Bei der Frage, warum ausgerechnet ein Schweizer auf die Idee kommt, ein Auto zu bauen, muss Merlin Ouboter schmunzeln. Seit sich herumgesprochen hat, dass der 25-Jährige zusammen mit seinem Bruder, seinem Vater und seiner Mutter mit dem Kleinwagen Microlino den Frontalangriff auf große Autobauer wagt, hat man sie ihm öfter gestellt.

Kleinwagen gegen SUV-Panzer

„Wahrscheinlich war der Erweckungsmoment der Genfer Automobilsalon 2015“, sagt er. Schon damals war die Klimadebatte voll im Gange und trotzdem stellten die Autokonzerne stärkere und schwerere Geländewagen aus. „Die Messe war der blanke Horror“, sagt Ouboter. Damals sei ihm klar geworden: „Die haben es alle nicht verstanden. Jetzt müssen wir eben selbst etwas tun.“

Microlino-Mitgründer Merlin Ouboter steht vor dem Microlino 2.0. Schweizer Kleinwagen mit E-Antrieb.
Microlino-Mitgründer Merlin Ouboter steht vor dem Microlino 2.0. Schweizer Kleinwagen mit E-Antrieb. | Bild: Rosenberger, Walther

Sechs Jahre, eine geplatzte Partnerschaft mit dem deutschen Kleinwagenfabrikanten Artega, langwierige juristische Auseinandersetzungen und einige konstruktionstechnische Rückschläge später, steht Merlin Ouboter auf der Münchner IAA und ist trotzdem frohgemut. Das neue Familienprojekt, der Kleinwagen Microlino 2.0, ist gerade dabei, volle Fahrt aufzunehmen. Nach 1,5 Jahren Entwicklungszeit soll Ende des Jahres die Produktion des ersten schweizerischen Serienfahrzeugs seit Langem beginnen. Dabei gibt es aber einige Einschränkungen.

Das kann der Microlino Video: Rosenberger, Walther

Bei 24.000 unverbindlichen Reservierungen, wäre das Wort „Kleinserie“ wohl angebrachter. Produziert wird zudem nicht in der Schweiz, sondern bei einem italienischen Karosseriespezialisten in Turin. Und eigentlich stammen die Ouboters als Gründerfamilie gar nicht aus der Eidgenossenschaft, sondern aus den Niederlanden. Immerhin ist der Firmensitz von Microlino in Küsnacht im Kanton Zürich.

Wer kennt noch das Swatch-Mobil, den Smart-Vorfahren?

Und dennoch, für die Schweiz hat der bevorstehende Marktstart des knuffigen Elektro-Kleinwagens, der mit seinen zwei Sitzplätzen und dem Fronteinstieg frappierend an eine BMW Isetta aus den 1950er-Jahren erinnert, etwas von Zurück in die Zukunft. Denn es ist lange her, dass die Schweizer sich damit rühmen konnten, einen eigenen Autohersteller auf ihrem Territorium zu beheimaten. Der letzte, der für Furore sorgte, war der Zweisitzer-Spezialist Smart, dessen Wurzeln 1994 in Biel vom Tüftler und Swatch-Gründer Nicolas Hayek gelegt wurden.

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Jahrzehnte zuvor hatte sich die Schweiz schon durch den Edel-Hersteller Monteverdi bei betuchten Kunden einen Ruf als Autonation erworben. In den 1960er- und 1970er-Jahren machten Monteverdi-Flitzer Ferrari, Maserati und Jaguar Konkurrenz, ehe dem Hersteller aus Binningen nahe Basel Mitte der 80er-Jahre das Geld ausging.

Maserati-Jäger und Alm-Traktoren

Davon abgesehen brachte die Eidgenossenschaft immer mal wieder kleinere Autobauer hervor. Die schafften es indes selten über Randnotizen in Fachzeitschriften hinaus. „Ein klassischer Automobilstandort wie Deutschland, Frankreich oder Italien war die Schweiz noch nie“, sagt Anja Schulze, Professorin für Technologie und Innovation an der Universität Zürich. Einen Volumenhersteller habe es mit Ausnahme von Monteverdi noch nie gegeben. Entsprechend begrenzt ist die volkswirtschaftliche Bedeutung des Autobaus in der Eidgenossenschaft. Mit rund 34 000 Mitarbeitern in rund 600 Firmen und mit einem Jahresumsatz von gut 12 Milliarden Franken, ist die Schweizer Autobranche ziemlich übersichtlich. Allein deutsche Zulieferfirmen haben knapp zehnmal so viele Beschäftigte.

