Herr Kaiser, viele Händler in den Innenstädten sind auf dem Rückzug, Decathlon expandiert in Rekordtempo. Erklären Sie doch mal, was Sie in Deutschland vorhaben?
Unser übergeordnetes Ziel ist es, so vielen Menschen wie möglich den Zugang zum Sport zu ermöglichen. Um das zu erreichen, brauchen wir mehr Filialen als bisher. Süddeutschland ist wegen seiner Nähe zu den Alpen und den vielen Seen besonders interessant. Mehr Sport als hier geht ja fast nicht mehr.
Und daher drückt Decathlon bei seiner Expansion in Süddeutschland jetzt aufs Gas?
Nicht nur in Süddeutschland, bundesweit. Unser Ziel ist es, die großen Ballungsgebiete mit unseren Filialen abzudecken. Dafür streben wir ein Filialnetz von zirka 140 Märkten in den kommenden Jahren an.
In Singen am Hohentwiel eröffnen Sie demnächst eine 1600 Quadratmeter große Filiale. Warum hier? Ein Ballungsgebiet ist das ja nicht…
Das Einzugsgebiet ist vergleichsweise beschränkt, das stimmt. Aber wir setzen hier auf die sportbegeisterte Bevölkerung, die in einer Region mit unzähligen Freizeitmöglichkeiten lebt. Außerdem haben wir am Bodensee bislang keinen Markt. Übrigens auch nicht auf der gegenüberliegenden Schweizer Seite. Auch die Nähe zur Schweiz ist ein Faktor, der für Singen als Standort spricht.
Wie wichtig ist die Schweizer Kundschaft?
In Lörrach, unserem nächsten grenznahen Markt, haben wir zehn bis 15 Prozent Schweizer Kunden, was vergleichsweise wenig ist. Das mag damit zusammenhängen, dass wir in der Zentralschweiz schon mit über 20 Filialen präsent sind. Durch die Übernahme der Schweizer Sportmarke Athleticum ist es uns dort relativ schnell gelungen, hohe Marktanteile zu erzielen.
Wie sieht es mit Österreich aus?
In Österreich starten wir die Expansion von Wien aus, wo wir bald zwei Filialen haben werden und planen, zügig weiterzuwachsen. In den nächsten Jahren wollen wir in Österreich einen Marktanteil von 10 bis 15 Prozent erreichen.
In Frankreich und Teilen Südeuropas hat Decathlon den klassischen Sport-Einzelhandel verdrängt und ist der dominierende Anbieter. Schwebt ihnen das auch für Deutschland vor?
In Frankreich sind wir mit über 300 Filialen der klare Marktführer. Decathlon war in Deutschland anfangs völlig unbekannt. Das Konzept musste auf dem deutschen Textilmarkt erst bekannt werden. Heute sieht das anders aus. Klar ist, dass wir weiße Flecken auf der Landkarte schließen und eine Gesamtabdeckung erreichen wollen.
Die 140 Filialen sind also nicht das Ende der Fahnenstange?
Für den Moment steht die Zahl 140. Die Corona-Krise hat nochmal aufgezeigt, wie wichtig es ist, unsere Kunden auf mehreren Kanälen zu begleiten. Hier spielt der boomende Onlinehandel und die daraus für uns resultierende On- und Offline-Fusion weiterhin eine wichtige Rolle.
Warum schließt Decathlon auch Filialen?
Neben der Expansion passen wir auch weiter unser Store-Portfolio an. Zum Jahresende werden wir deshalb fünf kleinere Filialen schließen. Für unsere mittel- und langfristige Expansion gehen wir in Top-Standorte und eröffnen dort Märkte von Plus-Minus 2000 Quadratmetern Größe. Das ist nötig, um alle Sportarten unterzubringen und gleichzeitig Testflächen und Showrooms anzubieten. Dieses Alleinstellungsmerkmal, das unsere Kunden schätzen, bauen wir aus.
2019 ist Decathlon umsatzmäßig um 26 Prozent gewachsen. Wie rentabel ist ihr Expansionskurs?
Bislang expandieren wir in Deutschland rentabel und das ist auch weiterhin Ziel unserer Expansionsstrategie.
Stationäre Händler sind nicht gut auf Decathlon zu sprechen. Ihre Großmärkte gefährden die Existenz vieler kleiner Fachgeschäfte. Lässt Sie das kalt?
Es gibt nicht nur Klagen. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen unsere Präsenz den lokalen Händlern zu Gute kommt, schlicht weil Decathlon Frequenz bringt. Um zu unseren Märkten zu kommen, nehmen die Kunden ähnlich wie bei Ikea Anfahrtswege von gut einer halben Stunde in Kauf. Das heißt, da kommen Kunden von außerhalb in die Kommunen, in denen wir Standorte haben. Zum anderen hebt sich unsere Produktpalette von derjenigen den normalen Einzelhandels ab. Wir sind zum Beispiel deutlich technischer aufgestellt, während die Konkurrenz eher auf Mode und Style geht.
Das Argument, dass sich Ihre Produktpalette mit der des niedergelassenen Handels ergänzt, stimmt doch nicht. Decathlon hat zehntausende Artikel gelistet. De facto kann man bei Ihnen doch fast alles kaufen…
Wir bieten heute zum Großteil unsere Eigenmarken an, die es ausschließlich bei uns gibt. Das Markenangebot anderer Händler bleibt also mehr oder weniger exklusiv bei denen. Zudem legen wir einen Schwerpunkt auf Sport-Großgeräte, wie Tischtennisplatten oder Fitnessgeräte, die heute bei anderen Händlern gar nicht mehr oder kaum noch zu finden sind. Außerdem haben wir den Anspruch, möglichst jede Sportart bedienen zu können, also auch Randsportarten, wie Reiten, Tauchen oder Bogenschießen. Auch dieses Angebot suchen Sie zum in Innenstädten meist vergebens.

Discounter wie Aldi oder Lidl drängen mit Aktionen in den Sportartikelmarkt. Schreckt Sie das nicht ab?
Die Angebote der Discounter schrecken uns deswegen nicht, weil sie immer nur aktionsweise vermarktet werden. Bei uns haben die Kunden das ganze Sortiment, zu fairen Preisen, das ganze Jahr.
Decathlon gilt als der Aldi der Sportartikler. Stört sie das Image?
Aldi ist erfolgreich und uns vom Preis-Leistungsverhältnis ähnlich. Was uns, neben einer ganzen Reihe anderer Dinge, ganz klar unterscheidet, ist die Fachberatung, die Decathlon bietet. Wir selbst sehen uns aber eher wie ein Ikea des Sports, weniger wie ein Aldi oder Lidl.
Ikea setzt verstärkt auf Nachhaltigkeit, bei Decathlon kann man ein T-Shirt für zwei Euro kaufen. Das hat mit Nachhaltigkeit doch wenig zu tun, oder?
Wir haben das Thema Nachhaltigkeit im Blick und setzten bereits eine ganze Reihe von Projekten auch in Deutschland um. Unsere neuen Filialen sind beispielsweise alle mit Solar-Ökostom ausgerüstet und werden über E- Ladestationen verfügen.
Das zu tun, hat Sie sicher nicht viel Überwindung gekostet. Mit den Solardächern verdient man Geld und gratis E-Tankstellen binden Kunden. Was gemeint ist, ist eine nachhaltige Produktion und Lieferketten…
Die Natur ist für uns Sportler unser Spielfeld, daher haben wir uns auch der Initiative „Science Base Target“ angeschlossen und uns darauf verpflichtet unsere CO2 Emissionen zu reduzieren. Wir setzten auf Nachhaltigkeit in allen Prozessen, das startet bereits bei der Auswahl der Rohstoffe, Konzeption unserer Produkte, über Produktion und Transport bis hin zu unseren Filialen. Der Einsatz von Plastikflaschen für Fleecepullover oder Bio-Baumwolle und Merinowolle sind nur einige Beispiele für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur. Auf unserem öffentlich zugänglichen Nachhaltigkeitsbericht informieren wir transparent über unsere Nachhaltigkeitsarbeit und Standards. In diesem Bericht ist konkret formuliert, mit welchen Maßnahmen wir bei der Herstellung unserer Produkte zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und dem Schutz der Umwelt beitragen.
