Professor Butter, der Titel Ihres Buches lautet „Nichts ist, wie es scheint“. Was genau ist denn anders, als es scheint?
Der Titel ist doppeldeutig. Zum einen ist es eine Grundannahme von Verschwörungstheorien, dass nichts ist, wie es scheint. Zum anderen möchte ich mit gewissen Mythen aufräumen, die über Verschwörungstheorien im Umlauf sind – zum Beispiel, dass sie durchs Internet einen sprunghaften Anstieg erfahren haben.
Aber sie sind doch sogar in der Politik salonfähig. Trump, Putin, Orbán und in Deutschland die AfD: Sie alle glauben an dunkle Verschwörungen.
Trotzdem sind Verschwörungstheorien noch lange nicht so beliebt und einflussreich wie vor hundert oder zweihundert Jahren. Damals waren sie fest in allen medialen, wissenschaftlichen und politischen Diskursen verankert. Es war völlig normal, daran zu glauben, auch unter amerikanischen Präsidenten.
Woran glaubten die denn?
George Washington glaubte an das Komplott der britischen Krone; Abraham Lincoln an die Verschwörung der sogenannten „Slave Power“ (Infiltration der politischen Institutionen durch die Befürworter der Sklaverei, d.Red), und Präsident Eisenhower glaubte an die großflächige Unterwanderung des Landes durch Kommunisten. Insofern steht jemand wie Donald Trump in einer langen stolzen Tradition.
Welche Verschwörungstheorien sind momentan am meisten verbreitet?
Es gibt Umfragen der Uni Mainz, die zeigen, dass es eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien zum NSU-Prozess gibt. Auch die Klassiker – die Mondlandung oder 9/11 – sind weiterhin sehr beliebt. Zwischen zehn und 20 Prozent der Bevölkerung glauben an eine Verschwörungstheorie, zum Beispiel, dass sie durch Chemtrails [angeblich durch Flugzeuge versprühte Substanzen, S. P.] gefügig gemacht werden.
Wie werden denn solche Umfragen erhoben? Es fragt ja sicherlich niemand: „Glauben Sie an eine Verschwörungstheorie?“
Das ist ein gewisses methodisches Problem der Sozialwissenschaften. Die arbeiten ganz oft so, dass Professoren ihren Studenten Fragebögen vorlegen. Dabei werden allerdings eher Prädispositionen abgefragt, bei denen herauskommt, dass Männer und Frauen gleich stark an Verschwörungstheorien glauben. Jeder qualitativ arbeitende Forscher würde da widersprechen, weil vor allem Männer daran glauben. Aber es stimmt schon: Bei einer Umfrage gibt natürlich nicht jeder gleich zu, an Reptiloide zu glauben (lacht).
Was sind denn Reptiloide?
Das sind diejenigen, die nach Ansicht von David Icke (ein britischer Ex-Fußballprofi, der in Büchern Verschwörungstheorien vertritt, d. Red.) die Welt beherrschen. Genauer gesagt: eine außerirdische Reptilien-Elite, die sich von unserer angeblich negativen Energie ernährt und für alle Konflikte der Erde verantwortlich ist. Das ist eine krude Super-Verschwörungstheorie, die im anglo-amerikanischen Raum sehr beliebt ist.
Das klingt jetzt erst mal ganz lustig. Für wie gefährlich halten Sie solche Theorien generell?
Es kommt immer darauf an, wer was in welchem historischen Kontext glaubt. Diese Theorien sind vor allem dann ein Problem, wenn sie einen rassistischen oder antisemitischen Gehalt haben oder sich gegen Minderheiten richten. Gerade in Deutschland wissen wir, wohin das führen kann. Der Nationalsozialismus und der Holocaust beruhen ja letztlich auf der Idee der jüdischen Weltverschwörung. Es kann aber auch gefährlich werden, wenn sich der Zorn gegen Repräsentanten der vermeintlichen Eliten richtet – so wie bei dem Reichsbürger, der einen Polizisten erschossen hat.
Also hat das Ganze eine politische Dimension?
Verschwörungstheorien können zu einer Politikverdrossenheit führen. Wenn man davon ausgeht, dass eh alle Parteien unter einer Decke stecken, dann geht man entweder gar nicht mehr zur Wahl. Oder man wählt die Partei, die sich als die eine Alternative versteht – auch wenn die meiner Meinung nach überhaupt nicht zur Lösung unserer Probleme beiträgt.
Sechs Beispiele für Verschwörungstheorien
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HexenverfolgungIn Zeiten von Krieg und Not keimen die Verschwörungstheorien. So auch zu Anfang des 17. Jahrhunderts, als anhaltend regenreiche und kalte Jahre den Bauern die Ernte verdarb und den Hunger mehrte. Die Schuld daran schob man Frauen zu, die – angeblich mit dem Teufel verbündet – durch Zauber das Wetter beeinflussen konnten. Tausende sogenannte Hexen – darunter auch Männer – endeten auf dem Scheiterhaufen.
