Lukas von Hoyer

Über scharfe Sanktionen den Weg in Arbeit aufzeigen. In etwa so stellen sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die Koalition aus Union und SPD offenbar die Neue Grundsicherung vor, die das Bürgergeld ersetzen soll – zumindest legt das der Koalitionsvertrag nahe. Das soll trotz eines schwierigen Arbeitsmarktes und unterschiedlichen Vermittlungshürden, die viele Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld mitbringen, vor allem durch mehr Geld gelingen, das den Jobcentern zur Verfügung gestellt wird.

Konkrete Pläne zur Unterstützung der bedürftigen Kinder und Jugendlichen sind im Koalitionsvertrag hingegen nicht zu finden. Laut der Nichtregierungsorganisation Save the Children leben in Deutschland derzeit rund drei Millionen Kinder und Jugendliche in Armut. Die meisten von ihnen sind nicht erwerbstätig, da unter 15 Jahren alt. Kinder und Jugendliche, deren Eltern Bürgergeld beziehen, sind offenbar in besonderem Maße gefährdet. Sie haben das Risiko, in einen Teufelskreis zu geraten.

Kindergeld aus Bürgergeld-Familien haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Die Kinder von Bürgergeld-Bezieherinnen und -Beziehern haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das dürfte vor allem mit dem Bildungsniveau zu tun haben, das bei Jugendlichen aus sogenannten SGB-II-Haushalten „deutlich niedriger als das der Vergleichsgruppe“ sei. Das lässt sich durch die folgenden Zahlen belegen:

  • 10 Prozent der Jugendlichen aus SGB-II-Haushalten verlassen die Schule ohne Abschluss.

  • Nur 20 Prozent weisen eine (Fach-)Hochschulreife auf.

  • 30 Prozent erreichen nicht mehr als einen Hauptschulabschluss.

In der Vergleichsgruppe liegt der Anteil an Jugendlichen mit einer Fach(-Hochschulreife) bei rund 50 Prozent. Da überrascht es wenig, dass Jugendliche aus SGB-II-Haushalten seltener (14 Prozent) ein Studium aufnehmen als die Jugendlichen aus der Vergleichsgruppe. Vier Jahre nach dem Schulabschluss haben etwa 20 Prozent der SGB-II-Gruppe noch keine Berufsausbildung begonnen, in der Vergleichsgruppe liegt dieser Wert bei sechs Prozentpunkten. „Jugendliche aus der SGB-II-Gruppe starten daher mit deutlich ungünstigeren Voraussetzungen als Jugendliche aus der Vergleichsgruppe“, schlussfolgert das IAB.

Diese Beobachtungen stehen im Einklang mit zahlreichen empirischen Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem erreichten Bildungsniveau und den sozialen Voraussetzungen bewiesen haben.

Lernen Kinder Bürgergeld?

Auch die Dauer des Bezugs der Grundsicherung scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Die Forschenden beobachteten, dass Jugendliche aus Bürgergeld-Familien, die über ein Jahr von Bürgergeld abhängig waren, seltener in Beschäftigung sind als die von Familien, die über wenige Monate Bürgergeld bezogen haben. Das bedeutet, dass ein längerer Leistungsbezug in einem Haushalt mit einer niedrigeren Beschäftigungsquote einhergeht, erklärt das IAB. Woran das genau liegt, kann die Analyse nicht aufzeigen.

Wolfgang Büscher, Sprecher der Arche Kinderstiftung, glaubt, dass der Umgang der Eltern mit einem möglichen Berufsleben und einem Arbeitsalltag auf die Kinder abfärbt. „Wir kennen viele Kinder, die unsere 35 Einrichtungen in Deutschland besuchen, die noch nie ihre Eltern haben zur Arbeit gehen sehen“, sagte Büscher im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Seine Schlussfolgerung: „Die Kinder lernen Bürgergeld“. Ein Teufelskreis also.

Laut Büscher beginnt der Kreislauf schon bei der Ernährung. Das Bürgergeld reiche oft nicht für eine gesunde Ernährung der Kinder. Dazu passt das Ergebnis einer Umfrage des Umfrageinstituts Verian, die von dem Verein Sanktionsfrei in Auftrag gegeben wurde. In dieser gaben 69 Prozent der befragten Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher an, dass sie sich eine gesunde Ernährung nicht leisten können. Mehr als die Hälfte der Eltern müssten sogar hungern, damit ihre Kinder satt werden.

„Die Kinder ernähren sich ungesund, sind häufiger krank, haben Allergien und schlechte Zähne“, erklärt Büscher. Neben der Gesundheit würden sie Nachteile rund um Bücher, Klassenfahrten, andere Reisen und Kleidung haben. Dadurch würden sie am System scheitern und die Schule häufig ohne Abschluss verlassen. Um das zu ändern, fordert die Arche eine Kindergrundsicherung von 600 Euro im Monat. 300 Euro davon sollten direkt ins Schulsystem fließen, 150 Euro für Schulmaterial, Klassenfahrten und Beiträge für Vereine hergenommen und 150 auf Kinderkonten überwiesen werden.

Auch interessant: Weiterbildungen und Umschulungen bekommen Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld teils vom Jobcenter bezahlt. Beispielsweise übernimmt das Jobcenter die Kosten für einen Führerschein. Die Eingliederungsquote ist in der Folge je nach Branche unterschiedlich.