Im Schweizer Fahrzeugbau sind es eher die Nischen-Produkte, mit denen die Alpenrepublik punkten kann. So baut etwa der Landmaschinenhersteller Aebi weltweit gefragte Spezialtraktoren, mit denen selbst extrem steile Almwiesen gemäht werden können. Die Firma Bucher aus Niederweningen ist einer der europaweit führenden Anbieter von Kommunalfahrzeugen – vom Mülllaster bis zur Straßenkehrmaschine. Und mit der Hess AG hat man einen technologiestarken Buss- und Nutzfahrzeughersteller. Der Rennstall Sauber und der Motorsportspezialist Rinspeed unterstreichen den Charakter der Eidgenossenschaft als Spezialitätenladen im Fahrzeugbau.

Ab 1956 wurde am Vierwaldstätter See der formschöne Enzmann 506 gebaut. 1968 war nach 90 Stück Schluss.
Ab 1956 wurde am Vierwaldstätter See der formschöne Enzmann 506 gebaut. 1968 war nach 90 Stück Schluss. | Bild: Sepp Spiegl, www.imago-images.de

Eine Folge des ausgeprägten Hangs der Eidgenossen zur Landesverteidigung sind diverse Rüstungsfirmen, die sich auf Fahrzeuge spezialisiert haben. Eine der bekanntesten ist Mowag, eine in Kreuzlingen ansässige Tochter des US-Panzerbauers General Dynamics. Ihre Spezialität: Radpanzer und kleinere Truppentransporter.

Rad-Panzer Made in Schweiz

Exportschlager aus Kreuzlingen: Radpanzer Stryker der Schweizer Rüstungsschmiede Mowag.
Exportschlager aus Kreuzlingen: Radpanzer Stryker der Schweizer Rüstungsschmiede Mowag. | Bild: Georgina Stubbs, dpa

Die Stärke der Schweiz bestünde aber in den Automobilzulieferern, sagt Mobilitäts-Forscherin Schulze. Als Hochtechnologielieferanten, die immer noch stark der Mechanik verhaftet seien, bezeichnet die Expertin die Ausrichtung der Branche, deren Hersteller sich übrigens fast ausschließlich nördlich des Alpenhauptkamms angesiedelt haben. „Aufgrund der Nähe zu den wichtigsten Kunden, der deutschen Automobilindustrie“, wie Schulze in einer Strukturstudie zum Standort Schweiz herausgefunden hat. Die wichtigsten Abnehmer seien Daimler, BMW, Audi und Volkswagen, sagt die Expertin. Die deutsch-Schweizer Verflechtungen seien „sehr eng.“

Deutsche Industrie liefert Batterien zu

Das trifft auch auf den kugelrunden Kleinwagen Microlino zu. Viele Bauteile kommen von deutschen Zulieferern, etwa das Herz des Elektroflitzers, die Batterie. Zwar kaufen die Schweizer die Zellen in Asien, zu einem Gesamtsystem werden sie aber vom bayrischen Zulieferer BMZ veredelt. Der ist einer der führenden Anbieter für Akkus von Elektrofahrrädern.

Maserati-Jäger aus der Schweiz: Monteverdi 375. Rund 20 Jahre hielt sich der Edel-Autobauer Monteverdi am Markt. Bild: Imago
Maserati-Jäger aus der Schweiz: Monteverdi 375. Rund 20 Jahre hielt sich der Edel-Autobauer Monteverdi am Markt. Bild: Imago | Bild: imago stock&people

Die wilde Mischung scheint es den Kunden angetan zu haben. Auf der IAA in München war der Stand des Kleinwagenherstellers aus der Schweiz so umlagert, wie diejenigen der großen Autobauer. Um die Akzeptanz bei den Kunden mache er sich keine Sorgen, sagt Microlino-Eigner Merlin Ouboter. Mit dem kleinen Stadtflitzer, mit dem man auch mal einen Ausflug auf die Autobahn mache könne, habe man das richtige Konzept zur richtigen Zeit, glaubt er. Sofern es gelinge, die Serienproduktion reibungslos hochzufahren, sieht er keine größeren Probleme mehr.

Das Vertrauen der Kunden sei hoch. Sogar der Chef des Schweizer Kultgetränks Rivella habe sich ein Fahrzeug reservieren lassen, sagt Ouboter. Für ein Automobil Schweizer Bauart ist das wohl der finale Ritterschlag.