vor Ort zu halten. Und viele bestellen natürlich auch online in Deutschland. Was wir aber sehen: Seit der Frankenkurs zuletzt noch einmal gestiegen ist, kommen wieder mehr Schweizer auf die deutsche Seite.

Der Boom der grünen Zettel scheint abgeschwächt. Bagatellgrenze und eine Rückbesinnung auf den Einkauf im eigenen Land haben das ...
Der Boom der grünen Zettel scheint abgeschwächt. Bagatellgrenze und eine Rückbesinnung auf den Einkauf im eigenen Land haben das Geschäft mit Besuchern auf der Schweiz verändert. | Bild: Gerard, Roland

Es heißt, die Klage ist der Gruß des Kaufmanns. Ich habe das sogar zu absoluten Boom-Zeiten so erlebt. Warum sollen wir den Warnrufen dieses Mal Glauben schenken?

Man kann ja mit eigenen Augen sehen, dass Läden geschlossen werden. Hinten kommt die Ware rein, vorne geht nichts raus: Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Bei den Energiekosten liegen die Erhöhungen für unsere Betriebe teilweise bei 400, 500, 800 Prozent. Darunter leidet auch der Lebensmittelhandel, der ja nicht nur große Flächen hat, sondern auch noch zusätzlich kühlen muss.

Wenn bisher die Energiekosten bei zwei Prozent des Umsatzes lagen, und das jetzt auf zehn Prozent hochgeht, dann ist das bedrohlich. Diese acht Prozent Mehrkosten vom Umsatz, die gibt einem keiner. Daneben hat der Fachhandel auch mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und muss viel Geld in die Digitalisierung investieren. Klar, der Handel hat den Ruf, dass er klagt und jammert.

Das liegt auch daran, dass der Handel oft bescheidener ist als Industriebetriebe, die schon auch mal protzen. Ich wünsche mir, dass der Handel da auch mal stolz ist – zum Beispiel in einer so tollen Stadt wie Konstanz.