Herr Schweizer, die Chipkrise frisst sich seit Monaten in die deutsche Wirtschaft. Volkswagen muss jetzt sogar die Produktion von E-Autos hart einschränken. Kommt das dicke Ende in den kommenden Monaten noch?

Die Halbleiterkrise ist noch lange nicht ausgestanden. In der Elektronikbranche rechnen wir aktuell damit, dass sich die Lage erst im zweiten Halbjahr 2022 entspannen wird. Bis dahin bleibt die Versorgungslage mit Halbleitern, aber auch teilweise mit anderen elektronischen Bauteilen angespannt. Und die stecken ja fast überall drin. Hintergrund ist, dass Metalle, chemische Grundstoffe oder Laminate, die etwa zur Fertigung von Leiterplatten verwendet werden, ebenfalls von den Problemen in der Lieferkette betroffen sind.

Für Laien ist es schwer vorstellbar, warum die Coronakrise die Versorgungslage in den Märkten so durcheinandergewirbelt hat. Können Sie das erklären?

Auch in der Vergangenheit waren im Elektronikbereich immer mal wieder Teile knapp. Aber was wir gerade erleben, hat eine ganz andere Qualität. Neben den bekannten Problemen, wie etwa dem zeitweisen Ausfall wichtiger Chip-Fabriken in Fernost hat die Pandemie zu einem Nachfrageschub geführt, den in dieser Form niemand vorhergesehen hat. Der weltweite Bedarf an elektronischen Bauelementen wird zwischen 2019 und Ende 2021 um gut ein Viertel auf 721 Milliarden Dollar steigen. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Pandemie, in deren Folge alles boomt, das im weitesten Sinne Elektronik benötigt, etwa die Kommunikationstechnik oder digitale Anwendung fürs Büro oder für Zuhause.

Gleichzeitig zieht die weltweit besonders bedeutsame Asiennachfrage schnell an, was die Lage in Europa zusätzlich verschärft, denn die Produktion wichtiger elektronischer Komponenten findet zum überwiegenden Teil in Fernost statt. Und weil die Lieferketten auf dem Seeweg durch Corona-Beschränkungen immer noch massiv gestört sind, kommt Ware schwieriger bei uns in Europa an.

Schweizer Electronic fertigt komplexe Leiterplatten, hauptsächlich für die Automobilindustrie. Stammsitz ist das Werk in Schramberg, ...
Schweizer Electronic fertigt komplexe Leiterplatten, hauptsächlich für die Automobilindustrie. Stammsitz ist das Werk in Schramberg, hier im Bild. Vor allem E-Autos benötigen immer mehr Elektronikbauteile, das spielt dem börsennotierten Familienunternehmen in die Karten. Die Auftragsbücher füllen sich nach dem Krisenjahr 2020 wieder. | Bild: NICO PUDIMAT, Schweizer

Keine guten Vorzeichen, auch für die Endverbraucher, oder? In der Vorweihnachtszeit findet ja ein Großteil des Konsums des ganzen Jahres statt…

Dass die Verfügbarkeit von Elektronikartikeln leidet, Preise steigen oder Rabatte geringer ausfallen ist vor dem Hintergrund der angespannten Lage nicht auszuschließen.

Andererseits reagiert der Markt. Chip-Firmen wie Bosch oder Infineon, aber auch asiatische Hersteller, bauen in Europa neue Fabriken oder fahren die Produktion hoch. Entspannt das die Lage?

Die Hersteller unternehmen gerade unfassbare Anstrengungen. Die Produktion wird ausgeweitet, die bestehenden Fabriken fahren am Limit, aber es reicht noch nicht.

Automatisierte Fertigung von Leiterplatten in Schramberg. Man ist in permanentem Kostenwettbewerb mit Asien.
Automatisierte Fertigung von Leiterplatten in Schramberg. Man ist in permanentem Kostenwettbewerb mit Asien. | Bild: NICO PUDIMAT

Was muss passieren?

