Der mörderische Angriff der islamistischen Terrorgruppe Hamas auf Israel ist in der 75-jährigen Geschichte Israels beispiellos. Obwohl das Land seit Jahrzehnten mit teils massiven Gewaltattacken unterschiedlicher extremistischer Organisationen konfrontiert ist, hat es noch nie so viele Tote gegeben. Hier wurde eine neue Dimension des Vernichtungswillens erreicht, der sich gegen Israel wendet.
Dass man Israel „auslöschen“ wolle, gehört zur rhetorischen Dauerbeschallung von palästinensischen Radikalen und ihren Unterstützern, etwa dem Mullah-Regime im Iran. Gerade die ständige Wiederholung dieser Drohung bewirkte, dass diese Ankündigung im Westen kaum noch ernst genommen wurde. Hier, in einer Friedenszone, verstehen nur wenige Menschen, wo der tiefe Hass herrührt, der sich im Auf und Ab des Nahostkonflikts immer wieder eruptiv entlädt. Dieser ist ohne einen Blick in die Geschichte nicht zu verstehen. Mit diesem Beitrag versucht die Redaktion, durch Erklärung und Deutung von Schlüsselbegriffen, die die Berichterstattung prägen, eine erhellende Hilfestellung zu leisten:
Brennpunkt Palästina
Der Name ist seit 2500 Jahren gebräuchlich und wurde durch den griechischen Geschichtsschreiber Herodot eingeführt. Kriege aufgrund von konkurrierenden Landnahmen prägten diese Schlüsselregion zwischen Jordan und dem Mittelmeer schon lange bevor dort ein jüdisches Königreich entstand, das später unter römische Herrschaft geriet. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 gehörte Palästina zum Osmanischen Reich, das dann auf die Türkei reduziert wurde. So übernahm die Siegermacht Großbritannien als Völkerbund-Mandatsmacht die Kontrolle. Die Frage, wem das Land zugesprochen werden sollte, blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schwebe. Doch die Menschen dort drängten immer lauter auf eine Lösung.
Vision Zionismus
Ende des 19. Jahrhunderts hatte der österreichisch-ungarische Schriftsteller Theodor Herzl (1860-1904) für die Idee eines eigenen Staates für die Juden geworben. Zwar lebten damals auch Juden unter osmanischer Herrschaft in Palästina. Aber Herzl wollte Diaspora-Juden dazu bewegen, die Emanzipation in einem neuen Staat selbst zu verwirklichen, um ohne Repressalien und Pogrome leben zu können.
Herzl gewann Unterstützung, und es setzte eine – überschaubare – Einwanderung der Zionisten ein, die sich nach dem Namen des Jerusalemer Tempelbergs (“Zion“) benannten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen wegen verstärkter Ausgrenzung und Gewalt gegen Juden vor allem in Osteuropa vermehrt jüdische Einwanderer nach Palästina.
Die Spannungen zwischen der prosperierenden jüdischen und der arabischen Gesellschaft wuchsen. Eine weitere Einwanderungswelle wurde durch die Judenverfolgung der Nationalsozialisten seit 1933 ausgelöst. Die Briten duldeten die Einwanderung, versuchten sie aber zu begrenzen.
Der Uno-Teilungsplan
1922 hatte sich der neue gegründete Völkerbund, Vorläufer der heutigen Vereinten Nationen (Uno), für die Schaffung einer nationalen Heimstätte für Juden in Palästina ausgesprochen und sie festgeschrieben. Nach dem Holocaust verschärfte sich der Ruf nach einem eigenen Staat Israel. Die Uno wollte den Konflikt zwischen Palästinensern und Juden durch eine Teilung des Landes lösen. Im November 1947 wurde der Teilungsplan von der Uno-Generalversammlung in Form der berühmten Resolution 181 bei 33 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen angenommen.
Wer also behauptet, die Israelis hätten ihren Staat ohne Legitimation ausgerufen, liegt falsch. Zum Problem wurde, dass die Führung der damals noch so genannten Zionisten unter dem späteren ersten Ministerpräsidenten David Ben Gurion (1886-1973) den UN-Plan (mit der Neutralisierung Jerusalems und Bethlehems) zwar akzeptierte, nicht jedoch die arabischen Staaten. Sie stellten sich gegen eine Teilung. Das Feuer des Nahost-Konflikts wurde durch die Einmischung der Araber genährt, denen die Lage der palästinensischen Bevölkerung vor Ort relativ gleichgültig war.
