„Wir wollten für unserer Rente vorsorgen, aber wir haben da einen Fehler gemacht.“ Manfred Gehrmann sitzt mit seiner Frau Gabriele am Küchentisch und blättert einen Vertrag durch. Er hat acht Seiten, gräuliches Papier, jedes Blatt ist eng bedruckt. Oben drüber steht „Vorsorge-Plus“ und „Bezirkssparkasse Reichenau“. „Wir dachten, das sei eine gute Absicherung fürs Alter“, sagt der Ruheständler aus Allensbach. „War es aber nicht.“

Riestern schien den Gehrmanns eine „tolle Sache“ zu sein – und vielen anderen Bürgern auch

Mitte der 2000er Jahre, der Renteneintritt der Gehrmanns war da noch fast zwei Jahrzehnte entfernt, entschlossen sich die beiden, eine Riester-Rente in Form eines Banksparplans bei ihrer Hausbank, der Sparkasse auf der Insel Reichenau, abzuschließen. Das schien eine gute Sache.

Es gab eine staatliche Förderung und eine Steuerermäßigung, für all jene, die sich für die entsprechenden Produkte, benannt nach dem ehemaligen Arbeits- und Sozialminister Walter Riester (SPD), entschieden. Und das taten sehr viele. Etwa 15 Millionen Riester-Verträge wurden im Lauf der Jahre in Deutschland abgeschlossen. Die Gehrmanns haben zwei von ihnen.

Ein Ordner mit einem Aufkleber Riester-Rente steht in einem Regal. Insgesamt rund 15 Millionen Riester-geförderte Vorsorgeprodukte sind ...
Ein Ordner mit einem Aufkleber Riester-Rente steht in einem Regal. Insgesamt rund 15 Millionen Riester-geförderte Vorsorgeprodukte sind seit den Nuller-Jahren in Deutschland verkauft worden. Die staatliche Förderung hat viele Kunden gelockt. | Bild: Jonas Walzberg, dpa

„Damals hat sich das für uns toll angehört“, sagt Ruheständler Gehrmann. Auf die monatlich rund 300 Euro, die die Eheleute auf ihre Sparkasse trugen, erhielten sie einen variablen Zins von anfänglich rund drei Prozent, plus einen gestaffelten Zins-Bonus. Dieser addierte sich jährlich aufs Ansparkapital. In der von der Bezirkssparkasse Reichenau beigefügten Prognoseberechnung wird ein Zins von maximal sechs Prozent in Aussicht gestellt, minimal von zwei Prozent.

Mit Erreichen des 60. Lebensjahrs, so der Bankberater damals, könne das Ehepaar einen Teil des Geldes entnehmen. Der Rest würde später in eine Rentenversicherung umgewandelt, die die beiden bis zu ihrem Tod versorgen sollte.

Rente und Altersvorsorge ist ein Thema, mit dem sich viele Menschen ungern beschäftigen. Das kann im Alter teuer werden.
Rente und Altersvorsorge ist ein Thema, mit dem sich viele Menschen ungern beschäftigen. Das kann im Alter teuer werden. | Bild: Patrick Pleul, dpa

Nach dem Beratungsgespräch auf der Reichenau drehte das Ehepaar – er arbeitete damals als Vertriebsingenieur bei einer Firma im Rheinland, sie bei einem Maschinenbauer im Hegau – noch eine Runde am Bodenseeufer.

Man freute sich, dass man das lästige Thema Altersvorsorge frühzeitig in trockenen Tüchern hatte. Die unterschriebenen Riester-Sparpläne verschwanden im Aktenschrank und blieben dort liegen. Das Ehepaar schenkte dem Riester-Thema keine große Beachtung mehr. „Kein Problem“, dachten sie sich. „Alles ist geregelt. Das Geld arbeitet ja für uns“. Andere Dinge traten in den Vordergrund.

„Ich bin dann fast vom Stuhl gekippt.“

Solange, bis Manfred Gehrmann im Jahr 2017 alles wieder herausholte. Die Rente rückte so langsam näher und da wollte „ich mal wieder nachschauen“, sagt er heute und fügt an: „Ich bin dann fast vom Stuhl gekippt.“ Beide Verträge erwirtschafteten nämlich quasi keine Rendite mehr. Anders ausgedrückt: Das Geld der Gehrmanns wurde seit geraumer Zeit nicht mehr mehr.

Infolge der vom damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi 2012 eingeleiteten Nullzinspolitik, waren die Anlagezinsen auch für gewöhnliche Bankprodukte in der EU immer weiter gefallen. Seit Mitte 2016 verharrte der wichtigste Leitzins der europäischen Notenbank bei Null. Als Privatkunde für Anlagegelder Zins zu erhalten, wurde immer schwerer.

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Ingenieur Gehrmann wusste all das. Aber warum dann noch in ein Finanzprodukt einzahlen, das keine Rendite mehr erwirtschaftete? Der Endfünfziger legte die Riester-Verträge der Familie still und stellte die monatlichen Zahlungen ein. Vertraglich ist das möglich.

Riester-Klauseln: Intransparent und kompliziert

Damals fiel ihm wieder auf, wie unverständlich sein Acht-Seiten-Vertrag formuliert war. Insbesondere die Klauseln zur Zinsanpassung während der Ansparphase. „Ich habe das immer wieder gelesen, aber einfach nicht komplett verstanden“, sagt er. Auch ein Bekannter, der in der Finanzbranche tätig gewesen sei, habe sich keinen Reim auf die komplexen Formulierungen machen können.

