Andreas Schiele lächelt zufrieden. Der langjährige Wirt des Salmannsweiler Hofes in Salem sitzt in der Gaststube des Lokals. Auf den Tischen steht Frühlingsschmuck, die Bar ist gut bestückt, an der Tür empfiehlt die Urkunde eines Gastroführers das Restaurant. Man benötigt nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie am Abend Gäste den Saal des Landgasthofes füllen werden. Aber das wird nie mehr passieren.
Ende März hat Schiele das Restaurant geschlossen, ohne jede Wehmut, obwohl es bis zuletzt gut lief. Nach Jahren der Personalnot und bürokratischer Mühen war ihm die Lust am Leben als Wirt vergangen. Schieles Beispiel zeigt die Nöte der Gastronomie auf dem Land. Zwar macht die Branche in der Region jährlich höhere Umsätze. Dennoch gibt es immer weniger gastronomische Betriebe.
Bürokratische und gesetzliche Hürden werden immer höher
Wie widersprüchlich die Situation der Landgasthöfe ist, spürt man bei Rainer Bertsche. Er ist der Wirt des Gasthauses Löwen in Brigachtal. Auf seinem Gesicht zeigt sich fast dasselbe glückliche Lächeln wie bei Schiele – nur ist der Grund dafür ein ganz anderer, die pure Zuversicht.
„Für die Zukunft des Gasthauses sehe ich gar kein Risiko“, sagt Bertsche. Er ist sehr zufrieden mit seinen Geschäften und plant in diesem Jahr kräftige Investitionen in den Ausbau seines Hauses.
Doch bei allem Erfolg hat auch er mit Problemen zu kämpfen, von denen viele Wirte berichten: Fachkräfte zu finden wird immer schwerer, während bürokratische und gesetzliche Hürden höher werden. „Du kommst aus dem Büro manchmal gar nicht mehr raus“, sagt Bertsches Frau Nicole. Der Zeitbedarf für Arbeitszeit- und Umsatzerfassung wachse, dazu kommen verschärfte Hygiene-Vorschriften.
Auch das war für Schiele ein Grund, aufzuhören: „Man kommt weg vom Kerngeschäft, der ganze Aufwand macht kleine Betriebe kaputt“, sagt er. Größere Betriebe, die für Büroarbeiten Personal einstellen könnten, würden bevorzugt. Er ärgert sich zudem über das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitnehmern verbietet, länger als zehn Stunden am Tag zu arbeiten.
Vergangene Zeiten der Landgastronomie
Hier sind sich Schiele, der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga und Bertsche einig. Der Löwen-Wirt kritisiert: „Es kann nicht sein, dass der Staat den Leuten vorschreibt, wie lange sie arbeiten dürfen. Da schüttet man Sand in einen Motor, der eigentlich läuft.“ Da es in der Gastronomie häufig länger gehe als geplant, seien die Vorgaben realitätsfremd.

Während Rainer und Nicole Bertsche von ihren Erfahrungen erzählen, füllt sich die Stube des Löwen. Die schiefen Decken und die Wandmalereien zeugen von der 500-jährigen Geschichte des Hauses, das die Bertsches seit über 100 Jahren besitzen.
Als Rainer Bertsche aus der Familiengeschichte erzählt, ist das ein Blick in vergangene Zeiten der Landgastronomie: „Wenn die Großmutter meiner Mutter von früher erzählt hat, dann war das natürlich ganz anders. Da hat das Essen 15 bis 20 Prozent des Umsatzes ausgemacht, der Rest lief über Getränke. Das war sehr ortsbezogen, alle Vereine kamen her und man hat vom Stammtisch gelebt.“
Heute mache das Essen 60 Prozent des Umsatzes aus. Und Stammkunden kämen längst auch von außerhalb des Dorfes.
Nicht weit vom Löwen entfernt, in Niedereschach-Kappel, steht ein Experiment in Sachen Landgastronomie. In dem Örtchen mit kaum Tausend Einwohnern hat Tajana Werner mit ihrem Mann, dessen Bruder und seiner Frau im vergangenen Sommer einen neuen Landgasthof eröffnet. Allein das ist schon außergewöhnlich.
Ernüchterung nur knapp ein Jahr nach der Eröffnung
Wirklich bemerkenswert ist aber, mit welchem Aufwand die „Die Säge“ hergerichtet wurde. Das große Gebäude, einst teils Wirtshaus und teils ein holzverarbeitender Betrieb, wurde vor der Eröffnung drei Jahre lang mit einem sehr hohen finanziellen Aufwand restauriert. Seit der detailverliebten Sanierung gibt es im Gebäude Gästezimmer, ein Restaurant, ein Bistro, einen Veranstaltungssaal und einen Laden.

Doch knapp ein Jahr nach der Eröffnung steht Tajana Werner ernüchtert im Saal: „Wenn ich jetzt zurückblicke und mir überlege, ob ich es nochmal machen würde: Ich weiß es nicht“, gesteht sie. Obwohl sie zwölf Jahre Gastronomieerfahrung hat, habe sie das Geschäft teilweise unterschätzt.
