Trotz eines drastisch eingeschränkten Angebots an Zügen in Folge des Lokführer-Streiks ist das erwartete Chaos auf den Bahnhöfen Baden-Württembergs vielerorts ausgeblieben.
Besonders betroffen waren Bahnknotenpunkte, sowie die sie verbindenden Strecken, etwa die Rheinachse zwischen Karlsruhe und Freiburg. Hier seien viele Züge ausgefallen, wie die Bahn mitteilte. Weitere regionale Schwerpunkte im Südwesten seien neben Karlsruhe und Freiburg, Ulm, Mannheim und Tübingen gewesen, wie Jens-Peter Lück, der Vizevorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL des Bezirks Süd-West, sagte.
Nur 25 Prozent der Fernzüge fahren
Die GDL hatte den Streik wenige Stunden nach einer erfolgreichen Urabstimmung am Dienstag gestartet – zuerst im Güterverkehr. Mittwochnacht wurde damit begonnen, auch den Fern- und Regionalverkehr zu bestreiken. Im Fernverkehr waren laut Bahn am Mittwoch nur rund 25 Prozent der Züge unterwegs. Im Regionalverkehr gebe es erhebliche Unterschiede, hieß es.
Das Grundangebot an Zügen sei „sehr reduziert“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Bahn (DB) in Stuttgart dem SÜDKURIER. Man versuche, ein Grundangebot bereitzustellen und aufrechtzuerhalten. Dazu versuche man Verfügbarkeit und Einsatzzeiten der nicht streikenden Lokführer „voll abzurufen“. Anders als die Lokführer der GDL streiken die in der Konkurrenzgewerkschaft EVG organisierten Bahn-Mitarbeiter nicht. Sie hatten sich bereits im vergangenen Jahr mit dem Konzern auf einen Tarifvertrag geeinigt. Nach Aussagen von EVG-Vertretern gingen die aktuellen Einschränkungen nur auf rund 5000 der insgesamt mehr als 200.000 Bahn-Beschäftigten zurück.
Lange Schlangen am Schalter selten
Im Süden Baden-Württembergs stellte sich die Lage an den Bahnhöfen am Mittwoch weniger drastisch dar als zunächst befürchtet. Zwar bildeten sich an einzelnen Bahnhöfen, etwa in Waldshut am Hochrhein, lange Schlagen an den Servicestellen der Bahn. Nahezu verwaist war in den frühen Morgenstunden nach Angaben eines SÜDKURIER-Reporters dagegen der Bahnhof in Laufenburg-Ost. In Villingen war der frisch sanierte Bahnhof wegen der fehlenden Verbindung viel leerer als sonst.
Offenbar waren Reisende und Pendler hier frühzeitig auf andere Verkehrsmittel umgestiegen oder hatten von der Möglichkeit des Homeoffice Gebrauch gemacht. Ähnlich sah die Lage in Konstanz aus. Laut eines DB-Mitarbeiters vor Ort sei es zu „ keinem großen Bahnchaos“ gekommen. „Die meisten Leute haben im Voraus mitbekommen, dass heute gestreikt wird“, sagte er. Auch vor den Service-Schaltern an Bahnhöfen wie Radolfzell oder Singen blieb es am Mittag nach SÜDKURIER-Informationen ruhig.
Etliche Zugausfälle im Bodenseekreis haben zwischen Überlingen und Friedrichshafen dagegen für vielfachen Frust gesorgt. GDL-Ortsgruppenleiter Gunnar Hunger warb um Verständnis: „Die Kollegen hier vor Ort sind vor allem davon frustriert, dass sie als einzige Berufsgruppe im Unternehmen keine Corona-Sonderzahlung erhalten haben“, sagte der Gewerkschafter dem SÜDKURIER.
Bahnkonkurrenz streikt nicht
Bundesweit stellte sich die Lage indes insbesondere im Norden und Osten Deutschlands am gravierendsten dar. Die Bahn warnte auf ihrer Webseite in den entsprechenden Gebieten mehrfach vor „massiven Einschränkungen“. Einer der Gründe: Die Gewerkschaft GDL ist insbesondere im Osten Deutschlands stark, während im Westen traditionell EVG-Mitglieder überwiegen. Diese streiken derzeit nicht.

Ein weiteres kommt hinzu: In Baden-Württemberg hat die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Strecken teilweise an private Konkurrenten abgeben müssen. Im Stuttgarter Umland haben beispielsweise private Bahnunternehmen wie Go-Ahead oder Abellio im Regionalverkehr massiv an Boden gewonnen. Weiter südlich machen Unternehmen wie die Hohenzollerische Landesbahn (HZL), die heute Teil der Südwestdeutschen Landesverkehrs-AG ist, oder die Bodensee-Oberschwaben-Bahn (BOB) dem Staatskonzern mit eigenen Zügen Konkurrenz.
SBB mischt im deutschen Netz mit
Ist erstere vor allem zwischen Schwarzwald, Schwäbischer Alb und Bodensee mit eigenen Angeboten präsent, so verkehrt die BOB zwischen Friedrichshafen und Ulm mit Loks. Nach Daten des Stuttgarter Verkehrsministerium liegt der Anteil der DB im baden-württembergischen Netz noch bei etwa 60 Prozent. Im südbadischen ist dieser Wert tendenziell noch niedriger, denn hier mischt auch Konkurrenz aus Nachbarländern mit.

So ist beispielsweise in den vergangenen Jahren die Schweizer Staatsbahn SBB immer stärker im Südwesten aktiv geworden. Sie betreibt etwa den Seehas zwischen Engen und Konstanz oder die Wiesentalbahn am Hochrhein zwischen Zell und Basel. Eine Sprecherin der SBB sagte dem SÜDKURIER, die Strecken im Grenzgebiet, die von der SBB betrieben werden, seien nicht vom Streik betroffen. „Eine Veränderung im Fahrgastaufkommen haben wir nicht festgestellt“, sagte sie.
Hoffnung auf Normalität freitags
Wie schnell sich die Lage an den Bahnhöfen im Land wieder normalisiert, ist derzeit schwer einzuschätzen. Im Moment gehe man davon aus, dass sich der Bahnbetrieb nach Ende des 48-stündigen Ausstands am frühen Freitagmorgen wieder „relativ nahtlos“ hochfahren lasse, sagte die Stuttgarter Bahn-Konzernsprecherin unserer Zeitung. Allerdings sei die Lage im Moment sehr volatil.