Ob es an den eisigen Temperaturen lag, dass die Gäste dieses Jahr besonders zahlreich ins warm geheizte Bodenseeforum der IHK in Konstanz strömten? Vielleicht haben sie auch einfach gespürt, dass es im Winter 2025 etwas anders werden sollte, als in den Jahren zuvor. Oder sie waren schlicht neugierig.
IHK seit einem Jahr unter neuer Führung
Nach der Ära von Claudius Marx, der die südlichste Wirtschaftskammer des Bundeslandes 17 Jahre lang durch turbulente Zeiten, aber auch eine Periode wirtschaftlicher Prosperität geführt hatte, steht seit vergangenem Jahr mit Katrin Klodt-Bußmann erstmals in der Kammergeschichte eine Frau an der operativen Spitze der Wirtschafts-Vertretung.
Jazz für den Schwung und die Stimmung
Akademikerin mit Hochschul-Stallgeruch wie ihr Vorgänger Marx, macht die neue Hauptgeschäftsführerin doch einiges anders. Und das spürt man. Das einst strenge Protokoll beim Kammerempfang wird nicht mehr ganz so hoch gehängt. Ein Redemanuskript ist der Neuen schnuppe, sie spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.
Und eine Jazzband, die mit Tuba und Klarinette auf der Bühne einrückt, sorgt bei den rund 700 Gästen im vollbesetzen Saal für den nötigen Schwung. Musikalische Begleitung indes, war beim gesellschaftlichen Höhepunkt der Kammern zwischen Hochrhein, Alb und Bodensee immer schon Tradition.

Dennoch: Die Botschaft ist klar. Alles soll lockerer werden. Die Wirtschafts-Kammern, von der nur Fachleute genau wissen, was sie eigentlich machen, sollen greif- und nahbarer werden. Daher hat die neue Hauptgeschäftsführerin die Veranstaltung geöffnet.
Nach dem Ausscheiden der Handwerkskammer Konstanz als Mitveranstalter kann jetzt Jedermann zum Neujahrsempfang kommen und in lockerer Atmosphäre und bei Bier und Häppchen mit den anwesenden Firmenchefs und der Politik ins Gespräch kommen.
Auch Schülerinnen und Schüler sind zu Gast
Schüler, Lehrer und sogar mehrere Leistungskurse von Gymnasien aus dem Kammergebiet seien gekommen, sagt Klodt-Bußmann bei ihrer Rede. „Bitte tauschen Sie sich aus“, sagt sie. Bei den großen gesellschaftlichen Aufgaben und zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme „brauchen wir die junge Generation“, so die Hauptgeschäftsführerin.
Anschließend präsentiert sie auf einer großen Leinwand ein Video, in dem Azubis einen Rundgang durch eines der deutschlandweit wohl landschaftlich bestgelegenen IHK-Gebäude am Konstanzer Seerhein machen und locker-flockig von ihrem Job berichten.

IHK-Präsident Conrady mahnt Mut zu Veränderung an
Klodt-Bußmann tritt aber auch ein schweres Erbe an, denn die wirtschaftliche Lage hat sich verschlechtert. Seit dem Jahr 2019 sinkt die Industrieproduktion in Deutschland. Seit 2023 befindet sich das ganze Land in einer leichten Rezession. IHK-Präsident Thomas Conrady ist es, der an diesem Abend den Finger in die Wunde legt und all das zur Sprache bringt, was Unternehmertum in Deutschland ausbremst.

„Überbordende Bürokratie“, eine frappierende Schwäche, Reformen umzusetzen und fehlender Mut in nötige Veränderungen. Adressat ist in erster Line die Politik, der er ins Stammbuch schreibt, der Gesellschaft und Wirtschaft ein Korsett aus Regeln übergestülpt zu haben, aus dem sie sich nicht mehr befreien können.
Conrady betont aber auch, dass Baden-Württemberg und das Grenzgebiet mit seinem engen Austausch zur Schweiz, stark ist. Alles in allem „schwenke sein Pendel Richtung Zuversicht aus“, sagt er am Ende seiner gut 30-minütigen Rede.
Gastredner Nida-Rümelin: Noch so eine Überraschung
Wenig Hoffnung machte der Gastredner des Abends – zumindest was den Fortbestand der bisher gültigen Weltordnung angeht. „Wir haben eine neue Situation, in der wirtschaftliche und technologische Dynamik nicht mehr einseitig auf den Westen fokussiert sind“, sagte Julian Nida-Rümelin, Staatsminister im ersten Kabinett von Gerhard Schröder (SPD).

Nida-Rümelin nach Konstanz zu holen: Eine mutige Wahl, die wohl auch für den neuen Wind in der IHK steht – da stand kein Speaker auf der Bühne, sondern ein Philosoph. Eine Stunde lang spricht er, völlig frei, und spannt einen großen theoretischen Bogen über Staat, Gesellschaft und Wirtschaft auf. Da müssen die Gäste dann schon konzentriert zuhören.
Muss der Westen eine Vormachtstellung für immer aufgeben?
Die globale Wirtschaftskraft der Schwellenländer (Brics) sei mittlerweile höher als die der in der G7-Gruppe organisierten Industrienationen. Das nach dem Ende der Sowjetunion vorschnell ausgerufene „Ende der Geschichte“ sei „ein großes Missverständnis gewesen“, sagt der Münchner Philosoph. Und wie als Seitenhieb auf den neuen starken Mann im Weißen Haus, fügte er an: „Die alte Agenda des Westens mit Gewalt wieder zur Durchsetzung zu bringen, kann nur böse enden.“
Das Gute: Die Demokratie sei stark und immer noch für die Mehrheit der Menschen weltweit hoch attraktiv. Da, wo sie schwächeln und ihre Institutionen angegriffen würden, könne man sie sich zurückholen: mit Vertrauen in rechtsstaatliche Regeln, Partizipation und Mut. Da klatscht auch die Wirtschaft.