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Freimaurer
ARCHIV - In dem Tempel der Freimaurer Loge "Zu den ehernen Säulen" in Dresden (Sachsen) liegt am 03.06.2015 ein Schwert auf der Verfassung der Freimaurer. Die fünf Grundideale der Freimaurerei sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. (zu dpa "Freimaurer-Jubiläum: Der lange Weg zur Öffnung" vom 22.06.2017) Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit | Bild: Arno Burgi (dpa-Zentralbild) -
Mondlandungen„Die Amerikaner waren nie auf dem Mond“ ist das Bekenntnis vieler Verschwörungsphantasten. Als ein Indiz für die Behauptung dient der Hinweis auf die US-Flagge, die die Apollo-Teams aufstellten, und den fehlenden Wind auf dem Mond. Dass der Stoff der Flagge mit Draht versteift war, ignorieren die Theoretiker und behaupten, alle sechs Mondlandungen seien Fakes gewesen, um den Russen zu imponieren.
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Lady DiDer Autounfall, bei dem Lady Diana 1997 starb, war angeblich ein Attentat des britischen Geheimdienstes MI6 im Auftrag des britischen Königshauses. Mit ihrem Tod habe eine Schwangerschaft vertuscht werden sollen. Denn diese hätte zur Heirat mit Dodi al-Fayed geführt, was das Königshaus unbedingt habe verhindern wollen. Diana soll außerdem in einem Brief an ihren Bruder ihren eigenen Tod vorhergesagt haben.
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11. SeptemberUm den Doppelanschlag auf die Türme des Word Trade Center in New York ranken sich viele kühne Theorien. Allen ist gemeinsam: Nicht die Terroristen um Osama bin Laden zogen die Fäden, sondern andere: Mal ist es der US-Geheimdienst CIA, mal die Regierung von George W. Bush, mal der israelische Geheimdienst Mossad. Dieser hat in den Augen der Verschwörungsdichter bei fast allen Krisen seine Finger im Spiel.
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Die Bilderberger
Hier geht es um das Misstrauen gegenüber Eliten und Geldadel. Der Name des Kreises geht auf das Hotel „De Bilderberg“ (Bild) beim holländischen Arnheim zurück. Dort trafen sich 1954 elf reiche Amerikaner, um mit Politikern und Unternehmern aus Europa über die Weltwirtschaft zu diskutieren. Heute vermutet man hinter dem Kreis die „wahre“ Weltregierung. (mic)
Hat sich durch die Flüchtlingskrise die Verbreitung von Verschwörungstheorien erhöht?
Die Theorie der „Umvolkung“ ist momentan die am weitesten verbreitete im deutschsprachigen Raum. Sie geht davon aus, dass Europa gezielt islamisiert werden soll – von wem, ist meist nicht ganz klar, aber letztlich geht darin alles andere auf: Der 11. September wurde verursacht, um den Nahen Osten zu destabilisieren und 15 Jahre später die Flüchtlinge in Bewegung zu setzen. Die können sich in Europa frei bewegen, weil wir das Schengener Abkommen haben. Also ist auch der europäische Einigungsprozess ein Teil des Komplotts. Alles ist verbunden, alles wurde geplant, und nichts ist, wie es scheint.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Schweizer Historiker und Publizist Daniele Ganser, der viele Vortragsreisen unternimmt, der bekannteste Verschwörungstheoretiker im deutschsprachigen Raum ist. Was ist an ihm so besonders?
Daniele Ganser ist jemand, der das Label „Verschwörungstheoretiker“ ganz stark zurückweist – eben wegen der stigmatisierenden Wirkung, die es noch immer hat. Er nimmt für sich in Anspruch, immer nur Fragen zu stellen, obwohl er dabei das Gegen-Narrativ schon insinuiert (unterstellt, d.Red). Das macht er vor allem zu 9/11, wo er immer wieder auf Gebäude Nummer 7 herumreitet, das eingestürzt ist, obwohl es von keinem Flugzeug getroffen wurde. Er macht das sehr geschickt, ohne herumzubrüllen, sondern sehr bedächtig und professionell.
Das Label „Verschwörungstheoretiker“ kann aber auch eine Methode sein, um missliebige Kritiker zu verunglimpfen. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Man muss sich genau anschauen, wie die entsprechenden Personen argumentieren. Geht es um berechtigte Kritik? Um offene Fragen? Oder gehen die Leute davon aus, dass alles irgendwie miteinander verbunden ist und nichts ist, wie es scheint. Letzteres ist bei Daniele Ganser sehr wohl gegeben.