Palästinakrieg
Schon kurz nach Verkündung des UN-Teilungsplans kam es zu Gefechten zwischen arabischen Milizen, die sich schon damals „Armee des heiligen Krieges“ nannten, und jüdischen Formationen wie der Hagana (“die Verteidigung“). Nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 wurde das neue Israel von fünf arabischen Nachbarn überfallen: Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak. Israel konnte sich behaupten und schloss mit den Gegnern unter Uno-Vermittlung Waffenstillstandsverträge ab.
75 Prozent des alten Mandatsgebiets gingen an Israel, für die Palästinenser wurde weder ein eigenes Gebiet ausgewiesen noch ein Staat errichtet. Jordanien übernahm die Kontrolle über Ost-Jerusalem und das aus Judäa und Samaria bestehende Westjordanland (“West Bank“). Ägypten verwaltete jetzt den Gazastreifen.
Jom-Kippur-Krieg
Nach der Gründung des Staates Israel kam es zu fünf weiteren Kriegen und zwei immer wieder aufflammenden Aufständen der Palästinenser, die „Intifada“ – ein arabischer Begriff, der „sich erheben“ bedeutet. Die dauerhafte Gewalt palästinensischer Extremisten und Terroristen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem richtet sich gegen einen Zustand, der sich nach dem Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 vor 50 Jahren einstellte.
Jener begann ohne Kriegserklärung Ägyptens und Syriens und traf die Israelis überraschend, da sie gerade Jom Kippur, das Versöhnungsfest feierten. Daher spricht man auch – mit Blick auf Japans Überfall auf Hawaii 1941 – von einem „Pearl Habour“ Israels. Erstes Ziel der Angreifer war es, sich im Süden die Sinai-Halbinsel für Ägypten zurückzuholen und im Norden die Golanhöhen für Syrien. Beide Gebiete – und den Gazastreifen – hatte Israel im Sechstagekrieg 1967 besetzt.
Die israelische Armee wendete das Blatt schnell, stieß Richtung Damaskus und auf Kairo vor. Der Preis: 2600 gefallene Soldaten, auf arabischer Seite starben 8500 Menschen. Auf Druck der USA, die das Eingreifen der Sowjets auf der Seite des verbündeten Ägypten befürchteten, rief die Uno am 22. Oktober 1973 zu einem Waffenstillstand auf.
Widerstand der PLO
Die arabischen Staaten arrangierten sich nach und nach mit den Erfolgen der Israelis und suchten einen Ausgleich auf diplomatischem Weg. Mit Erfolg. So reiste 1977 der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat (1918, ermordet 1981) nach Jerusalem und besiegelte 1978 mit dem israelischen Regierungschef Menachem Begin (1913-1992) unter Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter (heute 99) das Abkommen von Camp David, was mit dem Friedensnobelpreis gekrönt wurde. Israel zog sich vom Suezkanal und bis 1982 aus dem Sinai zurück.

Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, seit 1969 von dem in Kairo geborenen Jassir Arafat (1929-2004) geführt, ging diesen Weg nicht. Zunächst sah sich die PLO als politische Vertretung der aus Israel nach Jordanien und in den Libanon geflüchteten Palästinenser. Doch Arafat setzte auf Radikalisierung. Er ließ den militanten PLO-Ableger „Fatah“ israelische Flugzeuge entführen, Bomben legen und Attentate verüben. 1982 führte Israel einen großen Schlag gegen die PLO. Ihre Stellungen im Libanon wurden erobert. Arafat musste nach Tunis fliehen.
Palästinensische Autonomiebehörde
Dass diese 2004 gegründete Institution, die heute das Westjordanland unter Führung von Mahmud Abbas (87) verwaltet, gegründet werden konnte, verdankt sich dem historischen Handschlag zwischen Arafat und dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin (1922-1995, ermordet) im Jahr 1993. Vorausgegangen war der erste Palästinenseraufstand, der 1987 den Begriff „Intifada“ hervorgebracht hatte. Arafat, Rabin und Israels damaliger Außenminister Schimon Peres erhielten dafür 1994 den Friedensnobelpreis.
Oslo-Friedensprozess
Die Aussöhnung war der Höhepunkt des sogenannten Oslo-Friedensprozesses, in dem man unter Vermittlung Norwegens versuchte, den Nahostkonflikt beizulegen. Durch eine Reihe von Verträgen zwischen Israel und der PLO erreichten die Palästinenser eine Teilautonomie im Gazastreifen und Westjordanland. Für die Palästinenser bleib ein eigener Staat das zentrale Ziel.
Eine angestrebte Ausweitung der Palästinensischen Autonomiegebiete (PA) gelang aber nicht. Die „Camp David II“ genannten Verhandlungen zwischen Arafat und dem damaligen israelischen Regierungschef Ehud Barak (heute 81) über die Gründung eines Palästinenserstaates blieben erfolglos. Über den künftigen Status Ostjerusalems und die jüdischen Siedlungen im Westjordanland kam es zu keinem Konsens. Von 2001 bis 2005 währte eine zweite Intifada, und im Frühjahr 2002 zerstörte die israelische Armee Arafats Hauptquartier in Ramallah. Die Friedensverhandlungen scheiterten 2014 endgültig.
Die Amtszeit des 2004 vom Volk gewählten Mahmud Abbas ist seit 2009 abgelaufen, es gab danach keine Wahl mehr. Die letzte Parlamentswahl fand im Januar 2006 statt, damals siegte die islamistische Hamas. Die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Seitdem gibt es keine demokratisch legitimierte Führung der PA mehr. Eine Neuwahl wurde mehrmals angekündigt, fand jedoch wegen Streitigkeiten zwischen der Fatah-Bewegung von Abbas und der an Wahlen keineswegs interessierten Hamas nicht statt.
Die PA kümmert sich heute im Westjordanland um Wasser und Strom, das Schulsystem und die Müllabfuhr. Sie gibt Pässe, Geburts- und Todesurkunden und Führerscheine heraus. Wichtigster Geldgeber der Palästinenserbehörde ist die Europäische Union.
Die Hamas
Neben der PLO entwickelte sich die Hamas (von arabisch „Kampfgeist“) zu einer radikaleren Alternative. Während man in der PLO aber einem säkularen arabischen Nationalismus folgte, will die Hamas einen islamistischen Gottesstaat. Sie wurde von dem Aktivisten Ahmad Yasin (1936/37 – 2004), der bei einem israelischen Anschlag getötet wurde, mit begründet. Ihr militärischen Arm neben der Partei und einem sozialen Hilfswerk sind die Kassam-Brigaden, die die EU als Terrororganisation einstuft. 2006 errang die Hamas einen Wahlsieg mit 44 Prozent der Stimmen. Zunächst kam es zu einer Koalition mit der Fatah (PLO), dann zu einem blutigen Konflikt, der die Hamas im Gazastreifen an die Macht brachte.
Der Gazastreifen
Hier herrscht seit 2007 de facto die islamistische Hamas. Sie hat sich bereits drei Kriege mit Israel geliefert: 2008/2009, 2012 und 2014. Hamas-Kämpfer im Gazastreifen feuern immer wieder Raketen auf israelisches Grenzgebiet und senden Brand- und Sprengstoff-Ballons. Den Nachschub erhalten sie wegen der abgeriegelten Grenze zu Israel durch Tunnel, die vor allem vom weniger gut gesicherten Süden aus, der zu Ägypten gehört, gegraben werden. Israel reagiert darauf meist mit Angriffen auf Hamas-Ziele. Rund zwei Millionen Einwohner leben unter dürftigen Bedingungen in dem Küstenstreifen am Mittelmeer.
Die israelische Siedlungen
Nach der Eroberung des Westjordanlands und Ost-Jerusalems 1967 begann Israel mit der Besiedlung des Gebiets. 1980 annektierte Israel Ost-Jerusalem. Auch im Gazastreifen gab es 21 israelische Siedlungen, die jedoch im Zuge des israelischen Abzugs 2005 geräumt wurden. Im Westjordanland leben neben den etwa drei Millionen Palästinensern inzwischen auch etwa eine halbe Million israelische Siedler.
Nach internationalem Recht dürfen Staaten keine eigene Zivilbevölkerung in besetztes Territorium umsiedeln. Israel vertritt dagegen die Auffassung, das Westjordanland sei vor 1967 kein Staat, sondern nur von Jordanien kontrolliert gewesen. Man beruft sich zudem auf das Völkerbundsmandat von 1922, in dem historische Rechte der Juden auf das Land bestätigt wurden. Die Siedler sehen sich im Westjordanland zudem nicht als Fremdkörper. Nach ihrem Verständnis leben sie in Judäa und Samaria, dem Land ihrer biblischen Vorväter.