Ich glaube, die aktuelle Krise muss auch als Weckruf gesehen werden. Europa, aber auch die USA, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie sich bei elektronischen Bauteilen in eine enorme Abhängigkeit von Asien begeben haben. Diese muss nicht per se von Nachteil sein. Globale Arbeitsteilung wirkt fast immer positiv. Aktuell sehen wir aber, dass sie Nachteile haben kann. Dass die EU über Programme wie IPCEI 2 mehrere Milliarden Euro in den Aufbau einer heimischen Elektronik-Industrie steckt, begrüße ich daher ausdrücklich.

Wir dürfen allerdings nicht nur an Halbleiter denken, sondern es geht darum, Hersteller in allen Segmenten des Elektronik-Marktes wieder in Europa anzusiedeln, die sich ab Beginn der 2000er Jahre aus Europa verabschiedet haben. Wir brauchen hier wieder das gesamte Elektronik-Ökosystem. Nur so werden wir in kommenden Krisen widerstandsfähiger.

Ist es realistisch, die Produktion in großem Stil zurück nach Europa zu holen? Asien hat einen enormen Vorsprung und macht vieles besser und billiger…

Der gesamte Elektronikbereich ist auf Jahre ein Wachstumsmarkt, weil nahezu alle Zukunftstechnologien auf elektronische Bauteile zurückgreifen. Egal ob Solar- oder Windindustrie, der Ausbau von 5G-Netzen, die E-Mobilität, Industrie 4.0, CO2-Vermeidungstechnologien oder Smart-Home-Anwendungen. Überall winkt riesiges Wachstum. Für Europa ist es eine unglaubliche Chance, sich in dieser Phase ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Wir dürfen das nicht alles Asien überlassen.

Ihr Unternehmen hat vor 1,5 Jahren ein Werk in China eröffnet. Seither mehren sich die schlechten Nachrichten. Das Werk fährt Verluste ein und wird für die gesamte Schweizer-Gruppe zur Belastung. Wie ist die Lage?

Ich bin überzeugt, dass der Schritt ein großes Produktionswerk in China zu bauen, richtig war und ist. Dass unser Werk in Jintan zu der Zeit produktionsbereit war, als die Corona-Pandemie ausbrach, war leider ungünstig. Die Verunsicherung im Markt war enorm, es herrschte ein Reiseverbot, noch heute dürfen unsere deutschen Mitarbeiter nur nach wochenlanger Quarantäne ins Werk. Das hat unseren Zeitplan einige Monate zurückgeworfen und kostenseitig zu Belastungen geführt.

Mittlerweile haben wir die erste Ausbaustufe jedoch erreicht, sind aber immer noch nicht da wo wir hinwollten. Im Lauf des Jahres 2022 wollen wir in Jintan die EBITDA–Gewinnschwelle erreichen.

Großinvestition mit Anlaufschwierigkeiten: Riesiges Schweizer-Leiterplattenwerk im chinesischen Jintan. Das Werk kommt nicht aus den ...
Großinvestition mit Anlaufschwierigkeiten: Riesiges Schweizer-Leiterplattenwerk im chinesischen Jintan. Das Werk kommt nicht aus den roten Zahlen und ist im Moment eine Belastung für das gesamte Unternehmen – auch weil die Corona-Krise Sand ins Getriebe streut. 2022 soll der Zukunftsstandort zumindest operativen Gewinn einfahren. | Bild: Schweizer

Wie sieht die Lage sonst im Schweizer-Konzern aus? Läuft es am Stammsitz in Schramberg?

2020 war ein extremes Krisenjahr. Da gibt es kein Drumherumreden. Aber jetzt haben wir den Schalter umgelegt. Die Produktion zusammen mit dem Handelsgeschäft in Deutschland sind auskömmlich. Schramberg ist stabil. Die Restrukturierung, die auch emotional weh getan hat, war erfolgreich. Wir werden uns weiter anstrengen müssen und für Wachstum sorgen. Dazu gehört auch, profitabler zu werden.

