Von Leerstellen spricht die Biologin Brigitte Schlögl. Bisher glaubte man, sehr viel über die Primaten zu wissen. Doch das stimme nicht, sagt sie. Viele Leerstellen und damit Wissenslücken entdecke man, sobald man sich näher mit diesen Menschenaffen beschäftigt. Die promovierte Biologin beobachtet seit einigen Jahren intensiv die Berberaffen, die am Affenberg bei Salem in drei großen Gruppen leben. Dort gebe es noch viel zu erkunden, um das Wissen über die zierlichen Tiere zu vertiefen, sagt Schlögl.
Auch in dieser Saison ist die Expertin wieder unterwegs in dem dicht bewaldeten Freigehege. Während Besucher mit ihren Kindern neugierig über die Wege traben und sich über jedes Tier freuen, das in den Bäumen turnt, steht die Forscherin still abseits. Sie klettert über den niedrigen Zaun und nähert sich den Tieren. Ihre Warnweste mit entsprechendem Hinweis („Research“) weist sie als Forscherin aus.
Beobachten statt berühren
Außerhalb der strömenden Scharen steht sie stumm da und beobachtet die Tiere. Sie trägt ein Fernglas mit sich und einige merkwürdig erscheinende Apparate. Konzentriert beobachtet sie die Tiere, während einige Meter entfernt ein Kind fragt, ob es die netten Tiere füttern darf.
Schlögl sagt: Um diese Tiere studieren zu können, bedarf es einer gewissen Vertrautheit. Dafür muss man nicht mit ihnen leben und sie berühren, wie das die berühmte Jane Goodall bei ihren Feldstudien mit Schimpansen in Afrika tat. Brigitte Schlögl hält bewusst Distanz. Es geht ihr nicht um die Alltagsgemeinschaft von Mensch und Tier, sondern um die Analyse aus einer angemessenen Entfernung.
Distanz ist das Stichwort für den Affenberg. Was mancher Besucher als possierliches Treiben wahrnimmt, hat einen ernsten Hintergrund: Die Kolonie wurde 1976 eingerichtet, um die Berberaffen zu retten. Das geschah zu einer Zeit, als das Stichwort vom Artensterben nur unter Experten kursierte.
Am Affenberg sollte diese Affenart möglichst natürlich leben. Das bedeutete auch, dass die Tiere mit Menschen nicht in Berührung kommen. Auch deshalb werden die Besucher gebeten, auf den Wegen zu bleiben und keinen Kontakt zu den Affen zu suchen. Es gibt also keine Kuschelbilder mit den Affen.

„Ein Affe ist kein Spielzeug“, sagt Parkleiter Roland Hilgartner. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem menschenähnlichsten aller Säugetiere. Deshalb wehrt er sich auch gegen die künstliche Nähe, die Tieren anderswo aufgedrängt wird. „Das ist unnatürlich“, sagt er und verweist auf den Werbe-Affen, mit dem die Firma Trigema auf sich aufmerksam macht.
Am Affenberg wird das Gegenteil praktiziert. Hilgartner nennt das eine nicht-invasive Forschung, die Tiere werden also nicht bedrängt und berührt. „Es geht nicht darum, wie ein Affe auf mich reagiert“, sagt er. Im Mittelpunkt steht das Sozialleben dieser witzig wirkenden Lebewesen, nicht die Gefühlswelt des Menschen. Wie gehen Berberaffen miteinander um? Und wie finden sie ihre Geschlechtspartner? Das sind die leitenden Fragen hier. Unter dem Gesichtspunkt des Überlebens ist diese Frage entscheidend.
Schlögl nähert sich den Affen mit langsamen Schritten. Die Tiere nehmen scheinbar keine Notiz. Nachdem die Biologin jahrelang mit Gänsen beschäftigt war, wendet sie sich nun im Auftrag der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) und der Universität Leipzig diesen Vertretern der Primaten zu.
Der Geruchssinn hilft doppelt
Schnell wurde ihr klar, dass ein wichtiger Sinn dieser Affengruppe kaum erkundet ist: der Geruchsinn. „Das ist ein weites Feld, das noch viel zu wenig erforscht ist“, sagt sie. Tatsache ist, dass die Berberaffen einen ausgezeichneten Geruchssinn haben, erklärt Schlögl, während sie auf zwei Tiere zeigt, die sich beschnüffeln und prüfend umkreisen.
Dieser wichtige Sinn hilft ihnen doppelt: Einmal können sie Nahrung besser aufspüren und unterscheiden. Und sie lenken damit ihr soziales Verhalten, korrigieren es bei Bedarf. Der Geruchssinn sagt ihnen zuverlässig, ob sie es mit einem Verwandten zu tun haben oder nicht. Im Vorfeld der Paarung ist das enorm wichtig, sagt Hilgartner, der sich auf Lemuren spezialisiert hat.
An diesem Punkt hakt Schlögl ein. Sie arbeitet mit Duftkästen, in denen Duftproben von Mitgliedern der Affengruppen stecken. Dann beobachtet sie aus der Ferne, wie ein Berberaffe reagiert, der an dem Kästchen vorbeikommt. Wie geht er mit der Duftprobe um? Kann er sie zuordnen?
Für diese Arbeit ist Geduld wichtig und das Kennenlernen der jeweiligen Tiere. Brigitte Schlögl kann fast alle Exemplare unterscheiden. Einige haben Namen, die anderen tragen Nummern. So kann sie exakt sagen, welches der Tiere mit einem anderen verwandt ist.

Mühe machen die individuellen Duftproben. Brigitte Schlögl gewinnt sie mit einigem Aufwand, indem sie wartet, bis ein Tier Wasser lässt. Später sucht sie die genässte Stelle auf und nimmt mithilfe eines Papierstreifens eine Probe vom Urin des Berberaffen – das wird die spätere Geruchsprobe sein. Der Riechkolben der Tiere ist so differenziert ausgebildet, dass sie sich am Geruch des Urins unterscheiden können. Mit viel Mühe und exakter Dokumentation erstellt Schlögl über die Monate hinweg eine Geruchsdatei.
Im Herbst beendet sie ihre Arbeit, dann kommt der Park zur Ruhe. Dr. Schlögl kehrt dann an die Universität Leipzig zurück, wo sie unterrichtet. „Den Studierenden berichte ich das Neueste von meinen Experimenten am Affenberg“, sagt sie. Das nennt man dann lebendige und auch fröhliche Wissenschaft.