Wo produziert Decathlon eigentlich?
Zum einen in Asien, aber auch in Afrika und in Europa. Fahrräder beispielsweise produzieren wir sogar teilweise in Deutschland, Portugal, Bulgarien oder Frankreich.
Kritiker werfen Mode-Ketten wie Primark vor, Ware zu verkaufen, die so billig ist, dass man sie nach kurzem Tragen wegwerfen könne. Was halten Sie davon?
Nicht viel. Das ist überhaupt nicht unser Ansatz. Wir wollen das Produkt zum bestmöglichen Preis anbieten und verzichten dafür auf ausuferndes Marketing wie Werbung mit Ronaldo oder auf Trikot-Sponsoring in der Budnesliga. Unser Ziel ist es, unsere Produkte ständig zu verbessern, indem wir bestehende Produktlinien anhand von Kundenfeedback überarbeiten und Funktionen verbessern. Wir versuchen alles so kosten-effizient wie möglich zu halten und den günstigen Preis an den Kunden weiterzugeben. Effizienz in den Filialen und Produktivität in der Logistik sind eher Themen, bei denen wir uns versuchen, von der Konkurrenz abzuheben.
Decathlon gilt in der Branche als innovativ. Eine ganze Reihe von Produktneuheiten, etwa das Wurfzelt oder die Tauchmaske gehen auf Sie zurück. Wie organisieren Sie Innovation?
Zunächst einmal entwickeln und designen wir unsere Produkte selbst und haben das nicht ausgegliedert. Unser Kompetenzzentrum für Wassersport sitzt am Atlantik, dasjenige für Bergsport am Mont-Blanc. Dort sind die Teams auch direkt vor Ort, um die Produkte gleich zu testen. Teil unserer Firmenzentrale in Lille ist ein Forschungs- und Entwicklungszentrum, in dem mehr als 800 Ingenieure an Produktinnovationen arbeiten. Wir richten unsere Einstellungspolitik auch nach den Produkten aus. Unsere Mitarbeiter zum Beispiel, die für unsere Laufmarke arbeiten, sind alle Läufer oder haben zu dem Sport wenigstens einen engen Bezug. In Frankreich arbeiten wir auch mit Leistungssportlern zusammen, die uns ihr Feedback zu den Produkten geben.

Speziell der Outdoorsport und das Fahrradfahren boomen. Wohin geht in diesen Märkten der Trend?
Ganz extrem ist der Markt gerade im Radsport. Seit dem Lockdown liegt das Wachtstum hier je nach Radkategorie teilweise im 3-stelligen Prozentbereich gegenüber dem Vorjahr. Dies betrifft besonders teure Fahrräder wie E-Bikes, Rennräder sowie Cross Country und All Mountain MTBs. Im Outdoor- und Fitnessbereich ist die Entwicklung ähnlich.
Planen Sie, mehr deutsche Marken in ihr Sortiment aufzunehmen?
Unsere Eigenmarken sind sehr beliebt bei unseren Kunden, aber wir möchten unser Sortiment immer mit weiteren Marken komplementieren und da gibt es sehr viele interessante deutsche Marken.
Wohin werden sich ihre Online-Verkaufszahlen entwickeln?
Allein in der Corona-Krise ist unser Online-Anteil vom deutschen Gesamtumsatz stark gestiegen. Wenn es bei dieser Tendenz bleibt, wird das Onlinegeschäft am Jahresende voraussichtlich um die 30 Prozent am Gesamtumsatz ausmachen. Im ersten Quartal 2021 werden wir außerdem einen großen Online-Marktplatz eröffnen. Ähnlich wie das Amazon oder Zalando heute schon haben. Wir wollen der erste Ansprechpartner für Sportler im stationären Sportgeschäft und im Netz werden.