Die Liste der Automobilzulieferer, die sich in Folge der Corona-Krise von Personal trennen, wird immer länger. Am Freitag gab der in Donaueschingen ansässige Getriebe- und Zahnradspezialist IMS Gear bekannt, im laufenden Jahr insgesamt 300 seiner 2000 Stellen im Inland abzubauen. Von ursprünglichen Plänen, 350 Stellen zu streichen, ist das Unternehmen abgerückt. Gut 140 Mitarbeitern werden allerdings betriebsbedingt gekündigt.

Der Stellenabbau, der sich gleich über alle Standorte verteilt, sei „unvermeidlich“ gewesen, sagte IMS-Gear-Vorstand Wolfgang Weber. Ziel sei es aber, eine „möglichst sozialverträgliche Lösung „ zu finden.

Der Zahnrad- und Getriebespezialist IMS Gear aus Donaueschingen – im Bild die drei Vorstände Bernd Schilling, Dieter Lebzelter und ...
Der Zahnrad- und Getriebespezialist IMS Gear aus Donaueschingen – im Bild die drei Vorstände Bernd Schilling, Dieter Lebzelter und Wolfgang Weber (v. li.) baut erstmals seit Jahren Stellen ab. | Bild: IMS Gear Donaueschingen

Der langjährige IMS-Betriebsratschef Wolfgang Harter sagte, es sei gelungen, den Stellenabbau auf ein „absolut erforderliches Minimum zu reduzieren und soziale Härten weitestgehend auszuschließen. Der zuständige IG-Metall-Vertreter, Franz Ritter, sprach von einem „ordentlichen Verhandlungsergebnis“.

Auch die Konkurrenz streicht Stellen

Das Donaueschinger Unternehmen ist nicht der erste Autozulieferer, der in der jüngsten Vergangenheit Arbeitsplatzabbau angekündigt hat. Erst vor zwei Wochen hatte Marquardt aus Rietheim bei Tuttlingen die Streichung von 200 Stellen ab 2021 bekannt gegeben. Auch hier sind betriebsbedingte Kündigungen möglich. Zusätzlich verzichten die verbleibenden Mitarbeiter teilweise auf Gehaltsbestandteile, wie das Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Bei IMS Gear haben die verbleibenden Beschäftigten keine Einschnitte zu befürchten.

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Auch die großen der Branche reagieren auf die Corona-Krise und die bereits im Vorjahr spürbare Abschwächung der Automobilkonjunktur. Deutschlands drittgrößter Autozulieferer ZF Friedrichhafen will 15.000 Jobs streichen, die Hälfte davon in Deutschland. Und auch Bosch und Continental haben bereits angekündigt, sich von Tausenden Mitarbeitern zu trennen. Einer aktuellen Umfrage des Branchenverbands VDA zufolge planten im August sechs von zehn Zulieferern als Folge der Corona-Krise verstärkten Personalabbau.

Einbrüche im Fahrzeugmarkt

Nach ihrem globalen Höhepunkt im Jahr 2017 ist die weltweite Autoproduktion im Sinkflug. Von 95 Millionen Fahrzeugen vor drei Jahren wird die Fertigung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen im laufenden Jahr auf rund 70 Millionen Einheiten sinken – auch weil die Automobilwerke zwischen März und Ende Mai größtenteils stillstanden. Es ist aber nicht nur die Corona-Krise, die der Branche zu schaffen macht. Der Zollstreit zwischen den USA und China sowie der Brexit streut Sand ins Getriebe. Dazu kommen Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Antriebsformen. So ist der klassische Verbrennungsmotor auf dem Rückzug. Ob reine E-Antriebe, Hybridfahrzeuge oder gar Brennstoffzellenantriebe die Lücke füllen werden, ist aber unsicher. Erst 2022, so Branchenschätzungen, könne das Produktionsniveau von vor der Corona-Krise wieder erreicht werden.

2020 Verlust von bis zu 25 Millionen Euro bei IMS Gear

Besonders hart scheint es den Mittelstand zu treffen. Bei IMS-Gear sind Umsatz und Gewinn seit mehreren Jahren im Sinkflug – ein in der Branche derzeit typisches Phänomen. Von Erlösen in Höhe von 530 Millionen Euro im Jahr 2018 werden im laufenden Jahr nach IMS-Prognosen noch 430 Millionen übrig sein.

