Sie hat sich verändert: kein Niqab, keine Handschuhe mehr. Zwei Justizbeamten führen Sarah O. in den Gerichtssaal im Hochsicherheitsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, entlang an den leeren Sitzreihen hinter dem Sicherheitsglas. Die große, schlanke Frau trägt einen hellgrauen Hosenanzug und schwarze Halbschuhe. Ihr Gesicht verdeckt sie zunächst mit einem Aktenordner, bis die Fotografen aus dem Saal geschickt werden.
Die junge Frau, inzwischen 21 Jahre alt, die da hinter dem Aktendeckel zum Vorschein kommt, sieht sehr gepflegt aus. Das lange, braune Haar reicht ihr über den ganzen Rücken. Das geschminkte Gesicht ziert eine schwarze, runde Brille. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte diese Frau auch eine blutjunge Anwältin sein. Doch in diesem Prozess sitzt sie auf der Anklagebank. Sechs Jahre, nachdem sie mit gerade einmal 15 Jahren nach Syrien ausreiste. Es ist der Beginn einer wochenlangen Aufklärungsarbeit. Darüber, wie aus einer Konstanzer Gymnasiastin eine IS-Braut wurde.
Die Vorwürfe
Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft, vertreten durch Oberstaatsanwalt Simon Heinrichs, wiegen schwer. Im Oktober 2013 reiste sie nach Syrien aus, im Januar 2014 heiratete sie den Kölner Islamisten Ismail S. „Spätestens ab diesem Zeitpunkt gliederte sich die Angeschuldigte in die Entscheidungs- und Befehlsstruktur der ausländischen terroristischen Vereinigung ,Islamischer Staat‘ ein“, heißt es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft.
Ab Februar 2014 übernahm sie demnach gemeinsam mit ihrem Ehemann Wach- und Polizeidienste zur Sicherung von durch den IS kontrollierten Gebieten. Sie soll versucht haben, Menschen aus Europa zu animieren, sich ihrer Sache anzuschließen. Am schwersten aber wiegt der Vorwurf der Versklavung von drei Jesidinnen – zwei Frauen und ein Mädchen. Sie bekommt drei Kinder, um die sich die Jesidinnen kümmern müssen, ebenso wie um den Haushalt.
Sarah O. wurde im Februar vergangenen Jahres von den türkischen Sicherheitsbehörden aufgegriffen, im September wurde sie an Deutschland ausgeliefert. Am Flughafen in Düsseldorf wurde sie festgenommen, seither sitzt sie in einem Gefängnis in Nordrhein-Westfalen in Untersuchungshaft. Schon in türkischen Abschiebehaft betreute sie ihr Strafverteidiger Ali Aydin. Er hat eine Vertrauensbasis zu ihr aufgebaut, sagt er. Gleich zu Beginn des Prozesses beantragt er den Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch wegen der drei Kinder der Angeklagten, sagt er.
Eltern sind mit angeklagt
Mitangeklagt sind auch die Eltern von Ismail S. und Emre S., sie sollen ihre Söhne mit Geld und Waffen versorgt haben und eine „staatsgefährdende Gewalttat“ vorbereitet haben. Und Ismail S.? Aydin sagt dem SÜDKURIER, dass der Kölner Deutschtürke in der Türkei in Haft sitze.
Staatsanwalt Heinrichs will sich zu Ismail S. nicht äußern – offenbar laufen noch Ermittlungen gegen ihn, möglicherweise auch ein Auslieferungsgesuch.
Sarah O. werde sich zunächst schweigend verteidigen, stellt Anwalt Aydin gleich zu Beginn klar. Möglicherweise werde sich seine Mandantin im Lauf des Verfahrens aber noch äußern. Schweigend sitzt die junge Frau, von der Aydin da spricht, neben ihm. Sie blickt zum Gericht, die Beine unter der Sitzfläche verschränkt. Es ist der einzige kleine Hinweis darauf, wie angespannt Sarah O. sein muss. Denn im Fall einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre nach Jugendstrafrecht, bis zu 15 Jahre nach Erwachsenenstrafrecht.

Staatsanwalt Heinrichs folgt dem Antrag Aydins überraschend. Weil Sarah O. zur Tatzeit 16 bis 19 Jahre alt war. Und weil es in dem Prozess maßgeblich darum gehen wird, wie sich die einstige Schülerin radikalisierte, wie ihre Lebensumstände waren in Syrien an der Seite eines Islamisten: „Dabei werden Einzelheiten erörtert, die der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt sind.“ Deshalb müsse man Sarah O. vor Stigmatisierung schützen. Heinrichs betont aber auch, dass er sich von einem Verfahren hinter verschlossenen Türen erhofft, mögliche Hemmungen der Angeklagten zu verhindern – sie zum Reden zu bringen.
