Frau Konrad, mit den Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise werden Paarbeziehungen plötzlich auf engstem Raum gelebt. Wie gefährlich ist das für eine Beziehung?

Für manche Paare ist diese besondere Nähe gar kein Problem. Sie sind glücklich, kommunizieren gut und gehen liebevoll miteinander um. Ich erlebe im Moment auch Paare, die zwar Konflikte haben, die aber gleichzeitig merken, dass sie mit ihrem Partner jemanden an ihrer Seite haben, mit dem sie diese Krise von außen gut durchstehen können. Aber für viele Paare wird diese Situation ein Stresstest werden.

Welche Paare sind das?

Das sind besonders die Paare, die in einer akuten Beziehungskrise sind und schon vorher vielleicht sogar über eine Trennung nachgedacht haben. Oder aber Paare, deren Beziehung in einer chronischen Krise steckt, weil sie nicht gut miteinander kommunizieren.

Unterscheiden sich die aktuellen Konflikte bei Paaren von denen, die sie sonst miteinander austragen?

In der aktuellen Situation kommt diese Enge in der Wohnung hinzu. Dadurch wird auch der Alltagsstress ganz anders empfunden, besonders, wenn zusätzlich Kinder den ganzen Tag betreut werden müssen. Zusätzlich entstehen finanzielle Sorgen und Zukunftsängste. Das kommt alles noch obendrauf auf die Konflikte, die sowieso schon da sind.

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Homeoffice, Haushalt, Kinderbetreuung – wie kann es als Paar gelingen, gut mit dieser beengten Situation umzugehen?

Ganz wichtig ist es als Paar, aber auch als Familie, dass man sich die Bedürfnisse jedes Einzelnen anschaut. Jeder sollte seine Bedürfnisse aussprechen können, während die anderen zuhören. Wichtig ist auch zu besprechen, welche Situationen besonders herausfordernd für den Einzelnen oder auch das gesamte Familiensystem sein könnten und zu schauen, wer welche Stärken hat. So kann man die Aufgaben innerhalb der Familie besser verteilen.

Sandra Konrads Buch „Liebe machen – Von der Überforderung eines Gefühls und wie Beziehungen trotzdem gelingen“ ist im ...
Sandra Konrads Buch „Liebe machen – Von der Überforderung eines Gefühls und wie Beziehungen trotzdem gelingen“ ist im Piper-Verlag erschienen. | Bild: Piper-Verlag

Das heißt, für einzelne Familienmitglieder ergeben sich auch neue Rollen?

Ganz genau. Im Moment ist ja oft so, dass in Familien Frauen in systemrelevanten Berufen als Ärztin, Pflegerin oder Kassiererin im Supermarkt weiterhin zur Arbeit gehen. Viele Männer arbeiten dagegen im Homeoffice und kümmern sich um die Kinder.

Wie wichtig sind Rückzugsmöglichkeiten für den Partner?

Sehr wichtig. Paare müssen schauen, wo sie in ihrem Haus oder in der Wohnung solche Möglichkeiten zum Rückzug schaffen können und diese dann auch nutzen. Stellen Sie sich vor, eine Familie lebt in häuslicher Quarantäne – da braucht es diese Räume ganz besonders – für jeden Einzelnen. Gleichzeitig ist es wichtig, seine Kontakte zu Freunden, zur Familie und Kollegen weiterhin zu pflegen, per Telefon oder Skype.

Wenn es Streit gibt, fehlen andere Aktivitäten um sich abzulenken – wie ein Treffen mit dem Kumpel in der Kneipe oder der Freundin. Was kann man tun, damit es nicht soweit kommt?

Was wir zur Zeit mehr denn je brauchen, ist, dass wir freundlich und diszipliniert miteinander umgehen. Wir müssen uns bewusst machen, dass jeder Einzelne gute Stimmung schaffen kann. Man sollte nicht darauf warten, dass der Partner etwas Nettes macht, sondern selbst dafür sorgen, dass die positiven Interaktionen weitaus überwiegen im Vergleich zu den negativen.

Trotzdem gibt es Momente, wo man aneinander gerät und merkt, man kann nicht mehr zurück. Was raten Sie dann?

Durchatmen und rausgehen. Wenn wir in einer solchen beengten Situation regelmäßig hochgehen, schaffen wir damit nur schlechte Stimmung. Ich rate Paaren immer zu einer Technik, damit solche Situationen nicht eskalieren. Sie vereinbaren ein Stopp-Wort. Das kann der Lieblingskuchen, der letzte Urlaubsort oder „Tante Erna“ sein – da habe ich schon die kreativsten Wortschöpfungen erlebt. Gut ist, wenn man sich ein Familien-Stopp-Wort ausdenkt. Dann können auch die Kinder zeigen, wenn ihnen alles zu viel wird und sie eine Auszeit brauchen.

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Wie geht man damit um, wenn ein Partner besonders ängstlich auf die immer neuen Nachrichten und Einschränkungen, die Berichte von den vielen Toten in Italien und Spanien reagiert?

Gut ist es, empathisch zu reagieren und den Partner zu beruhigen, indem man sagt: ‚Ich spüre, dass du dir Sorgen machst. Das ist in Ordnung, denn die Situation ist ja auch sehr besorgniserregend.‘ Zusätzlich sollte man sich aber auch gemeinsam informieren und die Realität den Ängsten gegenüber stellen. Über seriöse Quellen erfährt man, dass die meisten Menschen gerade nicht zur Risikogruppe gehören, wir uns aber gerade alle einschränken, um andere, besonders gefährdete Menschen zu schützen. Dieser Gedanke hilft oft schon, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Man spürt, dass man selbst gar nicht so gefährdet ist, versteht aber auch, warum man den Kontakt zu anderen vermeiden und für die nötige Hygiene sorgen muss – eben, um dazu beizutragen, dass die Infektionskurve nicht weiter ansteigt.

Können Informationen über die Corona-Krise solche Ängste auch verstärken?

Ja, durchaus. Deshalb rate ich besonders ängstlichen Menschen, ihren Medienkonsum sehr stark zu beschränken. Die immer neuen schlechten Nachrichten können zu einer negativen Angsttrance führen, wenn man sich den ganzen Tag nur schlimme Nachrichten anschaut.

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Kommen wir noch einmal auf die Beziehungen zu sprechen, wo sich Paare schon mit dem Gedanken an Scheidung getragen haben, bevor die Corona-Krise dazu kam. Was kann man in einem solchen Fall tun?

In diesem Fall würde ich raten, sehr diszipliniert miteinander umzugehen und dem anderen Freiraum zu geben, wenn man merkt, dass er diesen gerade braucht. Jeder sollte im Moment die beste und freundlichste Person sein, die er sein kann.

Das könnte ja auch eine Chance sein für die Zeit nach der Krise.

Ja, durchaus. Es gibt Paare, die zuvor einen regelrechten Kleinkrieg im Alltag geführt haben und jetzt merken, dass sie die Bedürfnisse des anderen auf einer existenziellen Ebene befriedigen können. Das heißt nicht, dass die alten Probleme weg sind. Doch hier kann sich ein Raum öffnen, wo Paare spüren, dass sie auch zusammenhalten können und sich gegenseitig Hoffnung geben, gut durch diese Zeit zu kommen.