Produktion bei IMS Gear: Zu 90 Prozent von den Autobauern abhängig.
Produktion bei IMS Gear: Zu 90 Prozent von den Autobauern abhängig. | Bild: Niederberger, Holger

IMS-Vorstand Dieter Lebzelter sprach am Freitag von „dramatischen Einschnitten“ durch die Corona-Krise. Diese hätten das Unternehmen zwischenzeitlich in eine „bedrohliche Schieflage“ gebracht, wie Vorstands-Kollege Bernd Schilling ergänzte. Einsparungen von 35 Millionen Euro, 25 Millionen davon beim Personal, seien unumgänglich gewesen.

Liquidität die kommenden zwei Jahre gesichert

Bei IMS Gear geht man davon aus, dass es „mehrere Jahre“ dauern wird, bis die Auswirkungen der Corona-Krise überwunden sein werden. Finanziell bringen die Millionen-Einsparungen Entlastung. Die Eigenkapitalquote bei IMS liegt nach Unternehmensangaben bei 40 Prozent, was vergleichsweise komfortabel ist. Vorsorglich habe man sich über einen Konsortialkredit, unter anderem bei der Stuttgarter LBBW, umfangreiche Kreditlinien gesichert. „Wir haben jede Menge Liquidität“, sagte Lebzelter. Für die Jahre 2020 und 2021 sei man finanziell abgesichert.

Allerdings: Bei einer aktuellen Auslastung der Werke von durchschnittlich 70 Prozent verbrennen auch die Donaueschinger jeden Tag Geld. Für das laufende Jahr geht das Unternehmen denn auch von einem hohen Verlust von 20 bis 25 Millionen Euro aus. Erst 2021 könnte IMS wieder Geld verdienen.

Ein Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit als Abfindung

Die jetzt getroffene Betriebsvereinbarung zum Jobabbau bei IMS sieht für die Betroffenen gut 140 Mitarbeiter Abfindungsangebote und den Wechsel in eine von Unternehmen mitfinanzierte Transfergesellschaft vor, in der sie sich maximal 12 Monate weiterqualifizieren können. Die Höhe der Abfindungen beträgt laut IMS ein Brutto-Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit. Für Arbeitnehmer ab 60 Jahren sind die Konditionen verbessert.

Weitere rund 160 Mitarbeiter haben bereits im Jahresverlauf auf freiwilliger Basis das Unternehmen verlassen, etwa durch Altersteilzeitregelungen. Zudem seien frei werdenden Stellen nicht nachbesetzt und Zeitarbeitnehmern gekündigt worden, hieß es. Das Unternehmen ist zu rund 90 Prozent von der Automobilwirtschaft abhängig.

Betriebsrat und IG Metall verhandelten mit

Im Ausland hat sich IMG Gear im bisherigen Jahresverlauf von rund 100 Mitarbeitern getrennt. Dort arbeiten (Stand Ende Mai) noch rund 1300 Beschäftigte für das Unternehmen. Werke gibt es in den USA, China und Mexiko.

IMS Gear gilt in der Branche als Beispiel für eine funktionierende betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Das Unternehmen bezahlt seine inländischen Beschäftigten nach Metall-Tarif. IMS-Vorstand Weber betonte die Verhandlungen zum Jobabbau seien „ohne Streitereien in einem konstruktiven Ringen“ abgelaufen. IG-Metall-Verhandler Ritter sagte, die durch die Krise ausgelösten Probleme seien zu tiefgreifend gewesen, um sie allein durch den Einsatz von Kurzarbeit zu lösen. Das Absenken der Arbeitszeit im Rahmen einer 4-Tage-Woche mit Teillohnausgleich, wie sie etwa die IG Metall auf Bundesebene vorschlägt, sei mit der Geschäftsführung indes nicht zu machen gewesen.

Für die IMS-Gear-Beschäftigten stelle der Schritt aber gleichwohl eine Zäsur da. Die vermeintliche Gewissheit, wonach ein Leben lang bei IMS-Gear arbeiten kann, wer einmal dort angestellt sei, gelte nun nicht mehr.