Aufruhr im Gerichtssaal
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Während der Unterbrechung kommt es zu einer handfesten Auseinandersetzung vor dem Saal. Ausgerechnet der Dortmunder Islamist Bernhard Falk gerät ins Gespräch mit einer jungen Jesidin. Der 52-Jährige ist wegen vierfachen Mordversuchs zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Schon vorher konvertierte er zum Islam, seither bewegt er sich in salafistischen Kreisen. Die 28-jährige Gian Aldonani, Deutschirakerin, kennt ihn nicht. Die Studentin ist Vorstandsmitglied vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland.
Die junge Jesidin Gian Aldonani im Interview:
Falk provoziert: „Für mich sind das Inszenierungen, Sarah O. hat da drüben nichts anderes als Haushaltsführung gemacht.“ Wegen einer zuvor ausgehändigten Visitenkarte, die Falk nicht zurückgeben will, kommt es zum Handgemenge. Justizbeamte schreiten ein. Die Szene wirkt skurril. Weil da zwei Welten aufeinanderprallen, Propaganda auf Opfer.
Aldonani ist überzeugt, dass die Frauen in Sarah O.‚s und Ismail S.‚ Gewalt auch Folter und Vergewaltigung erfahren mussten: „Wir wissen von vielen Zeugenberichten, dass diese Frauen größte Folterungen erlebt haben, mehrmals am Tag vergewaltigt worden sind.“ Dass Sarah noch eine Jugendliche war, als sie den Rufen des IS folgte, will sie nicht gelten lassen. „Ich bin der festen Meinung, dass sie sich wissentlich dem IS angeschlossen hat“, erklärt sie.
Ihre Schwester steht ihr zur Seite
Mittendrin in dem Spektakel auf dem Gerichtsflur sitzt Sarah O.‚s Schwester mit einem männlichen Begleiter. Sagen will er nichts: „Ihr verdreht eh alles“, wirft er den Medien vor. Sarahs Schwester ist wütend, Tränen stehen in ihren Augen, als sie sagt: „Die Berichte sind doch durchgehend negativ.“ Ihre Sicht der Dinge schildern will sie trotzdem nicht. Sarahs Eltern sind nirgendwo zu sehen. Ihre Schwester scheint die Einzige zu sein, die ihr zur Seite stehen will. Im Gerichtssaal sitzt sie rechts außen im Zuschauerraum, sodass Sarah, links außen auf der Anklagebank, sie sehen kann.
Anwalt Aydin sagt dem SÜDKURIER, dass die Bundesanwaltschaft nicht mehr als eine These vertritt vor Gericht. Er kennt seine Mandantin gut, besucht sie oft in der Haft. „Sie hat sich meiner Meinung nach eindeutig vom IS abgewendet.“ Er könne das unterscheiden, betont Aydin. Sarah O. ist nicht die einzige IS-Rückkehrerin, die er vertritt. Er ist überzeugt: „Ich glaube fest daran, dass meine Mandantin nie eine Herrschaft über Sklaven hatte“ und „dass sie nie Wachposten oder Ähnliches für den IS übernommen hat“.
Die Beweislage sei schwierig, die Bundesanwaltschaft ziehe aufgrund von Puzzlestücken Schlussfolgerungen. „Vieles muss im Detail aufgeklärt werden. Das ist schwierig bei Straftaten im Ausland“, betont Aydin. Der Verteidiger fürchtet, das Urteil könne der „Bestrafung einer Heranwachsenden nicht gerecht“ werden. Sie wieder zu resozialisieren, dürfte nicht in den Hintergrund geraten, fordert er. „Ziel muss es sein, jemanden zurückzugewinnen, gerade in dem Alter.“
Sarah O. sitzt nun seit über einem Jahr in U-Haft, zuvor wurde sie in der Türkei festgehalten. Ihre Kinder, die nach Informationen dieser Zeitung in einer Pflegefamilie leben, darf sie „in sehr eingeschränktem Umfang sehen“, sagt Aydin dem SÜDKURIER. Seine Mandantin sei angespannt an diesem ersten Prozesstag, sagt er. „Aber sie schafft das schon.“