„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd“. Dieses Zitat der deutschen Schriftstellerin Christa Wolf beschreibt in Kürze, was die Uraufführung des Stückes „Die Tiefe“ in der Werkstatt des Theater Konstanz zum Thema hat. Die polnische Autorin Ishbel Szatrawska hat mit ihrem gleichnamigen Roman die Vorlage geliefert, Alek Niemiro inszeniert diese filigrane Geschichte mit viel Mut und Verve.

In eine Tiefe hineinfallen, Vergänglichkeit spüren, Geschehenes geschehen lassen, Wunden aufzeigen, Sprache spielend ins Szenische übersetzend. Die Geschichte spielt in Polen, hier mischen sich masurische, deutsche und litauische Identitäten. Die junge Alicja (Anna Eger) findet im Haus ihrer verstorbenen Großmutter Janka (Luise Hipp) Dinge aus der Vergangenheit und beschließt, das Haus zu verkaufen. Alicjas Vater Wolf (Odo Jergitsch) soll dabei helfen.

Polen, die geschundene Nation

Karges weißes Licht luziert spärlich eine schwarze Wand aus Holz, die Bühne ist reduziert aufs Nötigste. Dabei geht es im Stück um Wesentliches. Es geht um Ehre und Demut, um Verlangen, Gewalt und das Hinterfragen einer Definition von Leben und Tod. Polen war und ist seit je her eine geschundene Nation, gipfelnd in der Aggression der Deutschen und Russen im vorigen Jahrhundert.

Also ist das Stück in erster Linie auch ein Versuch der Erinnerung, und das nicht im Sinne einer sich erklärenden Politik, sondern im Dechiffrieren von persönlich Erlebtem und der Schilderung einzelner Schicksale.

Gewalt gegen Frauen spielt dabei eine zentrale Rolle. Pavel (Mark Harvey Mühlemann) benutzt das Handy als Schwert, die vier Schauspieler schlüpfen noch in andere Rollen, die Geschichte changiert zwischen den Generationen. Man muss ihr konzentriert folgen. Es wird laut, Schreie sind zu hören.

Man erinnert sich an Gerüche und Geräusche, Kinder schnarchen im Takt, Körper drücken sich aneinander. Die Großmutter war streng, „Arbeit muss getan werden“, sagt sie. Vergilbte Fotos, vielleicht in einer Kommode verschwunden. Vater und Tochter trauern um Jankas Tod. Ethnische Säuberungen in Masuren werden thematisiert, Erinnern ist mehr als ein bloßes Nach-Denken.

Und die vergewaltigten Frauen?

Keiner scheint sich um die vergewaltigten Frauen zu scheren. Großes Leid ist geschehen, wer kann Verantwortung übernehmen? Der Geruch der Kindheit, ein sterbendes Pferd, verschiedene Sprachen können doch zu einem Verständnis führen. Alles scheint voller Staub und Dreck, die Frauen müssen das wegputzen, dabei schillert nur wenig Liebe, die doch so notwendig wäre, ein kurzer Kuss, mehr nicht.

Die Großmutter hat einem Zicklein die Kehle durchtrennt, dieses archaische Bild führt an den Schluss des Abends. Was davon bleibt? Ein Fünkchen Hoffnung, eine beeindruckende Vorstellung und eine mit großer Empathie erzählte Geschichte.

Weitere Vorstellungen: 1., 4., 9., 12., 15., 17., 22. und 25. Oktober; 11. und 22. November in der Werkstatt des Theater Konstanz. www.theaterkonstanz.de