Dichtung und Wahrheit
- Das macht eine Verschwörungstheorie aus: Drei Kriterien sind ausschlaggebend. Es handelt sich bei dem, was die angeblichen Verschwörer planen, um eine gemeinschaftliche Aktion, deren Teilnehmer meist diffus bleiben, die sich aber einem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlen, etwa die globale Ölförderung zu kontrollieren. Die Aktionen werden von den Theoretikern immer als illegal oder vorgetäuscht (Mondlandung) angeprangert, und sie stehen immer im Gegensatz zu ihren offiziellen oder wissenschaftlichen Erklärungen.
- Ohne Überprüfung: Verschwörungstheoretiker vermeiden es, ihre Behauptungen einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterwerfen. Sie sammeln Indizien für einen möglichen Sachverhalt, halten diese aber schon für den Beweis. Wissenschaftliche Erklärungen von Phänomenen werden konsequent ignoriert und geleugnet. Die Welt teilen sie meist in Gut und Böse ein und greifen gerne auf alte Mythen und Vorurteile zurück. (mic)
Aber manchmal stellen sich vermeintliche Theorien auch als wahr heraus. Bis vor einigen Jahren wurde jeder als Spinner abgetan, der behauptet hat, der US-Geheimdienst überwache uns alle. Dann kam Edward Snowden.
Ja, klar, aber war das an sich schon eine Verschwörungstheorie? Wo ist denn da der Plan? Der US-Geheimdienst macht das, um seine ureigenen Ziele zu erfüllen, die auch durchaus bekannt sind. Das mag man gut finden oder auch nicht, aber das heißt noch lange nicht, dass die NSA für irgendwelche anderen Herren arbeitet. Bei den klassischen Verschwörungstheorien ist es wirklich schwer, eine zu finden, die sich am Ende als wahr herausgestellt hat. Selbst die Watergate-Affäre: Da gab’s vorher keine Theorien.
Wie kann ich als Normalbürger legitime Kritik von einer Verschwörungstheorie unterscheiden?
Sie merken es am ehesten daran, dass kein Raum für Zufälle gelassen wird. Natürlich gibt es Absprachen und Lobbyismus in der Wirtschaft und der Politik. Auch Verschwörungen hat es gegeben und wird es immer geben. Nehmen wir die Kennedy-Ermordung: Da kann ich mir gut vorstellen, dass der Attentäter nicht alleine war. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass es die ganz große Verschwörung gibt, an der Hunderte von Menschen beteiligt waren. So etwas ließe sich doch niemals über eine so lange Zeit geheim halten.
Nur wenige Kilometer von Ihrem Büro entfernt hat der Kopp-Verlag seinen Sitz. Er verkauft Bücher, die versprechen „die wahren Strippenzieher hinter den Kulissen“ aufzudecken. Wie gut lassen sich Verschwörungstheorien zu Geld machen?
Unfassbar gut. Man muss immer unterscheiden zwischen denjenigen, die sie verbreiten, weil sie wirklich daran glauben oder weil sie politische Interessen verfolgen. Und es gibt diejenigen, die ökonomische Interessen verfolgen. Das überschneidet sich auch manchmal. Der Markt dafür ist auf jeden Fall riesig, und er wird nicht nur vom Kopp-Verlag ausgeschlachtet. Es gibt inzwischen sehr viele YouTube-Kanäle, die schon wenige Stunden nach einem Attentat ihre Videos hochladen und damit Klicks generieren.
Existieren auch Verschwörungstheorien über Sie selbst?
Ja, natürlich, ich bin immer Teil der Verschwörung. Die Leute, die mich kritisieren, werfen mir entweder vor, dass ich naiv und doof bin. Oder dass ich Teil einer gezielten Kampagne bin, um Machenschaften der sogenannten „Neuen Weltordnung“ zu verschleiern. Ich bekomme E-Mails, in denen ich als Satanist beschimpft werde, als käufliche Expertenhure oder intellektuelle Prostituierte.
Sie sind also gar kein Reptiloid?
(lacht) Doch. Deshalb sind mir die Beschimpfungen ja auch egal.
Fragen: Steve Przybilla
Zur Person
Michael Butter, 40, ist Professor für Amerikanistik in Tübingen. Zurzeit arbeitet er an einem EU-Projekt über Verschwörungstheorien. Sein jüngstes populärwissenschaftliches Buch „Nichts ist, wie es scheint“ ist im Suhrkamp-Verlag erschienen und kostet 18 Euro.
Ein grundlegendes seriöses Werk zum Thema Verschwörungstheorien ist die Doktorarbeit des Psychologen Sebastian Bartoschek: Bekanntheit von und Zustimmung zu Verschwörungstheorien – eine empirische Grundlagenarbeit, JMB-Verlag, 356 Seiten, 18,95 Euro. (prz/mic)
Eine Ausgabe der WDR-Sendung „Quarks&Co" beschäftigte sich auch mit dem Thema: