Frau Cammarata, Sie sind selbst in die Mental-Load-Falle getappt und wussten lange nicht, was Ihnen fehlt. Was hat Sie aufwachen lassen?
Ich war 35, hatte zwei eigene Kinder und ein drittes, das mein Mann mit in die Ehe gebracht hatte. Eigentlich schien äußerlich alles okay, ich hatte ideale Bedingungen in der Kita, ich hatte einen sehr familienfreundlichen Arbeitgeber und einen Ehemann, der im Haushalt half und engagierter Vater war. Trotzdem bin ich beim Übergang von der letzten Elternzeit ins Jobleben in diesen Erschöpfungsstatus gerutscht.
Wie hat sich der bemerkbar gemacht?
Ich hatte schon morgens auf dem Weg zur Arbeit das Bedürfnis, mich am Alexanderplatz einfach auf den Boden zu legen, ehe ich zur Arbeit ging, so müde und erschöpft war ich. Das habe ich natürlich nie gemacht. Doch es war ein Alarmzeichen. Den Begriff Mental Load kannte ich damals vor zehn Jahren nicht. Erst 2017 stieß ich im Internet auf einen Auszug aus dem Comic „The Mental Load“ von der französischen Illustratorin Emma.

Es geht dabei darum, dass Frauen häufig alles mitdenken, nicht nur für sich selbst und ihren Job, sondern für die Kinder, den Mann, den Haushalt. Diese unsichtbare Gedankenarbeit hinter sämtlichen Prozessen in einer Familie.
Ja, genau.
Konnten Sie Abhilfe schaffen?
Bei mir dauerte das sehr lang. Zunächst dachte ich, es läge an der Quantität der Aufgaben. So gab ich den Posten als Elternsprecherin im Kindergarten ab, verabredete mich nicht mehr mit Müttern am Nachmittag auf dem Spielplatz. Ich rutschte in den Überlebensmodus.
Diese unendliche To-Do-Liste im Kopf, die verbunden ist mit der Verantwortlichkeit für alles, was Familie und Haushalt ist. Besonders anstrengend sind auch die Situationen, in denen man Feuerwehr spielen muss, weil irgendetwas nicht klappt. Wenn man dann Ratschläge hört, wie: Mach dich doch mal locker, dann ist das nicht so einfach. Es geht ja schließlich um die physische und psychische Gesundheit der Kinder.
Welche Aufgaben hat Ihr Mann übernommen?
Es gab einen Papatag, an dem er die Kinder vom Kindergarten abholte, und er erledigte den Großeinkauf einmal pro Woche. Vielfach waren es Convenient-Pakete, die schon vorbereitet waren.

Was meinen Sie damit?
Mein Mann ging mit den Kindern am Wochenende oft schwimmen. Er bekam die fertig gepackte Tasche hingestellt mitsamt der Verpflegung. Nach der Rückkehr waren die Tasche und die schmutzigen Handtücher wieder meine Aufgabe.
Sie sprechen davon, dass Frauen in diesen Gedankenschleifen hängen. Machen sich Männer keine Gedanken über Einkäufe, neue Schulhefte, den Impftermin und Bastelmaterialien für den Bastelnachmittag? Oder hat das eher mit erlernten Rollenklischees zu tun?
Natürlich hat das sehr viel mit erlernten Rollenklischees zu tun – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Als Mädchen bekommt man in der Regel vorgelebt, dass man für die Familie zuständig ist. Früher, als der Mann Alleinverdiener war, war das noch in Ordnung. Aber wenn beide arbeiten, klappt das nicht mehr.
Ich habe diese Aufteilung nie infrage gestellt, bis die Überforderung eingetreten ist. Man zweifelt eher an sich und sagt sich, ‚Mensch, die anderen schaffen das doch auch‘. Wir haben auch die Elternzeit nicht verhandelt. Ich habe zwölf Monate genommen, mein Mann die zwei Partnermonate, obwohl ich auch Vollzeit gearbeitet hatte.
Einer meiner Kollegen, der drei Kinder hat, wandte ein, dass er ja den Termin für den TÜV oder den Werkstatttermin fürs Auto im Blick behält und ausmacht. Ist das nichts?
Das ist ein typischer Einwand: Er möchte sagen, dass er etwas übernimmt. Und das stimmt natürlich. Wenn man zusammen die Tätigkeiten betrachtet, die anfallen, merkt man, dass dabei auch manches, was Männer traditionell machen, unter den Tisch fällt. Doch Frauen sind eher an Tätigkeiten gebunden, die täglich und mit Termindruck anfallen, wie Kinder in der Kita abzuholen. Männer haben eher Aufgaben rund ums Auto oder den Rechner, Spülmaschinensiebe säubern, Batterien im Rauchmelder austauschen. Das ist auch Arbeit, hat aber eine andere Belastung.
Wie kommt man zu einer besseren Aufteilung dieser Familienaufgaben, zumal wenn einer Vollzeit arbeitet und ihm schlichtweg die Zeit fehlt?
Eine gerechte Aufteilung wird es nicht geben, gerade, wenn der Partner Vollzeit arbeitet und man selbst in Teilzeit beschäftigt ist. Da bleibt nur die Möglichkeit, wenn man es sich finanziell leisten kann, bestimmte Dinge nach außen abzugeben. Wichtig ist, die Kleinteiligkeit vieler Aufgaben zu sehen und anzuerkennen, was alles zu bedenken ist bei Schulfesten, Kindergeburtstagen oder wenn die Schule wieder anfängt. Es ist ein Unterschied, ob man nur für bestimmte Aufgaben zuständig ist, oder für den gesamten Prozess.
Beim Schwimmengehen hieße das: Die Tasche auch zu packen, wieder auszupacken und die Handtücher zu waschen.
Ja, oder dran denken, dass die Schuhe zu klein sind und sie kaufen zu gehen.
Dann müssen viele Frauen aber auch abrücken von ihrem Perfektionismus, und akzeptieren, dass der Partner bestimmte Aufgaben auf seine Art erledigt.
Ja. Das muss man lernen. Gerade, wenn man es viele Jahre allein gemacht hat, hat man oft sehr konkrete Vorstellungen. Beliebtes Thema ist der Schuhkauf, wo Frauen sagen: Oh, dann sind die nachher aber nicht schön. Viel wichtiger ist aber, dass der Partner auch rechtzeitig an den Schuhkauf denkt und dieser sich im Budget bewegt. Wenn einem die Schuhe nicht gefallen, muss man sich den Kommentar verkneifen.
Ihre Ehe ist leider gescheitert, weil sie schon zu tief in der Krise steckten. Was raten Sie Paaren, damit es so weit nicht kommt, und man am Ende gefrustet dem anderen die Schuld zuweist?
Wichtig ist, dass man seine Erwartungen abgleicht, und zwar ganz besonders bei der Jobsuche nach dem Studium, wenn man sich für Kinder entscheidet, bei der Frage nach Voll- und Teilzeit. Die Kunst ist, sich darum zu kümmern, ehe diese Dinge akut werden.
Was kann man tun, wenn man schon in der Überforderung steckt?
Man sollte sich einmal pro Woche zusammensetzen und schauen, welche Aufgaben anfallen, die der Partner nicht sieht und die einen belasten. Wenn man das ein Jahr lang macht, weiß man auch, welche U-Untersuchung beim Kinderarzt ansteht oder welche anderen Termine, und man kann sie dem anderen abnehmen.
Ideal ist es, einmal im Monat zu schauen, was gut und was weniger gut gelaufen ist. Oft ist es auch ein liebevolles Erkennen, dass man die Terminvergabe beim Kinderarzt unterschätzt hat: Wenn man das erste Mal selbst anruft und merkt, dass man zehnmal probieren muss, weil dauernd besetzt ist. Oft geht es gar nicht so sehr um die hälftige Teilung der Aufgaben, sondern um die Anerkennung dessen, was der andere tut.