Sabine Constabel kann nicht mehr viel überraschen. Seit 30 Jahren ist die Sozialarbeiterin für die Stadt Stuttgart in der Prostituiertenhilfe im Einsatz. Ihr Arbeitsplatz ist die gemeinsame Anlaufstelle für Prostituierte mitten im Rotlichtviertel. Hier liegen das von Gesundheitsamt und Caritasverband betriebene Café „La Strada“ für Frauen und das Café „Strich-Punkt“ für männliche Prostituierte, betrieben von der Aids-Hilfe Stuttgart und dem Verein für Jugendliche. Hier gibt es gesunde Mahlzeiten, Kleidung, Kondome und Gleitmittel, aber auch Rechtshilfe, Gesundheitsberatung, Sprachkurse – und immer ein offenes Ohr. Und alles kostenlos.

Sozialarbeiterin Sabine Constabel
Sozialarbeiterin Sabine Constabel | Bild: Sabine Constabel

Vom "Loverboy" verliebt gemacht

Constabel sieht täglich, wo das neue Gesetz greift – und wo nicht. „Es ist untauglich, um Opfern von Menschenhandel zu helfen“, sagt die Sozialarbeiterin. „Dazu bräuchte es andere Gesetze. Aber die Situation insgesamt ist einen Tick transparenter geworden. Früher wusste niemand genau, wie viele Frauen in wie vielen Betrieben arbeiten. Jetzt bekommt man einen besseren Eindruck davon, was los ist.“ Ihr Lagebericht ist bitter. „Es gibt eine große Nachfrage nach 18-jährigen, sehr jungen Frauen, die kein Deutsch können. Junge Mädchen aus Osteuropa, die zuhause nicht einmal mit ihren Freundinnen über Sex geredet haben und keine Ahnung haben, was auf sie zukommt, oft mit der ‚Loverboy‘-Methode von jungen Männern verliebt gemacht und rekrutiert. Die werden Freiern ausgeliefert, die einen Porno nachspielen wollen und glauben, sie können sich für ein paar Euro das Recht erkaufen, Frauen zu benutzen“, so die Sozialarbeiterin. Ein altes Muster.

Die Leonhardstraße in Stuttgart ist das Zentrum des Rotlichtviertels.
Die Leonhardstraße in Stuttgart ist das Zentrum des Rotlichtviertels. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Kondompflicht für die Freier

Neu ist: Bordellbetreiber werden überprüft und brauchen eine Anmeldung. Erstmals gibt es Vorschriften. Die Trennung von Arbeits- und Schlafplatz, Hygienestandards und Sozialräume, einen vom Bett aus erreichbaren Notrufknopf, Sicherheitsdienst, es gilt Kondompflicht für die Freier. Vorschriften, die nicht die Prostitution bekämpfen, sondern die Umstände verbessern. Die umstrittenste Neuerung war die Anmeldungspflicht für Prostituierte. Kritiker fürchteten eine Stigmatisierung. Jetzt zeigt sich: Das wird dankbar angenommen. Zwei Behördengespräche müssen die Frauen absolvieren – eine Gesundheits- und eine Sozialberatung -, bevor sie ihre Anmeldescheine bekommen. In Stuttgart ist das kostenlos, andernorts kassieren die Behörden.

Das könnte Sie auch interessieren

Videodolmetscher übersetzen

„Sie kommen zur Beratung, weil sie es müssen,“ sagt Sozialberaterin Ursula Peichl vom Gesundheitsamt der Stadt, „aber die meisten sind sehr interessiert und dankbar.“ Dass man Behörden vertrauen kann, ist für viele neu. Die Frauen dürfen nur alleine ins Gespräch gehen, „Begleiter“ bleiben draußen. Weil kaum eine der Frauen Deutsch kann, übersetzen Videodolmetscher. Es gibt Infos über Steuer, Versicherung, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz, Impfschutz, Gesundheits- und Schwangerschaftsprävention, Kondompflicht; Anlaufstellen und soziale Hilfs- und Ausstiegsangebote. „Vielen wird bei den Gesprächen erst klar, um was es geht“, sagt Peichl. „Und manche melden sich danach nicht an.“Auch Sabine Constabel hört von den Betroffenen nur Gutes über die Beratung. „Zumindest gibt es jetzt eine Stelle, an der ihnen gesagt wird: Du musst das nicht mit dir machen lassen. Du kannst Hilfe bekommen, und zwar sofort“, sagt sie.

Nicht weniger Prostituierte in der Landeshauptstadt

Die Zahl der Sexarbeiterinnen ist in Stuttgart seit 2013 etwa gleich geblieben. 490 Prostituierte, die täglich in der Landeshauptstadt anschaffen gehen, weist die Statistik von 2017 aus. Rund 90 Prozent sind Ausländerinnen. Der Überblick ist schwierig, weil häufige Ortswechsel üblich sind. Steffen Magewski, Leiter des Arbeitsbereichs Prostitution am Polizeipräsidium Stuttgart, registriert seit der Genehmigungspflicht eine Verlagerung. Zuhälter weichen vermehrt auf andere Objekte und Hotelzimmer aus, die Adressen gibt es per Handy erst nach Internet-Anbahnung. 142 einschlägige Objekte listet die Stadt derzeit auf, in 95 Betrieben haben Albrecht Stadler, Abteilungsleiter im Amt für Sicherheit und Ordnung, und seine Mannschaft seit Anfang 2018 schon Kontrollen gemacht. Zweimal hat das Amt den Betrieb untersagt. Prostitution ist legal in Deutschland. „Aber sie ist eben kein Job wie jeder andere. Wer das sagt, übernimmt die Argumente von Zuhältern“, sagt Sabine Constabel. „Der Kern der Prostitution ist und bleibt Gewalt. Und je konsequenter hingeschaut und kontrolliert wird, desto mehr wird sie zurückgedrängt.“