Dabei kann Familie Werner nicht über zu wenig Kundschaft klagen, am Wochenende sei das Restaurant immer voll und der Veranstaltungssaal schon für das komplette Jahr mit Hochzeiten belegt. Doch die Werners haben ebenfalls mit Personalmangel zu kämpfen. Und sie haben lernen müssen, wie schwer es ist, gut zu sein und doch zu leben.

Eine hochwertige, nachhaltige Gastronomie wirtschaftlich zu bekommen, sei trotz guter Besuchszahlen schwer. „Wenn man bei allen Zutaten auf die Herkunft schaut oder darauf, dass auch hier im Restaurant alles nachhaltig ist, dann müsste man teilweise Preise aufrufen, die keiner mehr bezahlen will“, erklärt Tajana Werner. 25 festangestellte Mitarbeiter hat ihr Betrieb, darunter eine Stelle nur für Marketing. Spaß macht ihr der Beruf trotz aller Mühen immer noch.
„Irgendwann wird es keine Landgasthöfe mehr geben“
Andreas Schiele ist sich sicher: „Irgendwann wird es keine Landgasthöfe mehr geben.“ Ein täglicher Mittagstisch und abends eine Karte, auf der einfacher Wurstsalat genauso angeboten wird wie Rehkeule, das sei kaum noch mit Gewinn zu stemmen. Das lässt sich auch an Zahlen des Statistischen Landesamtes ablesen. Zwar steigen die Umsätze stetig: moderat auf dem Land, stark in der Nähe der Schweiz. Trotzdem gibt es immer weniger Gastronomiebetriebe. In den meisten Kreisen der Region sind es fünf bis sieben Prozent weniger als vor zehn Jahren, im Schwarzwald-Baar-Kreis sogar 14 Prozent weniger. In die Statistik fallen alle Branchen-Ausprägungen, von der Bar über das Restaurant bis zum Caterer.
Bei allen Wirten sieht man jedoch, wie wichtig Gaststätten noch immer für die Gesellschaft sind. Bei Andreas Schiele, dessen Schlussmach-Entschluss viele Stammgäste nicht akzeptieren wollten. Bei Tajana Werner, die sagt, dass in die Säge viele Gäste aus Kappel kommen, weil sie froh sind, dass es im Ort wieder was gibt. Und man spürt es bei Rainer Bertsche. Genauer gesagt: Bei Stammgästen wie Herbert Hirt.
Seit 25 Jahren kommt der Brigachtaler Friseurmeister jede Mittagspause in den Löwen. An diesem Tag sitzt er mit Schreinermeister Andreas Meier am Tisch, später stößt Pfarrer Dominik Feigenbutz dazu. Die Gespräche bei Schnitzel und Pommes drehen sich um Baustellen und Beerdigungen, um den Fußballnachwuchs und das Wetter. Eben um alles, das bewegt. Oder wie Wirt Bertsche es zusammenfasst: „Hier werden Taufen gefeiert, die Kommunion, Hochzeiten, Geburtstage, Beerdigungen. Wir begleiten Menschen vom Leben bis zum Tod.“
Es bleibt die Frage, wie viele Wirte sich künftig noch finden werden, die solche gesellschaftlichen Fixpunkte betreiben. Andreas Schiele wird nicht mehr dazu gehören. Er wird Küchenmeister in einem Salemer Altenheim. Kein Papierkram mehr, kein Ringen um Personal, stattdessen geregelte Arbeitszeiten, sicheres Gehalt: „Für mich ist die Welt in Ordnung.“
Interview mit Fritz Engelhardt, dem Vorsitzenden des Hotel- und Gastättenverbandes Dehoga
Herr Engelhardt, kann man in Baden-Württemberg, speziell in den ländlichen Gegenden, von einem Wirtshaussterben sprechen?
Der Begriff klingt mir zu negativ, weil es trotz aller Probleme immer noch zahlreiche erfolgreiche Gastronomiebetriebe im ländlichen Raum gibt. Eine Zählung im Jahr 2009 hat allerdings ergeben, dass damals bereits 60 Gemeinden unter 5000 Einwohner im Land kein Gasthaus mehr hatten. Besser geworden ist die Situation seither sicher nicht. Außerdem sehen sich immer mehr Betriebe gezwungen, ihre Öffnungszeiten zu reduzieren.
Was sind die Gründe dafür?
Der Mitarbeitermangel in Verbindung mit einem Arbeitszeitgesetz, das nicht zur Branche passt, sind die Hauptgründe für die Kürzung von Öffnungszeiten, das haben wir durch Umfragen belegt. An fehlender Gästenachfrage liegt es nämlich nicht. Was uns zu schaffen macht, sind steigende Kosten, immer mehr Bürokratie und Wettbewerbsverzerrungen, zum Beispiel durch die Mehrwertsteuer. Für Gasthäuser gelten 19 Prozent Mehrwertsteuer. Der Handel, der Mahlzeiten zum Mitnehmen anbietet, profitiert vom 7-Prozent-Steuersatz.