Drohen weitere Sparrunden im Schwarzwald?

Wir konkurrieren mit Asien, daher sind Kosten immer ein Thema. Besonders wichtig ist aber, dass wir technologisch ganz vorne und wahnsinnig schnell sein müssen und gleichzeitig eine perfekte Qualität an den Tag legen müssen. Mich stimmt positiv, dass wir eine Spitzen-Mannschaft haben, die seit einigen Jahren wirklich ihr Bestes gibt. Wir dürfen aber nicht nachlassen, um den Erfolg nicht zu gefährden. Also kurz: Kosten sparen ja, aber nicht beim Personal.

Weil das Eigenkapital nach drei Verlustjahren wegschmilz, geht es ans Tafelsilber. Sie planen, einen Teil Ihres chinesischen Werks zu verkaufen. Wie weit sind die Gespräche?

Bereits als wir uns 2017 entschieden haben, ein eigenes Werk in China zu errichten, hatten wir an ein Joint-Venture gedacht, es am Ende aber doch allein verwirklicht. Die Option lag aber immer auf dem Tisch. Strategisch sind wir also darauf vorbereitet, einen Partner an Bord zu holen und das ist jetzt unser Ziel. Wir sprechen im Moment mit mehreren Interessenten und sind zuversichtlich noch dieses Jahr zu einem Ergebnis zu gelangen.

Nicolas Schweizer, Vorstandschef der Schweizer Electronic AG aus Schramberg: Sparen ja, aber nicht mehr beim Personal.
Nicolas Schweizer, Vorstandschef der Schweizer Electronic AG aus Schramberg: Sparen ja, aber nicht mehr beim Personal. | Bild: NICO PUDIMAT

Wer böte sich an? Mit Infineon haben sie ja schon einen potenten Hauptaktionär, der das Geschäft kennt…

Ich kann über die Verhandlungen nur so viel sagen, dass es eine branchennahe Lösung geben wird.

Was passiert, wenn der Teilverkauf nicht klappt?

Wenn sie mit Ihrer Frage darauf anspielen, ob wir unser chinesisches Werk ganz verkaufen sollten, nur so viel: Verkaufen war noch nie eine Schweizer-Strategie. Das steht nicht zur Diskussion. Wir brauchen in China einen strategischen Investor für einen Teil der dortigen Gesellschaft.

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Um Schweizer finanziell abzusichern, käme ja auch eine Kapitalerhöhung in Frage. Wie realistisch ist das Szenario?

Ich will das nicht ausschließen, glaube aber, dass heute nicht die Zeit für solch einen Schritt ist. Die Eigenkapitalthematik rechtfertigt im Moment, auf China-Ebene einen Investor zu suchen. Danach wird darüber entschieden, ob eine Kapitalerhöhung für das Gesamtunternehmen Sinn macht.

Der Schweizer Aufsichtsrat hat grünes Licht für einen neuen Fünfjahresvertrag für Sie an der Unternehmensspitze gegeben. Was wollen Sie bis 2027 erreicht haben?

Schweizer Electronic befindet sich auf einem Globalisierungskurs, von dem ich überzeugt bin und den ich weiter einschlagen werde. Dahinter steht die Auffassung, dass wir die richtigen Produkte haben, um die Veränderung der Welt hin zu mehr Nachhaltigkeit, Co2-Reduktion und Digitalisierung gestalten zu können. Diese Erkenntnis will ich auch noch stärker als bisher in der Belegschaft verankern. Alle unsere Stärken, die wir in Europa bislang unter Beweis gestellt haben, also Qualität, Nähe zum Kunden und Verlässlichkeit, werden uns auch auf dem Weltmarkt erfolgreich machen.