An manchen Tagen kann man auf Höhe der Seestraße 21 in Konstanz etwas Merkwürdiges beobachten. Hinter der Villa hebt sich ab dem späten Nachmittag die Schranke zum Parkplatz immer häufiger.

Gut gekleidete Menschen klettern aus den hochfüßigen SUVs, viele davon mit Schweizer Kennzeichen. Die Insassen sind auffällig gut gekleidet und streben dem Haus zu. Während junge Menschen um das großbürgerliche Anwesen ihre Kinderwagen schieben oder im Sommer zum Schwimmen gehen, eilen die Jacketts auf zwei Beinen in die Villa Hausnummer 21.

Die schwere Eingangstür steht offen, das Geländer blinkt in polierter Bronze. Die Klimaanlage hüllt die Kommenden in eine kühle Wolke ein. Sie betreten eine andere Welt, die Welt des Spiels und der Gewinnhoffnungen. Sie befinden sich im Casino Konstanz.

Die Adresse passt zum Casino: Seestraße 21.
Die Adresse passt zum Casino: Seestraße 21. | Bild: Fricker, Ulrich

Es geht nicht nur um die Versuchung

Der Unterschied zum Draußen ist gewollt und gewünscht. Im Spielcasino geht es nicht nur um die Versuchung des Geldes. „Die Leute wollen sich hier unterhalten und entspannen“, sagt Pressesprecherin Anna Gladkova. Die Gespräche sind gedimmt. Blutrote Teppiche dämpfen die Schritte bis zur Unhörbarkeit, selbst Stöckelschuhe hören sich wie Katzenpfoten an. Im Hintergrund dudelt Kaufhausmusik, aber leise.

Die meisten Besucher hier sind Wiedergänger, sie kommen häufig und streben gezielt auf den Spieltisch zu, der ihnen Glück verspricht. Die Atmosphäre gibt sich als Mischung aus Fünf-Sterne-Rezeption und Las Vegas. Sandalen oder T-Shirts sind nicht unerwünscht, denn gute Manieren fangen am Ort des volatilen Geldes mit dem Outfit an.

Der Dresscode muss stimmen: Marianna Koubasiuk leiht manchen Männern gerne ein Jackett aus.
Der Dresscode muss stimmen: Marianna Koubasiuk leiht manchen Männern gerne ein Jackett aus. | Bild: Fricker, Ulrich

Sakko wird auch zur Verfügung gestellt

„Die Dame wählt einen Blazer, ein Kleid oder ein anderes Outfit, was ihr und dem Abend gut steht. Bei den Herren bitten wir um Hemd oder Poloshirt. Sollten Sie sich zu einem spontanen Besuch entschließen, ohne entsprechend gerüstet zu sein, stellen wir Ihnen gerne einen Sakko zur Verfügung“, heißt es in der Hausordnung im freundlichen Imperativ.

Vor allem Herren kommen angeblich immer wieder schlampig daher, heißt es. Doch daran soll der Besuch im Glückspalast nicht scheitern. An der Rezeption leiht eine kundige Studentin gerne ein brauchbares Jackett aus.

Croupiers halten sich im Hintergrund

Von roten Teppichen und gehobener Konfektion lebt das Casino nicht. Menschen drehen die großen und kleinen Räder. Croupiers und Croupièren halten die Geldsammel- und Vernichtungsmaschinen am Laufen. In ihren schwarzen Anzügen erinnern sie an Oberkellner eines Hotels in Davos, dezent und völlig im Hintergrund. Kein Wort zu viel, keine Geste ausladend.

Stattdessen höchste Konzentration, mit der sie die Abläufe kontrollieren und die Aktionen der Glücksspieler im Auge behalten. Auch Bojana Stojanovic gehört zu den Spielleitern. Ihr schwarzer Anzug sitzt perfekt. Dazu eine schwarze Binde zum weißen Hemd. Die Herren tragen Fliege zur neutralen Miene.

Geschickte Hände: Elegant und schnell soll es zugehen beim Roulette.
Geschickte Hände: Elegant und schnell soll es zugehen beim Roulette. | Bild: Fricker, Ulrich

Um 16 Uhr beginnt die Frühschicht

An diesem Tag tritt sie ihren Dienst um 16 Uhr an, Frühschicht, wie sie sagt. Während 100 Meter Luftlinie entfernt Mütter ihre Kinder in den See begleiten, postiert sich die Croupière hinter dem Roulettetisch.

Mit einer unmerklichen Bewegung ihrer kräftigen Hand bringt sie den Zylinder in Schwung. Nun läuft das Glücksrad – und es wird bis drei Uhr nachts sinnlos und schicksalsträchtig um die eigene Achse drehen. Mit einer zweiten Bewegung schleust sie ein kleines helles Kügelchen in den Innenlauf des Zylinders ein.

115 Mitarbeiter arbeiten hier

Frau Stojanovic steht mit unbewegter Miene an ihrem Arbeitsplatz. Ihr Gesicht verrät keine Emotion, ihren dunkelgrünen Augen entgeht nichts. Darf nichts entgehen. Der Kessel rotiert, die kleine Kugel rennt und kullert dann endgültig auf eines der 37 Felder. Sie schiebt die Jetons hin und her, häufelt, flacht ab.

Wenn kein Gast etwas gewonnen hat, lässt sie die Jetons in einer Öffnung verschwinden. Das ist dann der Gewinn für das Casino. 2023 klingelten exakt 35.659.049 Euro in der Zentralkasse. Davon werden 115 Mitarbeiter bezahlt. Der überwiegende Rest fließt dann an das Land Baden-Württemberg. Hinter der mondänen Kulisse steckt also ein äußerst rentabler Staatsbetrieb.

