30 Prozent auf Rasierklingen, 20 Prozent auf Sonnencremes, ein Euro Rabatt auf Spülmaschinen-Zusätze – Nutzer, die die App der Drogeriemarktkette Rossmann auf ihr Smartphone geladen und mit ihrer Kundenkarte verknüpft haben, kommen in den Genuss von digitalen Gutscheinen, sogenannten Coupons. Jede Woche gibt es neue Rabattaktionen. Kauft der Kunde mit der digitalen Kundenkarte in der Filiale ein, gibt es zudem 10 Prozent Ermäßigung auf den Einkaufspreis.
Auch Konkurrent dm und andere Einzelhändler wie die Supermarktketten Lidl, Aldi oder Rewe locken Kunden mit Rabattaktionen in ihren Apps. Doch beim Einkauf müsste jedem klar sein, dass es diese Vergünstigungen nicht geschenkt gibt. Kunden bezahlen die Rabatte mit ihren Daten. Im Profil der Rossmann-App etwa sind Name, E-Mail-Adresse, Geburtsdatum, Wohnanschrift, Stammfiliale sowie die eingelösten Coupons gespeichert.
Apps sammeln permanent Informationen
Kunden der Elektronikmarkt-Kette Media Markt wurden schon vor Jahren an der Kasse nach der Postleitzahl gefragt, womit die Effizienz der regional geschalteten Anzeigen eruiert wurde. Mit digitalen Instrumenten lässt sich dieser Effekt viel besser messen. Und steuern.
So erhebt auch der Discounter Lidl bei der Nutzung seiner App „Lidl Plus“ – eine Art digitale Kundenkarte, über die Verbraucher Rabatte erhalten – personenbezogene Daten. Die App sammelt Informationen über die Filiale, in der der Kunde einkauft, aktivierte Coupons, Benachrichtigungseinstellungen, Teilnahme an Gewinnspielen, angesehene Artikel sowie die Anzahl der Klicks und der Bildläufe.

Beim Ladevorgang mit einem E-Fahrzeug an einer Ladesäule auf dem Parkplatz werden zudem Datum des Ladevorgangs, Lademenge (kWh), Ladeleistung (kW) sowie der Typus des verwendeten Ladesteckers erfasst, woraus sich Rückschlüsse auf das Fahrzeug ziehen lassen. Aus diesen Daten werden Profile erstellt. In den Datenschutzbestimmungen von Lidl heißt es: „Wir ermitteln Ihr Interessenprofil auf der Grundlage Ihres Kaufverhaltens, der Nutzung unserer Anwendung und anderer digitaler Dienste der Lidl-Unternehmensgruppe.“
Ein Einkaufszettel verrät viel über die persönlichen Hintergründe. Wenn ein Einzelhändler anhand der Kaufhistorie sieht, dass jemand regelmäßig Windeln in den Warenkorb legt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Baby im Haushalt ist. Mit diesem Wissen kann die App personalisierte Werbung ausspielen – in diesem Fall Rabatte für Babyprodukte.
Das Kundentracking begann lange vor dem Internet – mit der Einführung des Strichcodes in den 1970er-Jahren. Damit war es möglich, Bestände und Verkäufe exakt zu verfolgen. Die Einführung von Treue- und Kundenkarten erlaubte schließlich, das Konsumverhalten auf einzelne Kunden herunterzubrechen und feinkörnigere Analysen durchzuführen. Welche Produkte kaufen Singles? Wo werden die meisten Spirituosen verkauft? Welches Milieu frequentiert die Märkte in den späten Nachmittagsstunden?
Trendforschung an der Kasse
Einzelhändler sind Big-Data-Unternehmen, die laufend Trendforschung betreiben. So stellte der Einzelhandelsriese Walmart 2023 anhand von Datenanalysen fest, dass Kunden, die in der hauseigenen Apotheke Abnehmspritzen und andere Appetitzügler kauften, kalorienärmere Kost in ihren Einkaufswagen legten. Die Aktien von Nahrungsmittelkonzernen wie Mondelez und Nestlé rauschten in den Keller.
Walmart gilt unter Analysten wegen seines breiten Filialnetzes als Konsumbarometer. So fanden die Statistiker des Einzelhändlers vor Jahrzehnten mithilfe von Big-Data-Analysen heraus, dass unmittelbar vor Wirbelstürmen die Verkaufszahlen von Pop-Tarts und Bier in die Höhe schnellen. Als 2004 der Hurrikan „Frances“ auf die Küste Floridas zuraste, luden die Logistiker Lastwagen mit Gebäck und Sixpacks voll.
Wer die Daten hat, hat einen geldwerten Wissensvorsprung. Investmentfonds versuchen mittlerweile sogar, mit Hilfe von Satellitendaten anhand der Belegungsrate der Parkplätze die Umsätze börsennotierter Einzelhändler vorherzusagen.

Doch das Bild, das Supermärkte von ihren Kunden haben, ist immer noch unvollständig. Zwar wissen Einzelhändler, dass Person X regelmäßig donnerstags in der Filiale vorbeischaut und dabei stets Lammsteaks und Ofenkartoffeln kauft. Die Regale sind auch psychologisch geschickt wie ein Hindernislauf arrangiert, sodass man erst an wohlduftenden Angeboten vorbeilaufen muss, ehe man das Kühlregel mit der häufig gekauften Milch erreicht hat.
Wie sich der Kunde aber im Geschäft verhält, lässt sich nur bedingt steuern – und auch nicht beobachten. In Supermärkten liegt ein ungehobener Datenschatz. Einzelhändler versuchen daher, das Kundenverhalten auch im physischen Raum zu tracken.
Peilsender registrieren jeden Schritt
So hat die US-Kaufhauskette Macy‘s in ihren Filialen sogenannte Beacons installiert, kleine Minisender, die via Bluetooth mit Smartphones kommunizieren. Jedes Mal, wenn ein Kunde an dem Peilsender vorbeiläuft, erhält er eine Benachrichtigung auf sein Smartphone. Damit weiß der Einzelhändler, wo sich der Kunde gerade in seinem Geschäft aufhält – und wie lange.
Bleibt er vor dem Süßigkeiten-Regal stehen? Läuft jemand, der einen Coupon für Hygienetücher hat, zielstrebig in die Drogerieabteilung? Kehrt jemand in den Laden zurück, weil er sich doch entschieden hat, die Gartenschere zu kaufen? Kombiniert mit Sensoren, die (anonymisiert) den Fußverkehr messen, lassen sich auf diese Weise Bewegungsprofile erstellen, die mit App-Daten kombiniert werden können.
Die Praxis ist allerdings umstritten. Datenschützer befürchten, dass mit der technologischen Aufrüstung von Supermärkten Kunden durchleuchtet und manipuliert werden. Die US-Kaufhauskette Nordstrom geriet vor einigen Jahren öffentlich in die Kritik, nachdem bekannt wurde, dass Kunden in den Filialen videoüberwacht wurden. Damals saßen noch menschliche Mitarbeiter vor den Bildschirmen, die analysierten, wie lange jemand vor dem Regal steht. Heute macht das die Künstliche Intelligenz (KI).
So hat Rewe in Deutschland nach dem Vorbild von Amazon kassenlose Supermärkte („Pick&Go“) eröffnet: Der Kunde meldet sich am Eingang mit der App an, Kameras und Sensoren erfassen, welche Artikel man aus dem Regal nimmt, und rechnen diese beim Verlassen des Marktes automatisch ab. Der gläserne Kunde muss nicht mal mehr die Ware aufs Kassenband legen – die KI weiß, was er in seinem Wagen hat.