Wie geht es der Gastronomie im Land aus finanzieller Sicht?
Viele Gastronomiebetriebe verdienen trotz guter Nachfrage nicht genug, um investieren und sich zukunftsgerecht aufstellen zu können. Wenn dann der Generationenwechsel ansteht, winken mögliche Nachfolger ab – und es gibt wieder ein Dorfgasthaus weniger. Natürlich gibt es nach wie vor Betriebe, die erfolgreich sind. Wenn fleißige Familienangehörige mithelfen und das Restaurant durch Gästezimmer ergänzt wird, funktioniert vieles besser. Reine Gastronomiebetriebe haben es aufgrund der ungünstigeren Kostenstrukturen schwerer.
Sie kritisieren die gesetzliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden am Tag. Wieso? Zehn Stunden sind nicht wenig, lebt die Gastronomie von Marathon-Schichten der Mitarbeiter?
Es geht nicht um Marathon-Schichten, sondern um ein Mindestmaß an Flexibilität. Wenn eine Feier im Gasthaus länger dauert, führt die 10-Stunden-Grenze häufig dazu, dass die Gäste eigentlich nicht mehr bedient werden dürfen. Das will aber niemand – auch die Mehrzahl unserer Mitarbeiter nicht. Wir wollen ja nicht, dass unsere Mitarbeiter in der Summe länger arbeiten. Eine Wochenarbeitszeit wäre die Lösung.
Diese Arbeitszeit-Debatte köchelt schon länger, tut sich da im Moment noch was?
Was dazu im Koalitionsvertrag steht, hat uns auf der ganzen Linie enttäuscht. Für Kleinbetriebe ohne Betriebsrat soll überhaupt keine Flexibilisierung ermöglicht werden. Solche Betriebe sind aber in unserer Branche die große Mehrheit. Wir werden allerdings weiter Druck machen. Es kann nicht sein, dass Abgeordnete Sonntagsreden über die Bedeutung der Gastronomie halten, sich dann in Berlin aber gegen vernünftige Bedingungen für unsere Branche sperren.
Was macht einen modernen, erfolgreichen Landgasthof aus?
Ein gutes, unverwechselbares Angebot, Kosteneffizienz und eine moderne Vermarktung, auch online, die über die eigene Gemeinde hinausgeht.
Gerne wird der Spruch zitiert „Wenn die letzte Wirtschaft im Dorf schließt, stirbt das Dorf“ – stimmen Sie dem zu? Oder ist es eher umgekehrt, dass Wirtschaften schließen, weil manche Dörfer sterben?
Die Dörfer sterben nicht, sie wandeln sich – im negativen Fall zu reinen Schlafdörfern, in denen nur noch wenig gesellschaftliches Leben stattfindet. Das geht auch zu Lasten der Gastronomie. Wenn die letzte Gastwirtschaft im Dorf schließt, ist das Dorf zwar nicht tot, aber deutlich ärmer. Ohne Gastronomie gibt’s keinen Tourismus. Ohne Gastronomie fehlt ein Stück Kultur, das zu einer funktionierenden Dorfgemeinschaft gehört.
Wie konnten sich früher eigentlich so viele Dorf- und Landgasthöfe halten? Hatten die Menschen früher nicht viel weniger Geld dafür übrig, Essen zu gehen?
Sie hatten vielleicht nicht mehr Geld, aber sie haben mehr Zeit im Dorf und in den Wirtschaften verbracht. Heute gibt es viel mehr konkurrierende Freizeitaktivitäten und in den Dörfern gibt es Entwicklungen, die dem Wirt das Leben schwer machen – man muss nur an die Vielzahl der Vereinsfeste denken. Wenn sich Vereine auf diese Weise finanzieren, geht das auf Kosten der gewerblichen Gastronomie.
War es früher leichter, Wirt zu sein?
In mancher Hinsicht schon. Die Zeit, die ein Wirt heute mit Dokumentationen, mit der Dienstplanerstellung und mit anderem Papierkram verbringen muss, fehlt im Betrieb. Grundsätzlich bringt es aber nichts, vergangenen Zeiten nachzutrauern. Auch die heutige Zeit bietet Chancen – die müssen wir erkennen und nutzen.
Fragen: Dominik Dose
Nachfolgeprobleme
Nach Angaben des Landesvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Fritz Engelhardt, stehen in den kommenden Jahren landesweit rund 4000 Lokale vor dem Generationenwechsel. Vor allem für Betriebe im ländlichen Raum habe man Sorge, dass sich kein Nachfolger findet. Das sieht Löwen-Wirt Rainer Bertsche ganz ähnlich: "Die meisten Gaststätten machen doch gar nicht aus finanziellen Gründen zu, sondern weil sie keinen Nachfolger haben." Der Aspekt spielte auch bei Andreas Schiele eine Rolle, als er den Salmannsweiler Hof aufgab: Er hat keine Kinder, in langfristigen Investionen sah er keinen Sinn mehr.