Nach einer guten Stunde wird Bojana abgelöst. Der Job am Roulette oder an den Kartentischen ist anstrengend. Dennoch, für sie zählt das als Traumberuf. Sie verdient ordentlich. Während sie abends und nachts arbeitet, schaut ein Au-pair-Mädchen nach dem Kind. Und ihr Mann ist ja auch zu Hause. Er schafft in derselben Branche, die beiden sind Kollegen und lernten sich im Casino kennen.

Nur in Filmen rasten Menschen aus, wenn sie Schein um Schein verlieren. Im wahren Casino-Leben trägt es der Verlierer mit Fassung oder er tut zumindest so. Bojana Stojanovic faszinierte die Welt der bunten Jetons und gedämpften Konversation. Sie machte das Glück zu ihrem Beruf und heuerte beim Casino in Konstanz an. Die Tätigkeit als Croupière ist freilich kein Lehrberuf, den man mit einem Gesellenbrief abschließen kann.

Sie durchlief einen sechsmonatigen Kurs. „Man muss gut rechnen können“, sagt sie. Alle Gewinne werden im Kopf ausgerechnet, zum Beispiel Vorgänge wie „25 mal 35“. Das sind Multiplikationen, die den meisten ohne Taschenrechner schwerfallen dürften. Roulette ist noch altmodisches: Kein Rechner kommt zum Einsatz. Kopfrechnen plus Wahrscheinlichkeit plus Schwerkraft, das macht das Spiel aus.

Drei Casinos gibt es in Baden-Württemberg

Hier soll alles mit rechten Dingen zugehen. Konstanz bildet einen von insgesamt drei Standorten im Land. Die anderen beiden Casinos sitzen in Stuttgart und in Baden-Baden. Letzteres dürfte das bekannteste sein. Die legendäre Kurstadt zog bereits im 19. Jahrhundert Glücksritter und verarmten Adel an.

Der Schriftsteller Fjodor Dostojewski spielte sich in Baden-Baden bereits um Kopf und Kragen. Er vernichtete sein Vermögen. Immerhin schuf er aus seinen Erlebnissen zwischen Himmel und Hölle ein Stück Weltliteratur. Der Roman „Der Spieler“ kreist um Existenzen, die von der Spielsucht getrieben werden und am Ende in den Ruin gehen. Genau das soll in Konstanz und an den anderen Standorten verhindert werden.

Keiner soll seine Existenz verspielen

Stojanovic gilt in Konstanz als Spezialistin für die Suchtproblematik. Man will hier keine Getriebenen herholen, die auf gigantische Gewinne fixiert sind. Rein mathematisch ist die Bank langfristig der Sieger. Wenn sie am Tisch steht und ihre Finger über die Jetons streichen, scannen ihre dunkelgrünen Augen den Raum ab.

Sie hat erkannt: „Es gibt unterschiedliche Warnzeichen für auffälliges Spielverhalten.“ Sie registriert gereizte oder nervöse Spieler. Auch solche, die sich schreiend mit dem Personal anlegen. Das kann mit Spielverbot enden oder mit Hausverbot. Die Croupière befasst sich mit der Psychologie hinter diesen Vorgängen. „Hier soll keiner seine Existenz verspielen“, sagt sie, darunter leiden am Ende ganze Familien.“

Es gibt keine siegessichere Taktik

Auch deshalb verläuft der Spielbetrieb unspektakulär. Kein Geschrei, keine Debatten. Der Schweizer im windschiefen Jackett, der ein ums andere Mal 200-Euro-Scheine wechselt, setzt, verliert – er begehrt nicht auf. Ein leises Murren, ein Halbsatz.

Schon verschwindet er am nächsten Tisch und fixiert eine elektronische Anzeigetafel, auf der die Häufigkeit dokumentiert wird, mit der die Kugel auf eine bestimmte Zahl rollt. Steckt ein System dahinter, das man knacken könnte?

Bojana wiegelt ab. Sie hat unzählige Runden begleitet und ungezählt Male gehört, wie die sechs Gramm leichte Kugel die Umlaufbahn verlässt und nach unten fällt. Sie kann keine Regel erkennen, es sei denn die Anti-Regel des Zufalls. Ihr Fazit: „Beim Glücksspiel gibt es keine siegessichere Taktik“.

Der Herr aus Winterthur hat es sich mittlerweile anders überlegt. Er verlässt den Saal, lässt Black Jack und den rotierenden Kessel hinter sich. Nebenan ist eine Bar eingerichtet. Viele Spiegel, roter Plüsch, blitzendes Chrom. Auch dort regiert kühle Freundlichkeit, unnahbar und reinlich. Natürlich wird auch Alkohol ausgeschenkt und in Maßen an den Spieltischen geduldet.

Rauchen ist seit kurzem verboten

Wenn einer ein Glas zu viel erwischt und später auffällig wird, wird er ebenfalls gesperrt. Das Rauchen dagegen wurde vor wenigen Monaten verboten. Im März wurde die letzte Zigarette in der Villa angezündet. Die Croupière ist froh, dass damit Schluss ist. Schon der Kleidung wegen.

Der Schweizer kehrt zurück an den Ort der frühen Niederlage. Jetzt gewinnt er, aber ohne Triumph. Nun kommt ein unscheinbarer Schlitz ins Spiel, der in die Oberfläche des Spieltischs gefräst ist. Der freudig überraschte Kunde wirft einen Jeton in den Schlitz, der mit einem unscheinbaren Laut verschwindet.

Das Trinkgeld wandert in einen großen Topf, aus dem später alle Mitarbeiter profitieren. Die Croupiers quittieren die Gabe mit einem unscheinbaren Nicken, mehr nicht. An guten Tagen und bei gut gelaunten Kunden und gefühlten Glückssträhnen kommt da ein hübsches Zubrot für alle zusammen.