Herr Kizilhan, schlummert in Kindern von IS-Rückkehrern ein potenzieller künftiger Terrorist?
Das hängt von dem Alter der Kinder ab. Wenn die Kinder noch relativ klein sind, bis sieben oder acht Jahre, ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel geringer, weil sie noch nicht verstehen, was vor sich geht. Sie haben vielleicht Gebete mitgesprochen, Gewalttaten beobachtet, aber sie sind mit dem Verständnis von der Welt noch nicht so weit, um ideologisch indoktriniert werden zu können.
Sarah O. hat drei Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren. Wie sollte man mit ihnen umgehen?
Die Trennung von der Mutter ist sicherlich der richtige Schritt. Im Anschluss geht es um eine engmaschige Führung der Kinder. Das bedeutet, sie früh zu begleiten, auch im Kindergarten und in der Schule. In einer Pflegefamilie ist es dann wichtig, dass sie eine enge Bindung zu einer Bezugsperson aufbauen können. So lernen sie, eine normale Tagesstruktur zu haben, und können Sicherheit und Stabilität erfahren, was in der Region damals nicht möglich war.
Im Fall der Konstanzer IS-Rückkehrerin sind die Kinder tatsächlich von der Mutter getrennt worden und leben in einer Pflegefamilie. Sollten Kinder von IS-Rückkehrern grundsätzlich von ihren Eltern getrennt werden?
Ja, zumindest, wenn die Mutter die Ideologie weiter mit sich trägt. Denn andernfalls könnten die Kinder von ihr indoktriniert werden. Wenn jemand mehrere Jahre mit dem IS gelebt hat, ist die Denkweise nicht von heute auf morgen verändert. Selbst, wenn eine gewisse Enttäuschung über den IS besteht. In solchen Fällen muss man sehr genau hinschauen und eine Gefährdungsanalyse durchführen. Das gelingt erst durch mehrere Gespräche über längere Zeit. Erst, wenn die Mutter sich von der IS-Ideologie abgesagt hat, ergibt es Sinn, die Kinder der Mutter zurückzugeben.
Wie viel können so junge Kinder schon von der Ideologie ihrer Eltern mitgenommen haben?
Wenn ein Kind die Eltern nachahmt und wie sie auf die Knie geht zum Gebet, bedeutet das noch nicht, dass sie verstehen, was sie tun. Eine Ideologie, im Sinne von „Wenn ich mich in die Luft sprenge, komme ich in den Himmel“, ist eher unwahrscheinlich.
Wie sehr prägen Kriegserfahrungen, wie sie in Syrien und im Irak gemacht wurden, Kinder im jungen Alter?
Das kann sie sehr prägen, je früher das ist. Besonders dann, wenn sie beginnen, zu verstehen, etwa mit vier Jahren. Das geht mit Ängsten einher: Häufig übernehmen die Kinder die Angst der Mutter – das kann auch bei Kleinkindern schon der Fall sein. In solchen Fällen muss man ihnen immer wieder signalisieren, dass sie jetzt in Sicherheit sind. Sollten diese Ängste nicht behandelt werden, kann das erheblichen Einfluss auf die Psyche haben, bis ins Erwachsenenleben.
Viele IS-Frauen wurden in Lagern durch kurdische Kräfte in Syrien festgehalten – und mit ihnen ihre Kinder. Warum holt die Bundesregierung diese Menschen nur so zögerlich zurück?
Das ist leider bei vielen anderen Ländern genauso, weil viel die Angst besteht, dass die Frauen weiterhin radikal sind und eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Auf der anderen Seite müssen die Frauen dort rauskommen, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben.