Bewusste Entscheidung oder Propaganda-Opfer? Die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. radikalisierte sich offenbar schon mit 13 Jahren, reiste mit 15 Jahren aus. War sie einfach nur eine Jugendliche, die auf die falschen Lockrufe des IS hereinfiel? Eine neue, noch nicht veröffentlichte Studie des Landesverfassungsschutzes deutet etwas anders an.

Welche Vorgeschichte haben die Frauen?

Das Papier, von dem bereits eine Zusammenfassung vorliegt, setzt sich ausschließlich mit Frauen auseinander, die nach Syrien oder in den Irak gereist sind. „Sarah O. war nicht der unmittelbare Anlass“, sagt Sprecher Georg Spielberg dem SÜDKURIER auf Anfrage.

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Doch auch ihre Biografie wird in der Studie aufgearbeitet. Welche Vorgeschichte haben die Frauen? Wie entstand der Kontakt zur Salafistenszene? Und wie gelangten die Frauen nach Syrien und in den Irak? 

Frauen in der Regel deutsche Staatsbürgerinnen

Aus Baden-Württemberg sind nach neuesten Angaben des Landesverfassungsschutzes 13 Frauen ausgereist. Auf die dazu vorliegenden Daten stützt sich die Studie.

Die Frauen sind „in der Regel deutsche Staatsbürgerinnen, zumeist hier geboren und aufgewachsen“, heißt es darin. Die Ausreise in die Krisengebiete ordnet die Studie klar als „Jugendphänomen“ ein: „Gewöhnlich waren die Frauen zum Zeitpunkt der Ausreise nach Syrien und in den Irak jünger als 30 Jahre“.

Zugleich haben die meisten von ihnen einen Migrationshintergrund, sind seit Geburt muslimisch – mit wenigen Ausnahmen.

Die Rolle der Eltern

Das Elternhaus spielt den Angaben des Verfassungsschutzes zufolge eine zentrale Rolle – „stark kontrollierendes Verhalten der Eltern“ sowie „defizitäre Familienstrukturen“ werden genannt.

Der Vater von Sarah O. wurde vom Landesverfassungsschutz als Patriarch beschrieben – ein Mann mit Autorität, der es zunächst unterstützte, dass seine Tochter sich plötzlich strenggläubig gebärdete.

Sarahs Mutter psychisch krank

Sarahs Mutter war offenbar psychisch krank, die Schwester hatte Probleme, lässt man beim Verfassungsschutz durchblicken. Erfahrungen, die die Experten dort als „biografische Risikofaktoren“ einstufen.

Ein interessantes Phänomen, das bei Sarah O. nicht zutrifft: Bei der Ausreise waren die meisten Frauen Mütter, ihre Kinder nahmen sie in der Regel mit nach Syrien oder in den Irak. Die meisten war der Studie zufolge nicht verheiratet, aber „auffallend viele bereits geschieden“. Suchten diese Frauen im IS eine neue Aufgabe, einen Ort, an dem sie sich gebraucht fühlen?

Den Kontakt in die Szene bauten die die meisten IS-Anhängerinnen allerdings nicht wie oft angenommen über das Internet auf – vielmehr spielten der Studie zufolge Familie, Partner oder Freunde eine maßgebliche Rolle. Erst für die „weitere Radikalisierung„ waren demnach andere Akteure „auch in der Online-Welt“ treibende Kräfte.

Warum der IS so attraktiv ist

Was aber machte die Ideologie des IS für diese jungen Frauen so attraktiv? Der Landesverfassungsschutz geht davon aus, dass sie für die Konzepte „tauba“ (Reue), „taqwa“ (Gottesfurcht), „al-wala wa-l-bara“ (Loyalität und Lossagung) in ihren jeweiligen Lebenskrisen besonders ansprechbar waren.

Während sich die meisten Frauen nach Erkenntnissen der Behörde „auf die Rolle der Hausfrau und Mutter“ beschränkten, wurden einige „Teil des IS-Propagandaapparats“. Beweise, dass sie an direkten Kampfhandlungen beteiligt waren, liegen dem Verfassungsschutz nicht vor. Wohl aber, dass sich einige an der Waffe ausbilden ließen – wie Sarah O. Sie übernahm laut Anklage zudem Polizei- und Wachdienste in den vom IS kontrollierten Gebieten.

Beamten laufen Patrouille um das Hochsicherheitsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Hier wird der Fall Sarah O. verhandelt.
Beamten laufen Patrouille um das Hochsicherheitsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Hier wird der Fall Sarah O. verhandelt. | Bild: Oliver Berg

Wer noch keine Kinder mitbrachte, bekam meist als Ehefrau von IS-Kämpfern in den Krisengebieten Nachwuchs – auch Sarah O. Ihre drei Kinder leben heute nach Informationen des SÜDKURIER bei einer Pflegefamilie.

Landesverfassungsschutz warnt, Kinder den Großeltern der IS-Rückkehrer zu übergeben

Der Landesverfassungsschutz warnt davor, die Kinder den Großeltern der IS-Rückkehrer zu übergeben. Es müsse zumindest im Einzelfall „geprüft werden, ob eine Unterbringung bei den Großeltern sinnvoll ist“, heißt es in der Studie: „Die Zustände in den Herkunftsfamilien der Frauen waren ein zentraler Faktor für das Bedingungsgefüge“, das schließlich zur Radikalisierung führte.

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Der Landesverfassungsschutz kommt zu dem Schluss, dass es „in der Regel eine bewusste Entscheidung“ war, den Rufen des IS zu folgen. Sarah O.‚s Anwalt Ali Aydin betont immer wieder, dass es sich in ihrem Fall um die Entscheidung einer 15-Jährigen gehandelt habe – eine, die sie heute wohl so nicht mehr treffen würde.