Seit damals stand Gehrmann auf Kriegsfuß mit seiner Riester-Altersversorge und darüber hinaus auch mit seiner Hausbank, die ihm die facettenreichen Finanzprodukte vor Jahren wärmstes empfohlen hatte. „Von meiner Sparkasse bin ich einfach nur enttäuscht“, sagt er heute.

Vertrag zur Riesterrente: In manchen Konstellationen sind solche Verträge auch heute noch sinnvoll. Für die meisten Kunden sind die ...
Vertrag zur Riesterrente: In manchen Konstellationen sind solche Verträge auch heute noch sinnvoll. Für die meisten Kunden sind die Finanzprodukte aber zu umständlich und teuer. | Bild: Jens_Schierenbeck, dpa

Das sind mittlerweile viele Anleger, die entsprechende Produkte nicht nur bei Sparkassen, sondern auch bei genossenschaftlichen Instituten und Privatbanken geordert haben. In immer mehr Gerichtsverfahren wehren sie sich, etwa mit Hilfe der Verbraucherzentralen der Länder, gegen die Verträge und die in ihnen verankerten Klauseln zur Zinsanpassung und den Verrentungs-Kosten. Die Gerichte entscheiden mal so, mal so.

Im Moment befassen sich die Landgerichte mit der komplexen Materie der Kostenberechnung. Niels Nauhauser, Leiter der Finanzabteilung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (VZBW), sagt, bis der Sachverhalt endgültig geklärt sei, dauere es noch. Am Ende werde wohl der Bundesgerichtshof entscheiden“, sagt er.

Niels Nauhauser ist Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Verbraucherzentrale berät Riester-Kunden, wenn es darum ...
Niels Nauhauser ist Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Verbraucherzentrale berät Riester-Kunden, wenn es darum geht, Ansprüche gegenüber den Versicherungen, Banken und Sparkassen durchzusetzen. | Bild: Wolfram Scheible, dpa

Auch Familie Gehrmann hat das Thema Riester jahrelang nicht losgelassen. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag erhielt das Ehepaar – wie bei Vertragsabschluss vereinbart – von ihrer Sparkasse ein Schreiben, wie das angesparte Kapital bei Rentenbeginn genutzt werden sollte. Der Banksparplan wird dann in eine Rentenversicherung bei einem privaten Anbieter überführt.

„Zwangsverehelicht“ mit einer unbekannten Versicherung

Eine Wahl hat der Kunde nicht. „Wir sollten mit der Versicherungsgesellschaft Provinzial zwangs-verehelicht werden“, sagt Manfred Gehrmann mit unverkennbarem Sarkasmus. Das Problem: Die Vertragsbedingungen, die den Gehrmanns erst damals im Detail mitgeteilt wurden, waren alles andere als kundenfreundlich.

Der Sparkassen-Partner Provinzial wollte ihr mühsam angespartes Kapital – einige Zehntausend Euro waren zu diesem Zeitpunkt zusammengekommen – dauerhaft mit 0,01 Prozent verzinsen. „Dreist gering“, nennt Finanzexperte Nauhauser von der VZBW diesen Zins. Und weit unter den Marktzinsen.

Die Gehrmanns sahen das ähnlich, zumal zusätzlich Abschlussgebühren und Provisionen an die Versicherungsgesellschaft fällig geworden wären, die ihr Gespartes weiter dezimiert hätten.

Manfred Gehrmann: „Wir haben uns ehrlich gemacht und gekündigt“

Gehrmann platzte der Kragen. „Wir haben uns ehrlich gemacht und die Riesterverträge gekündigt“, sagt er. „Förderungsschädlich“, wie er betont. Das heißt: staatliche Zulagen und Steuerermäßigungen in Höhe mehrerer tausend Euro mussten an den Staat zurückbezahlt werden.

Nach dem ewigen Hickhack mit ihrer Alterssicherung empfand die Familie das als überfälligen Befreiungsschlag. Finanzexperte Nauhauser sagt, in dieser Situation sei der Schritt nachvollziehbar, ja sogar „eine interessante Option“.

Es bleiben Verluste, aber auch die Chance auch einen Neubeginn

Die Gehrmanns haben nun zwar einen Verlust realisiert, können jetzt aber über ihr übriges Geld, immerhin 34.000 Euro, frei verfügen. Sie werden es erst einmal auf ein gut verzinstes Tagesgeldkonto legen, vielleicht einen Teil für eine längere Reise verwenden. „Wir sind mit uns im Reinen“, sagt Manfred Gehrmann.

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Bezirkssparkasse Reichenau schließt nicht aus, Kunden zu entschädigen

Von der Bezirkssparkasse Reichenau heißt es, man biete seinen Kundinnen und Kunden selbstverständlich auch Altersvorsorgeprodukte an, auch Riester-Sparpläne. So wie die Gehrmanns zwei hatten. Die Nachfrage nach „diesem komplexen Produkt“ sei aber sehr begrenzt gewesen, sagt ein Sparkassen-Sprecher.

Klagen gegen das Institut gebe es keine. „Sollten tatsächlich Kosten zu Unrecht berechnet worden sein, werden wir das im Kundeninteresse regulieren“, sagt der Sprecher.

Und die Gehrmanns? Sich selbst werfe er vor, sich vor zwei Jahrzehnten beim Abschluss der Verträge nicht gut genug informiert zu haben und den Aussagen seines Bankberaters blind vertraut zu haben, sagt Manfred Gehrmann.

„Man sollte solche Verträge immer genau hinterfragen“, sagt er heute an seinem Küchentisch in Allensbach sitzend. „Und wenn man sich nicht sicher ist und etwas nicht versteht, dann sollte man so ein Finanzprodukt nicht abschließen.“